Großbritannien:

Cameron verspricht für 2017 Referendum über EU-Mitgliedschaft

Am Mittwoch erklärte der britische Premierminister David Cameron endlich seine Haltung zu Großbritanniens Mitgliedschaft in der Europäischen Union (EU).

Die Rede, in der er seine Konservative Partei zu einem Referendum über die EU-Mitgliedschaft im Jahr 2017 verpflichtete, war angeblich wegen des Geiseldramas in Algerien um eine Woche verschoben worden. In Wirklichkeit hatte Cameron die Rede schon seit sieben Jahren, seit seiner Wahl zum Parteichef vor sich hergeschoben, weil er befürchtete, seine Partei werde daran zerbrechen. Letzten Endes hat ihn die Tatsache zum Handeln gezwungen, dass die Konservativen bereits jetzt von unterschiedliche Positionen zur EU zerrissen werden.

Philip Stephens bezeichnete seine Politik in der Financial Times als „Drahtseilakt,“ motiviert von Camerons Hoffnung, dass das Versprechen eines Referendums eine „historische Spaltung seiner Partei verhindern möge, vergleichbar mit den Streitigkeiten um die Corn Laws im 19. Jahrhundert und denen um den Außenhandel im frühen 20. Jahrhundert.“

Aber Camerons Versuch, seine Partei zumindest bis zur Wahl 2015 zusammenzuhalten, hat ihren Preis. Zum einen hat seine Verpflichtung auf ein Referendum bis zu einem festgesetzten Zeitpunkt den Widerstand seiner liberaldemokratischen Koalitionspartner provoziert, die ihn dafür kritisieren.

Was für Cameron und die ganze britische Bourgeoisie noch schwerer wiegt, ist die Kritik der anderen EU-Mitglieder und besonders aus Washington an dem Plan für ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft.

Obwohl das Referendum erst in vier Jahren stattfinden soll und von der Wiederwahl der Konservativen abhängt, die sehr fragwürdig ist, wurde Cameron kritisiert, weil er die Unsicherheit gegenüber dem europäischen Projekt zu einem Zeitpunkt vergrößert habe, an dem es bereits in der Krise steckt. Philip Gordon, stellvertretender US-Außenminister für europäische Angelegenheiten, erklärte letzte Woche öffentlich, dass Washington unzufrieden sei. Er betonte, es sei „im Interesse Amerikas“, dass Großbritannien weiterhin in der EU bleibe.

Cameron wollte mit seiner Rede an mehrere Wählerschichten appellieren – von denen eine reaktionärer ist als die andere.

Um die beträchtliche Fraktion der EU-Gegner in seiner eigenen Partei ruhigzustellen und der politischen Herausforderung durch die UK Independence Party etwas entgegensetzen zu können, versprach er, die Bedingungen für Großbritanniens EU-Mitgliedschaft neu zu verhandeln und im Jahr 2017 ein Referendum über einen Verbleib unter den neuen Bedingungen abzuhalten.

Seinen Partnern in der EU, in Washington und den Teilen der Wirtschaft, die diesen riskanten Schachzug ablehnen, versprach Cameron, er werde sich bei diesem Referendum „mit Herz und Seele“ für Großbritanniens EU-Mitgliedschaft einsetzen.

Trotz der berechtigten Angst, dass das Ergebnis dieser Abstimmung Großbritanniens Austritt aus der EU sein könnte, stellte Cameron sein Vorgehen als einen Versuch dar, das europäische Projekt zu retten, nicht es zu begraben. Er erklärte, der Grund für Europas Krise sei fehlende Wettbewerbsfähigkeit und Flexibilität im „neuen weltweiten Wettlauf der Nationen“ und die Herausforderung durch „die aufsteigenden Wirtschaftsmächte im Osten und Süden.“

Da „Europas Anteil an der Weltwirtschaft... in den nächsten zwanzig Jahren um fast ein Drittel sinken wird,“ kritisierte Cameron, dass sich die EU mit „komplexen Regeln, die unseren Arbeitsmärkten Fesseln anlegen“ und „exzessiven Regulierungen“ der Wirtschaft „selbst Knüppel zwischen die Beine wirft.“

Das unterstrich der Premierminister mit Aussagen, die Bundeskanzlerin Angela Merkel zuvor gemacht hatte, der europäische Sozialstaat sei unfinanzierbar und müsse abgeschafft werden.

Im Grunde geht es ihm darum, dass die Sparmaßnahmen, die in Griechenland, Spanien und anderen Ländern eine soziale Katastrophe verursacht haben, auf dem ganzen Kontinent durchgeführt und verschärft werden müssen. Gleichzeitig sollen Löhne gesenkt und die Arbeitsbedingungen verschlechtert werden, um mit den Löhnen und Bedingungen in Asien mithalten zu können.

