Rumänische Autoarbeiter unter Druck

Seit Mitte der neunziger Jahre haben zahlreiche Autokonzerne ihre Produktionsstätten von West- nach Osteuropa verlagert, um von den dortigen Niedriglöhnen und schlechten Arbeitsbedingungen zu profitieren. Dies ging oft mit Kürzungen und Entlassungen in westeuropäischen Werken einher.

In Osteuropa sind dadurch aber keine sicheren Arbeitsplätze entstanden. Die Arbeiter verdienen nicht nur Hungerlöhne, sie leben auch unter der ständigen Gefahr, ihre Arbeit wieder zu verlieren, weil die Konzerne in Länder mit noch niedrigen Löhnen ausweichen.

Mit der weltweiten Wirtschaftskrise hat sich diese Entwicklung zusätzlich verschärft. Während Konzerne wie Opel, Ford, PSA Peugeot Citroën, Renault und Fiat in westeuropäischen Staaten Werke schließen, die Löhne senken und Massenentlassungen durchführen, geraten auch die Arbeiter in den osteuropäischen Staaten unter wachsenden Druck.

Typisch in dieser Hinsicht ist der rumänische Autohersteller Dacia, eine Tochter des französischen Renault-Konzerns. Dacia hat im marrokanischen Tanger eine Produktionsstätte errichtet, die letztes Jahr in Betrieb ging, und will dort im Endausbau 400.000 Fahrzeuge pro Jahr produzieren. 350.000 Autos der Dacia-Modelle Lodgy, Dokker und Sandero sind dafür angedacht. Renaults Partner Nissan, ein japanischer Autokonzern, will in Zukunft ebenfalls in Marokko produzieren.

Obwohl Dacia gegenwärtig der profitabelste Bereich von Renault ist und die Produktionsverlagerung noch nicht direkt mit Entlassungen am rumänischen Standort einherging, wird dies als erster Schritt gesehen, die Kapazitäten im südrumänischen Pitesti zu senken.

Laut einem Bericht der Neuen Züricher Zeitung werden in Tanger weit weniger Roboter eingesetzt, als in anderen modernen Autofabriken. „Nur rund 6 Prozent der Arbeitsabläufe sind ‚robottiert‘,“ zitiert sie einen Werksleiter. Die Arbeitskosten liegen in Marroko mit umgerechnet 4 Euro pro Stunde nur etwa halb so hoch wie in Rumänien.

In Rumänien nutzen dies Medien wie die Tageszeitung Gandul, um die Löhne der rumänischen Autoarbeiter in Frage zu stellen. Das Dacia-Management sei darüber „unzufrieden“ und habe gewarnt, es könne die Produktion relativ leicht aus Rumänien abziehen. Der französischen Zeitung Le Figaro erklärte Dacias Generaldirektor Francois Fourmont, die Lohnforderungen der Gewerkschaften könnten „die Zukunft des Werkes gefährden“.

Bereits vor vier Jahren, im März 2008, waren rund 10.000 der insgesamt 13.000 Beschäftigten des Dacia-Werks in Pitesti in einen unbefristeten Streik getreten. Sie hatten unter anderem eine Erhöhung ihrer Löhne um 50 bis 70 Prozent gefordert. Es war der größte Arbeitskampf im privaten Sektor Rumäniens seit dem Regimewechsel 1989.

Nachdem die Gewerkschaften den mehrwöchigen Streik isoliert und abgewürgt hatten, gestand ihnen Dacia eine Lohnerhöung von umgerechnet 100 Euro zu. Heute liegt der durchschnittliche Lohn zwischen 350 und 400 Euro im Monat.

Im Mai 2008 streikten auch die Beschäftigten einer Zuliefererfirma, die Elektrokabel für Dacia herstellt. 250 Arbeiter waren zwei Wochen lang im Ausstand. Die Gewerkschaften weigerten sich aber strikt, den Streik auf die Dacia-Belegschaft auszudehnen.

Ende 2008 verloren dann 620 Beschäftigte von Dacia ihren Arbeitsplatz. Größtenteils wurden befristete Vertäge nicht mehr verlängert. Im Januar 2009 wurde ein großer Teil der Belegschaft für einen Monat freigestellt. Anschließend erklärte die Betriebsleitung, man werde die Arbeiter unter massiven Lohneinbußen bald wieder einstellen. Daraufhin protestierten rund 7.000 Beschäftigte und forderten sichere Jobs in der Autoindustrie. Trotz des Protestes stellte Dacia die Belegschaft für weitere zwei Wochen frei.

Seither hat eine Entlassungswelle hauptsächlich Zulieferbetriebe getroffen. Seit 2008 haben rund 90.000 rumänische Unternehmen Konkurs angemeldet, rund 4.000 davon stehen in direkter Verbindung zur Autoindustrie.

Die Geschichte von Dacia ist beispielhaft dafür, wie europäische Konzerne in Osteuropa auf Kosten der Arbeiter ihren Profit maximieren.

In Pitesti wurden seit 1969, also bereits unter dem stalinistischen Ceausescu-Regime, unter französischer Lizenz Autos produziert. 1999 übernahm Renault dann das Werk. Ähnlich erging es zahlreichen anderen großen Industriebetrieben in Rumänien und Osteuropa. Sie wurden spottbillig an westliche Konzerne verscherbelt, die einen großen Teil der Belegschaft entließen und dann, gestützt auf Billiglöhne, hochprofitable Werke aufbauten.

Die rumänische Regierung machte Renault zahlreiche Zugeständnisse. So verhängte sie bis 2005 ein Importverbot für Gebrauchtwagen und gewährte Renault umfangreiche Steuererleichterungen.

Unter diesen Bedingungen entwickelte sich Dacia zu dem profitabelsten Zweig von Renault. Zu dem traditionell guten Absatz von Dacia in Osteuropa kam ein deutlich verbesserter Absatz in Westeuropa hinzu. Der Erfolg der extrem billigen Dacia-Modelle ist hier vor allem auf die sinkenden Einkommen breiter Bevölkerungsschichten zurückzuführen.

Während Dacia als Billigmarke des Renault-Konzerns weiterexistiert, fiel der rumänische Autohersteller ARO der Einführung des Kapitalismus zum Opfer. In den 1970er und 80er Jahren hatte ARO etwa 15.000 Menschen beschäftigt und 400.000 Fahrzeuge produziert, die in 100 Länder exportiert wurden.

Nach 1990 bezeichnete der damalige Premier Petre Roman Rumäniens Industrie als einen „Haufen Schrott“ und leitete eine Privatisierungswelle ein, die Tausende in die Arbeitslosigkeit entließ und immense soziale Verwüstungen anrichtete.

Nach mehreren erfolglosen Versuchen, ARO zu privatisieren, wurde das ursprünglich auf 50 Millionen Dollar geschätzte Unternehmen schließlich 2003 für 150.000 Dollar an einen US-Investor verscherbelt, der ausgezeichnete Beziehungen zur damaligen sozialdemokratischen Regierung pflegte. ARO wurde stückweise verkauft und meldete 2006 Insolvenz an. Die letzten 3.000 Beschäftigten verloren ihren Arbeitsplatz.

Die Autoarbeiter in Rumänien und ganz Osteuropa stehen vor den selben Problemen wie ihre Kollegen in den westeuropäischen Standorten. Ein erfolgreicher Kampf für sichere Arbeitsplätze und menschenwürdige Löhne kann nur geführt werden, wenn sich die Arbeiter international zusammenschließen und mit den Gewerkschaften brechen, die eng mit dem Management und den nationalen Regierungen zusammenarbeiten.

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