Südafrikanische Gewerkschaften streben nach Kontrolle über militante Arbeiter - Teil 2

Für viele Arbeiter beschwört der Begriff „Gewerkschaft“ die Vorstellung herauf, es handele sich um eine Organisation, die den Arbeitern die Möglichkeit gibt, ihren Arbeitgebern Konzessionen abzuringen – selbst, wenn sie von einer privilegierten Bürokratie geführt wird, die es ablehnt, den Kapitalismus grundsätzlich in Frage zu stellen.

Dieses Bild steht jedoch in keinerlei Bezug mehr zur gegenwärtigen Realität. Mit der Zeit haben die Gewerkschaften immer mehr die Rolle von Co-Managern angenommen, die im Dienste der Arbeitgeber und der Regierung handeln. Dieser Prozess der korporatistischen Umwandlung der alten, national ausgerichteten Arbeiterbürokratien hat durch die Auswirkungen der globalen Produktion inzwischen endgültig Gestalt angenommen.

Die Bourgeoisie fordert von den Führern der Gewerkschaften im Namen der globalen Konkurrenzfähigkeit unerbittlich eine weltweite Absenkung des Lebensstandards der Arbeiterklasse. Unter diesen Umständen musste selbst der Kampf für begrenzte Zugeständnisse für ihre Mitglieder der Aufgabe sogar des bereits Erreichten weichen. Der Klassenkampf wird unterdrückt und verraten, wenn Streiks nicht zu verhindern sind.

Das Ergebnis ist eine deutliche Verschlechterung der sozialen Lage der Arbeiterklasse in jedem Land, wie es vor allem am absoluten Rückgang des Anteils der Arbeiter am BIP abgelesen werden kann. Gleichzeitig hat die soziale Kluft zwischen der Gewerkschaftsbürokratie und der Arbeiterklasse ein beispielloses Ausmaß erreicht. Auch wenn es sich um ein weltweites Phänomen handelt, so hat es doch in Südafrika einen extremen Ausdruck gefunden.

Nach dem Sturz der Apartheid waren sich die südafrikanischen Kapitalisten darüber bewusst, dass ihr brutales Ausbeutungssystem unweigerlich zur Revolution führen würde, falls nicht schwarze Kapitalisten zugelassen würden, die als Vorbilder dienen und den Massen die Hoffnung bieten konnten, ihnen eines Tages nachzueifern.

Dies war die wirkliche Funktion der „breiten wirtschaftlichen Förderung von Schwarzen“ (broad-based black economic empowerment, BEE). Für die meisten Schwarzen ist die Politik der BEE gleichbedeutend mit Verelendung und nicht mit Förderung, auch wenn sie den Kapitalisten, darunter märchenhaft reich gewordenen „Gewerkschaftern“, ausgesprochen hilfreich war.

Die National Union of Mineworkers (NUM), Juniorpartner der kapitalistischen Elite, hat im Rahmen ihrer immer stärkeren Ausrichtung an der wirtschaftsfreundlichen Agenda der ANC-Regierung einen Streik nach dem anderen ausverkauft. Diese Ausrichtung setzte sich vor dem Polizeimassaker von Marikana fort, wie in einem Artikel von Jared Sacks im Daily Maverick beschrieben wird. Er berichtete, dass Arbeiter am Steinbohrer, die schlechtestbezahlten Arbeiter der Lonmin Mine, ihre Vertreter von der NUM um Unterstützung für einen Streik baten. Die Funktionäre der NUM beschimpften die Arbeiter stattdessen.

Die Arbeiter nahmen die Dinge selbst in die Hand und zogen am 10. August 2012 vor die Büros des Managements von Lonmin. Dort wurden sie von einem Vertreter von Lonmin abgewiesen, der einen Repräsentanten der NUM herbeiholte, der ebenfalls nichts mit ihnen zu tun haben wollte.