Aus diesem Grund unterstützt der Premierminister die weitere finanzielle und politische Konsolidierung der Eurozone, obwohl er eine „Lockerung“ der EU fordert, um die City of London zu schützen. Er betonte, die Staaten der Eurozone bräuchten „die richtige Führung und die richtigen Strukturen, um eine langfristig erfolgreiche Währung sicherstellen zu können,“ – d.h., sie muss die wirtschaftlichen und politischen Mechanismen aufbauen, um die Diktate des Finanzkapitals durchsetzen zu können. Gleichzeitig erklärte er, Großbritannien habe nicht die Absicht, selbst den Euro einzuführen.

Was die Zerstörung des Lebensstandards der europäischen Arbeiterklasse angeht, so sind sich Cameron, die EU, Washington und die Großkonzerne einig. Damit wird Camerons Inszenierung als Verteidiger von „demokratischer Rechenschaft und Konsens“ zur Farce. Der Premierminister sprach scheinheilig von der „wachsenden Frustration“ gegenüber der EU auf dem ganzen Kontinent, die „in Athen, Madrid und Rom zu Demonstrationen geführt hat.“ Er erklärte weiter, auch in Großbritannien sei der „demokratische Konsens für die EU... nur noch hauchdünn.“

Aber Camerons Referendum hat nichts mit der Sorge um die demokratischen Rechte der arbeitenden Bevölkerung, oder mit Widerstand gegen die brutalen Spardiktate zu tun, die von der Troika aus EU, Europäischer Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds erzwungen werden und Millionen auf die Straße gebracht haben. Das Gegenteil ist der Fall. Er hofft, einen rechten Block konsolidieren zu können, der weitere drakonische wirtschaftspolitische Maßnahmen durchsetzt, wobei die Interessen der City der oberste Maßstab sind, während die verbliebenen Rechte der Arbeiter abgeschafft werden. Deshalb spricht er sich gegen eine Begrenzung der Arbeitszeiten aus.

Das ist die EU, die sich Cameron vorstellt. Und auch hiermit rennt der Premierminister offene Türen ein. Mehrere europäische Außenminister kritisierten Camerons Rede, allerdings nicht wegen ihres Inhalts, sondern wegen fehlender Kollegialität und weil er mit seinem Versprechen für ein Referendum einen Präzedenzfall geschaffen habe.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle sagte über Camerons Forderung, die Bedingungen für Großbritanniens EU-Mitgliedschaft neu zu verhandeln: „Rosinenpickerei wird nicht funktionieren“; sein französischer Amtskollege Laurent Fabius klagte: „Wenn man in einen Fußballverein eintritt, kann man nicht sagen, man will Rugby spielen.“

Merkel erklärte jedoch, Berlin werde sich „Großbritanniens Wünsche“ über die EU-Mitgliedschaft anhören, um, hoffentlich, einen „fairen Kompromiss“ zu finden. Erst am Dienstag hatten Merkel und der französische Präsident Francois Hollande angekündigt, die Integration der Eurozone zu forcieren und sich ähnlich wie Cameron für Wettbewerbsfähigkeit einzusetzen. Anlässlich des 50. Jahrestages der deutsch-französischen Freundschaftsverträge betonten sie, dass „Haushaltsdisziplin“ und Arbeitsmarktreformen notwendig seien.

Die Labour Party kritisierte das geplante Referendum und Parteichef Ed Miliband lehnte es offen ab. Damit zeigt Labour, dass seine offen undemokratische Haltung von der Angst motiviert ist, die Unsicherheit über das Ergebnis des Referendums könne Londons Rolle als Finanzzentrum schaden.

Peter Mandelson von der Labour Party schrieb in der Financial Times, Labour-Premierminister Harold Wilson habe 1974 ein besseres Beispiel für die Neuverhandlung der Bedingungen über die EU-Mitgliedschaft abgeliefert. Als Wilson damals die Bedingungen für Großbritanniens Eintritt in die Europäische Gemeinschaft neu verhandelte, tat er das, wie Mandelson schrieb „indem er das Abkommen weiter ausfeilte, nicht indem er den Beitrittsvertrag selbst neu eröffnete.“

Die Confederation of British Industry und das Institute of Directors zeigten sich zufrieden mit Camerons Rede und erklärten, eine „reformierte EU“ und ein „wettbewerbsfähiges und dereguliertes“ Europa seien „das Beste für Großbritannien.“

Der Vorsitzende des Ausschusses für Politik und Ressourcen der City of London, Mark Boleat, war vorsichtiger. Er warnte, Cameron „riskiert mit seiner langen Frist für das geplante Referendum wichtige Investment-Entscheidungen internationaler Unternehmen in der City.“ „Es ist wichtig, dass wir uns bewusst sind, dass Großbritannien Vollmitglied der Europäischen Union bleiben muss, weiterhin im Binnenmarkt operiert und ein Mitspracherecht darüber hat, wie die EU uns beeinflusst. Europa muss sich anpassen und die Herausforderung an seine Wettbewerbsfähigkeit durch die gewandelte wirtschaftliche Landschaft annehmen.“

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