Perspektive

Fiskalklippe: Der Deal

Fiskalklippe – so wird das Gesetz genannt, mit dem der Kongress Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen abwenden will. Das Gesetz ermöglicht beiden Parteien und den Medien den Weg zu weitgehenden Angriffen auf Sozialprogramme, die den Senioren, Behinderten und Armen bisher zu einer Art Gesundheitsversorgung und einem halbwegs gesicherten Lebensabend verhalfen.

Das Gesetz, das am Dienstag verabschiedet wurde, sieht eine geringfügige Anhebung der Steuersätze für die obersten 0,7 Prozent der Bevölkerung vor. Damit soll ein Angriff auf die grundlegenden Reformen der 1930er und 1960er Jahre verschleiert werden. Der Deal zwischen Obama, dem Weißen Haus, den Demokraten und den Führern der Republikaner im Kongress verschiebt die Kürzungen beim Militär und den innenpolitischen Ausgaben lediglich um zwei Monate, wodurch nur eine neue Krisenfrist im März geschaffen wird. Sie wird mit der Notwendigkeit zusammenfallen, die Schuldenobergrenze des Bundes anzuheben, um die Finanzierung der Bundesregierung sicherzustellen.

Während die steuerliche Seite mit dem Fiskalklippen-Gesetz abgehakt ist, werden die wirtschaftsfreundlichen Medien jetzt fordern, dass die „Schuldengrenzen-Klippe“ durch massive Kürzungen bei Sozialausgaben auf Kosten von Medicare, Medicaid und Renten abgewendet wird.

So wird die Öffentlichkeit mit künstlichen Fristen und selbst geschaffenen Krisen in die Irre geführt. Dies ist zu einem beliebten Modus Operandi der amerikanischen Herrschenden im Umgang mit ihren politischen Angelegenheiten geworden. Die Debatte über die so genannte Fiskalklippe war von Anfang an zynisch und inszeniert. Sie zeigt, dass das politische System, das der Finanzaristokratie vollkommen ergeben ist, die Interessen der Massen mit Füßen tritt.

Dazu gehört auch die Art und Weise, wie die Medien eine völlig künstliche „öffentliche Meinung“ schaffen, die nichts mit den wirklichen Ansichten der Bevölkerung zu tun hat. Schon am Mittwochmorgen sprachen die Nachrichtensendungen über eine breite Unzufriedenheit in der Bevölkerung, weil der Kongress keine „wirklichen“ Maßnahmen zur Senkung des Defizits und keine ernsthaften Kürzungen der Sozialprogramme beschlossen habe. Umfragen zeigen dagegen immer wieder, dass die große Mehrheit der Bevölkerung solche Kürzungen ablehnt.

Obama gab am Dienstagabend ein Beispiel für die Heuchelei der Demokraten, als er nach der Verabschiedung des Gesetzes im Repräsentantenhaus erklärte: “Ein zentrales Versprechen in meinem Präsidentschaftswahlkampf war die Veränderung der Steuersätze, die auf Kosten der arbeitenden Mittelschicht zu sehr an den Interessen der Reichen ausgerichtet waren. Das haben wir heute erreicht.“

Das ist eine Lüge. In Wirklichkeit verewigt das Gesetz die Kürzung der Einkommensteuern der Bush-Ära für die Reichen. Einzige bescheidene Ausnahme ist die Erhöhung der Steuersätze für Haushalte mit einem Einkommen über 450.000 Dollar im Jahr. Es setzt die Kapitalertragssteuer auf niedrige zwanzig Prozent fest und friert die Grenze für die Grundsteuer bei fünf Millionen Dollar für Einzelpersonen und zehn Millionen für Paare ein. Weiter gibt es eine Inflationsanpassung, die dazu führen wird, dass die Grundsteuergrenze bis Ende des Jahrzehnts auf fünfzehn Millionen Dollar ansteigen wird.

Diese Steuersätze sind im historischen Vergleich ausgesprochen niedrig. In den meisten Fällen liegen sie niedriger als vor 2001. Sie schustern den Reichen zusätzliche Milliarden zu.

Gleichzeitig erhöht das Fiskalklippen-Gesetz die Steuern für 77 Prozent aller Haushalte, indem es eine zweiprozentige Reduktion des Lohnsummensteuerabzugs wegfallen lässt. Eine typische Familie mit einem jährlichen Einkommen von 50.000 Dollar muss 2013 eintausend Dollar mehr Bundessteuern bezahlen.

Obama bekräftigte seine Absicht, gesetzlich geregelte Ansprüche auf Leistungen z.B. von Medicare und den Renten anzugreifen. Er nannte Medicare die „größte Ursache für unser Defizit“ und versprach, „das Programm zu reformieren“. Außerdem kündigte er an, „weitere unnötige Staatsausgaben zu eliminieren“.

Der Rechungshof des Kongresses schätzte in einem Bericht, dass das Abkommen über die Fiskalklippe das Staatsdefizit in den nächsten zehn Jahren um vier Billionen Dollar mehr erhöhen werde, als wenn die für den 1. Januar festgesetzten Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen in Kraft getreten wären. Wer soll für diesen „Luxus“ zahlen?

In einer Kolumne des Kommentators der New York Times, David Brooks, mit dem Titel „Ein weiterer Fiskalflop“, wurde am Montag die Denkweise der herrschenden Klasse deutlich. Brooks beginnt damit, dass der amerikanische „Sozialstaat unfinanzierbar“ geworden sei.

Dafür macht er die Rentner verantwortlich, welche die Stirn besitzen, eine anständige Gesundheitsversorgung zu erwarten und auf dieser Grundlage auch noch länger leben wollen. „Verpflichtungen gegenüber den Alten gehen jetzt schon auf Kosten von Programmen für die Jungen und Bedürftigen“, schreibt er und fordert „weitgehende Strukturreformen“ der Krankenversicherung Medicare, die in Zukunft besser prüfen müsse, wer überhaupt anspruchberechtigt sei.

Letztendlich, schreibt er, seien die amerikanischen Wähler schuld, weil sie “gerne eine Menge für sich selbst ausgeben und die Kosten dafür auf ihre Kinder und Enkel abwälzen”. Ein klassisches Beispiel für diese Gier sei das „typische Medicare-Paar“, das „234.000 Dollar mehr an freiem Geld verbraucht“, als es selbst in das System einzahle.

Diese Verleumdung der amerikanischen Bevölkerung liefert einen Hinweis auf die Brutalität der Wirtschafts- und Finanzelite, die vor nichts zurückschrecken wird, um die Sozialreformen des letzten Jahrhunderts zurückzudrehen und die Arbeiterklasse wieder in Armut zu stoßen.

Loading