Perspektive

Politische Lehren aus dem UAW-Debakel in Tennessee

Im Volkswagenwerk in Tennessee hat es die Belegschaft in einer Abstimmung abgelehnt, sich von der United Auto Workers gewerkschaftlich vertreten zu lassen. Diese Niederlage hat diverse liberale und pseudolinke Publikationen in tiefe Verzweiflung gestürzt.

In den letzten zwei Wochen haben die New York Times, die Nation, der American Prospect, In These Times, Labor Notes, Socialist Worker und andere Publikationen die Abstimmung, in der die Vertretung durch die UAW mit 712 gegen 626 Stimmen abgelehnt wurde, als Niederlage für die VW-Arbeiter und für die ganze amerikanische Arbeiterbewegung bezeichnet.

Nach ihrer Sichtweise, die der der Gewerkschaftsführung ähnelt, sei die UAW eine “progressive” Organisation, und ihre Niederlage sei ein Ergebnis von anti-gewerkschaftlicher Propaganda der Republikaner. Diese hätten sich die Rückständigkeit der Arbeiter im Süden nutzbar gemacht und sie dazu gebracht, gegen ihre eigenen Interessen zu stimmen.

Diese Sichtweise ist eine reaktionäre Fiktion.

Die UAW hatte die Unterstützung der Volkswagen-Direktion. Sie hatte ein „Neutralitätsabkommen“ unterzeichnet, das beinhaltet, dass bei jedem künftigen Tarifvertrag darauf geachtet wird, dass die Kostenvorteile und andere Wettbewerbsvorteile Volkswagens im Vergleich zu seinen Rivalen in den Vereinigten Staaten und dem nordamerikanischen Kontinent erhalten bleiben oder „wenn möglich ausgebaut werden“. Die UAW hat versucht, ihre Beitragseinnahmen auf Kosten der der VW-Arbeiter zu erhöhen, indem sie ihre Dienste anbot, Opposition gegen Armutslöhne und miese Arbeitsbedingungen im Werk in Tennessee zu unterdrücken.

Die Firma gewährte der UAW vollen Zugang zum Werk, damit sie vor Schichtversammlungen sprechen konnte, händigte Gewerkschaftsvertretern ihre Personallisten aus und setzte sich in Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft öffentlich für die Einrichtung eines „Betriebsrats“ nach deutschem Vorbild ein. Ursprünglich war die UAW sogar dagegen, den Arbeitern überhaupt die Gelegenheit zu geben, über die faktische Gründung einer Unternehmensgewerkschaft abstimmen zu lassen.

Jetzt beklagt sich die UAW bitterlich über “Einmischung von außen”. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass sie heute die gleiche Propaganda gegen „Agitatoren von außen“ betreibt, mit der die Autokonzerne in den Massenkämpfen der 1930er Jahre, aus denen die UAW ursprünglich hervorging, gegen Gewerkschaftsorganisatoren kämpften. Diese Ironie widerspiegelt die Verwandlung der UAW in eine unternehmensfreundliche, arbeiterfeindliche Organisation.

Der American Prospect, eine Publikation unter dem Einfluss des Arbeitsministers der Clinton-Regierung, Robert Reich, macht das „individualistische Ethos“ des „weißen Südens, besonders unter den schottisch-irischen Nachkommen in den Appalachen“ für die Niederlage der UAW verantwortlich.

“Wenn Amerika nach Klassenlinien gestrickt wäre, dann hätte die UAW Chattanooga problemlos einnehmen müssen”, hieß es. „Aber, wie viele Gewerkschaften, meistens zu ihrem Schaden, feststellen mussten, sind Rassen- und kulturelle Fragen in den Vereinigten Staaten oft stärker als Klassenfragen.“

Was für ein Unsinn! Jetzt machen sie die Arbeiter dafür verantwortlich, dass sie offene Agenten der Bosse zurückweisen! Die Niederlage der UAW ist keine Niederlage der Arbeiterklasse. Die Arbeiter in Chattanooga haben diese rechte Organisation zurecht zurückgewiesen, die seit fast vierzig Jahren nur Verrat und Niederlagen für die Arbeiterklasse gebracht hat, mit der Folge von Massenarbeitslosigkeit, ruinierten Existenzen und ausgebluteten Städten wie Detroit.

Weil sie bei den Arbeitern keine Unterstützung mehr genießen, sind die UAW und andere Gewerkschaften zunehmend von den Konzernen und dem Staat abhängig. Das ist nicht nur in den USA so, sondern weltweit.

