Perspektive

Was steht hinter der Kriegshetze der deutschen Medien?

Selten zuvor waren die Medien in Deutschland derart gleichgeschaltet. Zwei Wochen nachdem der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch mithilfe bewaffneter faschistischer Banden aus dem Amt gejagt wurde, sind sie einhellig auf den Konfrontationskurs der deutschen und amerikanischen Regierung mit Russland eingeschwenkt.

Kritische Stimmen gibt es kaum noch. Im Gegenteil, die Zeitungen überbieten sich gegenseitig darin, den Konflikt anzuheizen und von der Bundesregierung ein härteres Vorgehen gegen Putin zu verlangen. Die Süddeutsche fordert „Drohungen und Strafen“ statt „Gespräche“, während die Frankfurter Allgemeine die „freie Welt“ aufruft, zu den „Mitteln der Abschreckung“ zu greifen. (Siehe: „Kriegspropaganda in den deutschen Medien“)

Die Medien bedienen sich dabei Verdrehungen und Lügen, die an Goebbels Propagandatechniken erinnern.

So verharmlosen oder verschweigen sie die Rolle militanter Faschisten beim Umsturz in Kiew ebenso, wie die Präsenz dreier faschistischer Minister in der neuen, von der EU gestützten Regierung. Dabei unterhält die Partei Swoboda, der die drei angehören, enge Verbindungen zur deutschen NPD, zur ungarischen Jobbik, zum französischen Front National und zu anderen neofaschistischen Parteien Europas.

Das Europäische Parlament hatte noch am 13. Dezember 2012 eine Entschließung verabschiedet, die Swoboda als „rassistisch, antisemitisch und ausländerfeindlich“ bezeichnet und „an die demokratisch gesinnten Parteien in der Werchowna Rada“ appelliert, „sich nicht mit der genannten Partei zu assoziieren, sie nicht zu unterstützen und keine Koalitionen mit ihr zu bilden.“ 15 Monate später gehen die Führer und Minister von Swoboda in den europäischen Staatskanzleien ein und aus und werden als demokratische Freiheitskämpfer gefeiert.

Vor allem aber unterschlagen die Medien die historischen Hintergründe des deutschen Vorgehens in der Ukraine. Diese war zweimal – im Ersten und im Zweiten Weltkrieg – von deutschen Truppen besetzt worden und der Schauplatz unsäglicher Verbrechen. Die Parallelen zwischen damals und heute sind frappierend.

Bereits am 11. August 1914, wenige Tage nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, hatte Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg in einem Erlass an den deutschen Botschafter in Wien die „Insurgierung der Ukraine“ – d.h. die Auslösung eines Aufstands mit dem Ziel, eine Deutschland-freundliche Regierung an die Macht zu bringen – als wichtiges Kriegsziel und „Kampfmittel gegen Russland“ genannt.

„Die deutsche Reichsführung kam also nicht erst Anfang 1918 in Brest-Litowsk … auf den Gedanken, einen selbständigen ukrainischen Staat zu schaffen, sondern hatte bereits in der zweiten Kriegswoche die Loslösung der Ukraine von Russland zum Ziel der amtlichen deutschen Politik erklärt und daran als Fernziel für den Fall eines Diktatfriedens festgehalten“, kommentiert dies der Historiker Fritz Fischer in seinem Buch „Griff nach der Weltmacht“, dem klassischen Werk über die deutschen Kriegsziele im Ersten Weltkrieg.

Nachdem das Deutsche Reich die junge Sowjetregierung im März 1918 im Friedensvertrag von Brest-Litowsk gezwungen hatte, ihre Ansprüche auf die Ukraine aufzugeben, ging es zielstrebig zu Werk. Es ließ sich von der machtlosen ukrainischen Rada „zu Hilfe“ rufen, besetzte die Ukraine, errichtete eine von Berlin abhängige pseudodemokratische Regierung und begann zielstrebig, die Landwirtschaft, die Eisenerz- und Kohlegruben, die Eisenbahn und die Banken im Interesse der deutschen Wirtschaft neu zu ordnen. Als es mit der Rada darüber zu Differenzen kam, organisierte die Reichwehr kurzerhand einen Putsch und setzte den früheren zaristischen Gardeoffizier und Großgrundbesitzer Pavlo Skoropadski als „Hetman“ der Ukraine ein. Erst die deutsche Niederlage an der Westfront und die Novemberrevolution in Deutschland machten diesem Spuk ein Ende.

