Ukraine: Janukowitsch beugt sich dem Druck der EU

In Kiew herrschte am Freitag gespannte Ruhe, nachdem es am Donnerstag zu den blutigsten Auseinandersetzungen seit Beginn der Proteste in der Ukraine gekommen war. In Straßenschlachten und Schusswechseln zwischen gewaltbereiten Demonstranten und Sicherheitskräften waren mindestens 77 Demonstranten und Polizisten getötet und Hunderte verletzt worden.

Am Freitag unterzeichnete Präsident Viktor Janukowitsch eine Vereinbarung, die mehreren Forderungen der Demonstranten entgegenkommt. Innerhalb von zehn Tagen will er eine Übergangsregierung bilden, der auch Vertreter der Opposition angehören. Bis September soll die Verfassung von 2004 wieder in Kraft treten und die Macht des Präsidenten beschneiden. Spätestens im Dezember sollen dann vorgezogene Präsidenten- und Parlamentswahlen stattfinden. Bisher war die Präsidentenwahl für März 2015 geplant.

Die Vereinbarung ist das Ergebnis von Verhandlungen, die die ganze Nacht über dauerten. Die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Polens, die am Donnerstag in Kiew eintrafen, arbeiteten dabei eng mit den Oppositionsführern Vitali Klitschko, Arsenij Jazenjuk und Oleh Tjahnybok zusammen. Während im Zentrum der Hauptstadt blutige Kämpfe tobten, setzten sie Präsident Janukowitsch in einem nahe gelegenen Verhandlungsraum unter Druck, den Forderungen der Demonstranten entgegenzukommen.

Bevor die Vereinbarung unterzeichnet wurde, fuhren der deutsche und der polnische Außenminister zum Maidan, dem zentralen Sammelplatz der Regierungsgegner, um deren Einwilligung einzuholen. Sie trafen sich in einem Hotel mit 30 Vertretern des Maidan-Rats, der die Demonstranten vertritt und zustimmte.

Die Vereinbarung trägt neben den Unterschriften von Janukowitsch und den drei Oppositionsführern auch die der Außenminister Frank-Walter Steinmeier (Deutschland), Laurent Fabius (Frankreich) und Radoslaw Sikorski (Polen). Es fehlt dagegen die Unterschrift des russischen Vermittlers Wladimir Lukin, der ursprünglich ebenfalls unterzeichnen sollte. Die USA waren nicht offiziell an den Verhandlungen beteiligt.

Um ihr politisches Ziel zu erreichen, haben die Vertreter Deutschlands, Frankreichs und Polens eng mit rechtsextremen und faschistischen Kräften zusammengearbeitet. Oleh Tjahnybok, dessen Partei Swoboda offen antisemitische und rassistische Standpunkte vertritt, wurde in der deutschen Botschaft empfangen und stellte sich mit Außenminister Steinmeier zum Fototermin.

Die schwer bewaffneten Demonstranten, die die politische Krise am Donnerstag mit einem Angriff auf das Regierungsgebäude verschärft hatten, stammen aus dem Umfeld von Swoboda und dem faschistischen „Rechten Sektor“. Sie fühlen sich durch das Nachgeben von Janukowitsch ermutigt, noch aggressiver vorzugehen.

Der Anführer des „Rechten Sektors“, Dmitrij Jarosch, erklärte im sozialen Netzwerk „Vkontakte“, seine Bewegung betrachte Janukowitschs Erklärung als „Täuschungsmanöver“ und werde den Kampf fortsetzen. „Die nationale Revolution geht weiter“, schrieb er. Sie ende erst, wenn das derzeitige Regime entmachtet sei.

Die Vereinbarung zwischen Janukowitsch und den Oppositionsführern hat zwar die Lage vorübergehend beruhigt. Sie wird aber kaum Bestand haben. Seit Janukowitsch im November letzten Jahres in letzter Minute die Unterzeichung eines Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union absagte und sich stattdessen Russland annäherte, haben die EU, Deutschland, und die USA das Land systematisch destabilisiert, gespalten und an den Rand eines Bürgerkriegs getrieben.

Zu diesem Zweck haben sie faschistische Kräfte wie den „Rechten Sektor“ und Swoboda gestärkt, die sich nicht so leicht wieder bändigen lassen. Und sie haben zentrifugale Tendenzen gefördert, die das gespaltene und instabile Land völlig zerbrechen können.

Im Westen wie im Osten des Landes melden sich separatistische Tendenzen zu Wort. Die westliche Stadt Lwiw, das Zentrum des ukrainischen Nationalismus, hat sich für autonom erklärt. Und im Süden droht der Parlamentspräsident der Halbinsel Krim, die erst 1954 der damaligen ukrainischen Sowjetrepublik zugeschlagen wurde und vorwiegend von Russen bewohnt wird, mit der Abspaltung von der Ukraine.

Ähnlich ging die deutsche Regierung Ende 1992 in Jugoslawien vor, als sie mit der übereilten Anerkennung der Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens den Separatismus anheizte und Jugoslawien in einen blutigen Bürgerkrieg trieb.

Dabei wird immer offensichtlicher, dass Deutschland, die USA und die EU in der Ukraine imperialistische und geopolitische Ziele verfolgen. Ein Kommentar, der vor zwei Tagen auf Spiegel Online erschien, spricht das offen aus.

„Es geht längst nicht nur um ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union und auch nicht nur um die Zukunft eines von Korruptionsvorwürfen umwitterten Präsidenten“, schreibt Uwe Klußmann. „Es geht um Geopolitik, darum, welche Machtzentren in Europa und dem eurasischen Raum dominieren.“

Er erinnert an das Buch des US-Geopolitikers Zbigniew Brzezinski „Die einzige Weltmacht“, das Europa und Asien als ein großes Schachbrett beschreibt, für dessen Beherrschung die Ukraine eine maßgebliche Rolle spielt.

Janukowitsch selbst vertritt, wie seine Gegner an der Spitze der Opposition, die Interessen rivalisierender Oligarchenclans, die sich letztlich der Großmacht anschließen, die ihren Reichtum am besten schützen kann. Schon jetzt verlassen die Abgeordneten Janukowitschs Partei der Regionen wie die Ratten das sinkende Schiff und suchen sich ein neues Boot, um ihre Macht und ihre Privilegien zu sichern – darunter auch der Bürgermeister von Kiew.

Die ukrainische Arbeiterklasse kann ihre sozialen Interessen nur verteidigen und der Gefahr der Spaltung, des Kriegs und des Bürgerkriegs entgegentreten, indem sie sich unabhängig organisiert und mit den Arbeitern Russlands und Europas im Kampf für ein sozialistisches Programm vereint.

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