Das wurde von der Verurteilung von Denis Gautier-Sauvagnac Anfang des Monats in Frankreich unterstrichen, einem ehemaligen Chef des Maschinenbauunternehmerverbands (UIMM). Er soll Millionen Euro veruntreut und an die französischen Gewerkschaften weitergeleitet haben. Nach einigen Darstellungen erhalten die Gewerkschaften in Frankreich neunzig Prozent ihrer Etats von mehr als vier Milliarden Euro von den Unternehmern und vom Staat.

Die gleichen korrupten Beziehungen existieren in jedem Land, von Südafrika, wo die National Union of Mineworkers bei dem Massaker an streikenden Bergarbeitern beteiligt war, über Australien, wo die Gewerkschaften die Schließung der ganzen Autoindustrie durchsetzen, bis nach Europa, wo die Gewerkschaften Austeritätspolitik und die Verelendung der Arbeiterklasse mitorganisieren.

Diese Verrätereien können nicht allein mit dem Verweis auf den korrupten Charakter einzelner Gewerkschaftsführer erklärt werden. Sie haben ihre Wurzel in erster Linie im Charakter der Gewerkschaften selbst, der von dem Korporatismus der Gewerkschaften im modernen Kapitalismus von dem Privateigentum an den Produktionsmitteln in der Hand der kapitalistischen herrschenden Klasse bestimmt ist.

Diese innewohnende Beschränkung wird noch durch das nationalistische Programm der Gewerkschaften verstärkt. Aufgrund der Globalisierung der Produktion haben die Gewerkschaften weltweit ihren Kurs verändert: während sie früher auf „ihre“ herrschende Klasse Druck ausübten, um Zugeständnisse für die Arbeiter herauszuholen, üben sie heute Druck auf die Arbeiter aus, von denen sie im Namen der internationalen Konkurrenzfähigkeit immer größere Zugeständnisse an die Konzerne verlangen.

In den Vereinigten Staaten nahm die Unterordnung der Arbeiterklasse unter den Kapitalismus die Form eines politischen Bündnisses zwischen den Gewerkschaften und der Demokratischen Partei an, das durch die antikommunistischen Säuberungen der 1940er und 1950er Jahre zementiert wurde. Durch ihr Bündnis mit den Demokraten blockierte die Gewerkschaftsbürokratie die Entwicklung einer unabhängigen politischen Bewegung der Arbeiterklasse.

Die Gewerkschaften reagierten auf den Niedergang des amerikanischen Kapitalismus und die Globalisierung der Produktion in den 1970er und 1980er Jahren, indem sie ihre Verbindungen zu den Konzernen und zum Staat festigten. Die UAW und andere Gewerkschaften sagten sich von „konfrontativen Beziehungen“ zu den Unternehmern los und schwenkten auf das korporatistische Programm der „Labor-Management-Partnerschaft“ um. Sie betonten, es müsse alles getan werden, um die Profite der Unternehmen zu verteidigen, ganz unabhängig davon, wie schwerwiegend die Folgen für die Arbeiterklasse seien.

Diesen rechten Organisationen den Laufpass zu geben, wie das die Arbeiter in Chattanooga getan haben, ist notwendig, aber nicht ausreichend. Arbeiter brauchen neue Organisationen, damit sie gegen die Angriffe der multinationalen Konzerne, globalen Banken und wirtschaftsfreundlichen Regierungen kämpfen können. Es müssen neue Organisationen, völlig unabhängig von den alten Gewerkschaften, aufgebaut werden, die von der Basis kontrolliert werden und ihr rechenschaftspflichtig sein müssen.

Gleichzeitig müssen die bevorstehenden Kämpfe von einer völlig neuen politischen Strategie angeleitet werden. Die Arbeiterklasse muss sich international zusammenschließen und den Kampf für die sozialistische Reorganisation des wirtschaftlichen und politischen Lebens aufnehmen.

Die Arbeiterklasse ist nicht nur mit einzelnen Unternehmern konfrontiert, sondern mit einer ganzen Wirtschaftsordnung, die in den USA sowohl von den Demokraten, wie auch von den Republikanern verteidigt wird. Arbeiter müssen sich als unabhängige politische Kraft organisieren und für Arbeitermacht kämpfen. Nur auf die Weise kann die Kontrolle der Wirtschafts- und Finanzoligarchie gebrochen werden, und nur so kann der enorme Reichtum, den die Arbeiterklasse durch ihre Arbeit schafft, dafür eingesetzt werden, die Bedürfnisse der Menschen anstelle des privaten Profits zu befriedigen.

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