Unbewaffnete Arbeiter marschierten daraufhin am 11. August zu den Büros der NUM in Wonderkop, um ein Memorandum zu übergeben. NUM-Funktionäre kamen buchstäblich mit dem Gewehr im Anschlag heraus und töteten zwei Arbeiter der Gruppe.

Von da an bewaffneten sich die Arbeiter und es kam zu Tötungen aus Vergeltung. Die Empörung der einfachen Gewerkschaftsmitglieder über die NUM und über die Privilegien der Vertrauensleute begünstigten das Anwachsen der neuen Gewerkschaft AMCU, die sich scheinbar mit der wachsenden Militanz der Arbeiter solidarisierte.

Die Ereignisse bei der Lonmin Mine in Marikana vom 16. August 2012 stellen einen Wendepunkt dar, von dem aus kein Weg zurück führt. Hier sah die Welt zum ersten Mal das Ergebnis von jahrelanger Integration der Gewerkschaftsbürokraten in den Staatsapparat und in die Bourgeoisie selbst.

In den folgenden Tagen besetzten die streikenden Minenarbeiter einen Hügel auf öffentlichem Grund und weigerten sich herunterzukommen, bis die Minenleitung mit ihnen über die Löhne verhandeln würde. Beamte der südafrikanischen Polizei (SAPS) kesselten die Minenarbeiter ein, indem sie Stacheldraht um sie auslegten, und benutzten gepanzerte Fahrzeuge, um sie zusammenzupferchen. Als eine Gruppe den Durchbruch versuchte (andere Reporter sprechen davon, sie seien vor dem Beschuss aus einem Hubschrauber heraus geflüchtet), eröffnete die Polizei das Feuer. 34 Menschen wurden niedergemäht, eine Szenerie, die die schlimmsten Erinnerungen an die Unterdrückung während der Aapartheid-Ära wachrief.

Die meisten Arbeiter wurden jedoch getötet, als keine Kameras der internationalen Medien zugegen waren. Gepanzerte Fahrzeuge überrollten Minenarbeiter und die Polizei durchkämmte einen Felsvorsprung in dem Areal, der als Small Koppie bekannt ist. Dort trieben Polizisten die Minenarbeiter allein, zu zweit oder zu dritt in die Enge und erschossen sie kaltblütig, obwohl eine Verhaftung ohne weiteres möglich gewesen wäre.

Die SAPS führte diese Gräueltaten mit voller Unterstützung der Regierung Zumas durch. Sehr wahrscheinlich spielten auch Cyril Ramaphosa und der Generalsekretär der NUM, Frans Baleni, eine Rolle.

Ramaphosa, ehemals Führer der NUM, war zu diesem Zeitpunkt bereits Rand-Milliardär mit einem Sitz im Direktorium von Lonmin und Eigentümer von neun Prozent der Marikana-Aktien über eine beherrschende Gesellschaftsbeteiligung an Incwala Resources, dem BEE-Partner von Lonmin, für die 18 Millionen US-Dollar jährlich in seine Taschen flossen.

Zuvor hatte er die Ministerin für Bergbau und Bodenschätze, Susan Shabangu, gewarnt, dass ihr fehlendes Engagement nicht gut beim internationalen Kapital ankommen werde. In einer E-mail an den Polizeichef Riah Phiyega beschimpfte Ramaphosa die Streikenden als “feige Kriminelle”, die eine harte Bestrafung verdienten.

Balenis Berechnungen gründeten sich möglicherweise auf den enormen Mitgliederzuwachs der AMCU, der auf Kosten der NUM ging. An etlichen Arbeitsstätten nimmt die AMCU schon den Platz der NUM als offizielle Vertretung der Arbeiter ein. Es ist kein Wunder, dass Baleni die „Säuberung“ von Marikana in Worten lobte, die eher einem Sicherheitsbeamten zu Gesicht stehen als einem Repräsentanten der Arbeiter: “Die Polizei zeigte Geduld, aber diese Leute waren in extremer Weise mit gefährlichen Waffen ausgerüstet“, sagte er.

Die intuitive Reaktion der Bourgeoisie und der COSATU-Führer aus der oberen Mittelklasse auf die AMCU könnte einen auf den Gedanken bringen, dass sie eine Gewerkschaft wäre, die sich völlig von den alten Organisationen unterscheidet. Tatsächlich möchten Führungskräfte der AMCU sie als Außenseiterin darstellen, die Mitglieder branchenübergreifend anwirbt, COSATU fernbleibt und kompromisslose Positionen in Lohnverhandlungen einnimmt.

Eine solche Beurteilung sollte nicht akzeptiert werden. Generalsekretär Joseph Mathunjwa möchte sich als Mann des Volkes darstellen, doch hinderte ihn das nicht daran, am Vorabend des gegenwärtigen Streiks in einem Lexus, begleitet von Leibwächtern in Marikana zu erscheinen.

Mathunjwa war früher Mitglied der NUM, weswegen sein Rauswurf aus dieser Gewerkschaft von manchen als Grund für seine vermeintliche Vendetta gegen seine alte Gewerkschaft angesehen wird. Was er sich auch immer durch die Konfrontation mit den Minenbetreibern erhoffen mag, eine Neuordnung der Gesellschaft im Interesse der Arbeiterklasse, d.h. der Mehrheit der Gesellschaft, steht nicht auf seiner Agenda.

Er rühmt sich seines christlichen Glaubens und nennt die AMCU unpolitisch und nicht-sozialistisch. Trotz ihres gegenwärtig militanten Radikalismus beweist die Erfahrung der Solidarnosc in Polen, dass eine solche Gruppierung auf Dauer nicht als Basis für unabhängige Aktionen der Arbeiterklasse taugt. Letztlich werden sie in die politischen Strukturen der Bourgeoisie integriert.

Die unauslöschliche Lehre von Marikana ist, dass eine schwarze Regierung, die wahrscheinlich von der Mehrheit der schwarzen Arbeiter auf diesem Hügel gewählt wurde, ohne weiteres in der Lage ist, einer mehrheitlich schwarzen Polizei zu befehlen, diese Arbeiter im Interesse einer teilweise in schwarzem Eigentum stehenden Mine niederzumähen.

Arbeiter werden daraus unvermeidlich den Schluss ziehen, dass Organisationen für zukünftige Kämpfe auf der Basis von Klassenprinzipien und nicht der Hautfarbe gegründet werden müssen.

Irvin Jim, Karl Cloete, Zwelinzima Vavi und Co. bekennen sich allesamt zu einem klassenbasierten Kampf. Aber die Interessen dieser wohlhabenden Schicht von Gewerkschaftsbürokraten beruhen auf einer rassenbasierten und pro-kapitalistischen Politik wie der BEE, die grundlegend von den Interessen der einfachen Arbeiter abweicht. Die Bürokraten möchten den Widerstand der Arbeiter gegen die kapitalistische Unterdrückung lediglich als Verhandlungsmasse nutzen, um sich selbst einen besseren Platz am Tisch mit dem ANC zu sichern, ohne auf einem neuen ökonomischen System zu bestehen.

Die jüngsten Streiks, so auch in der Autoindustrie, lassen Arbeiter nach Organisationen suchen, die ihnen den Weg zu einem unabhängigen Klassenkampf weisen. Weder die AMCU noch die National Union of Metalworkers of South Africa (NUMSA) verdienen es seit Marikna, auf der Welle des Arbeiteraufruhrs emporgetragen zu werden, noch wird das der Fall sein.

Die fortschrittlichsten und militantesten Teile der Arbeiter müssen sich stattdessen an neuen internationalistischen und sozialistischen politischen Grundlagen orientieren, wenn sie neue Organisationen des Klassenkampfes und eine neue trotzkistische Partei der südafrikanischen Arbeiterklasse aufbauen.

Ende

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