Die Eroberungspolitik der Nazis im Zweiten Weltkrieg knüpfte dann nahtlos an die deutschen Kriegsziele im Ersten Weltkrieg an. Erneut diente die Ukraine, mittlerweile Bestandteil der Sowjetunion, als Aufmarschgebiet gegen das russische Kernland; erneut versuchte Deutschland, die gewaltigen Anbauflächen und Rohstoffe der Ukraine in den Dienst seiner Kriegswirtschaft zu stellen; und erneut bediente es sich dabei der Unterstützung einheimischer Kollaborateure.

Eine zentrale Rolle spielte dabei die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) Stepan Banderas, der heute von Swoboda als Vorbild und Held verehrt wird. Die Zusammenarbeit zwischen Bandera und den Nazis war nicht nur taktischer Natur, sondern erstreckte sich auch auf den Holocaust. So verübte der von Bandera geführte Flügel der OUN in der Stadt Lemberg am 30. Juni 1941, noch vor Einmarsch der regulären deutschen Truppen, ein Massaker, dem rund 7.000 Kommunisten und Juden zum Opfer fielen.

Allein die Tatsache, dass die deutsche Regierung mit den Verehrern eines solchen Nazi-Kollaborateurs zusammenarbeitet, hätte früher jeden kritischen Journalisten alarmiert. Heute gilt dies als selbstverständlich, wird hingenommen, verharmlost und gerechtfertigt. Und das im Interesse einer Politik, die nicht nur die ganze Region destabilisiert, sondern auch die Gefahr eines internationalen bewaffneten Konflikts und eines – für die Menschheit tödlichen – Atomkriegs heraufbeschwört.

Wie ist dieser Wandel zu erklären?

Erstens wurde er lange vorbereitet. Seit der Wiedervereinigung hat Deutschland seinen politischen und wirtschaftlichen Einflussbereich systematisch nach Osten ausgedehnt. Die ehemaligen Ostblockstaaten sind heute fast alle Mitglieder der EU und der Nato. Sie dienen der deutschen Industrie als verlängerte Werkbank mit Löhnen, die teilweise niedriger als in China sind.

Doch der Appetit des deutschen Imperialismus endet nicht an der Grenze der ehemaligen Sowjetunion. Lange Zeit – und nicht ohne Erfolg – versuchte Deutschland, seine wirtschaftlichen Interessen dort in Absprache mit dem Putin-Regime zu verfolgen, das die Interessen der russischen Oligarchen vertritt. Doch das scheiterte schließlich an der Haltung der USA, die das internationale Gewicht Russlands aus geostrategischen Gründen schmälern wollten – vor allem nachdem ihnen Putin in Syrien und Iran in die Quere gekommen war und dem Whistleblower Edward Snowden Asyl gewährt hatte.

Nun schwenkt die deutsche Außenpolitik wieder auf einen Konfrontationskurs mit Russland ein und knüpft dabei an historische Traditionen an.

Zweitens steht die aggressive Außenpolitik in engem Zusammenhang mit der Verschärfung der Angriffe auf die Arbeiterklasse in Deutschland und ganz Europa. Seit der Finanzkrise 2008 diktiert Berlin der EU eine Spar- und Arbeitsmarktpolitik, die große Teile der Bevölkerung zwingt, zu sinkenden Löhnen immer härter zu arbeiten. In Griechenland hat Berlin ein Exempel statuiert und den Lebensstandard der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung in wenigen Jahren um 40 Prozent reduziert. Auch das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine ist an die Voraussetzung massiver Sozialkürzungen und einer Verdreifachung des Gaspreises geknüpft.

Gleichzeitig sammelt eine kleine Oberschicht sagenhafte Reichtümer, dominiert die politischen Parteien und die Medien und greift immer offener zu diktatorischen Methoden, um ihre Herrschaft zu verteidigen. Dieselbe Rücksichtslosigkeit legt sie nun auch in der Außenpolitik an den Tag. Klassenkrieg im Innern und Krieg nach außen sind untrennbar miteinander verbunden.

Und drittens wurde die Rechtswende in der Außenpolitik ideologisch vorbereitet. Der Historiker Ernst Nolte, der 1986 mit seiner Verharmlosung des Nationalsozialismus den sogenannten Historikerstreit ausgelöst hatte, wurde nach der deutschen Wiedervereinigung systematisch rehabilitiert. Bereits 2000 erhielt er den Konrad-Adenauer-Preis der Deutschland-Stiftung, den vor ihm bereits Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble in Empfang genommen hatten.

Im Februar dieses Jahres erschien Der Spiegel mit einem langen Artikel, der Nolte rehabilitiert. Jörg Baberowski, Lehrstuhlinhaber für Geschichte Osteuropas an der Berliner Humboldt Universität, wird darin mit den Worten zitiert: „Nolte wurde Unrecht getan. Er hatte historisch recht.“ Im selben Artikel bezeichnet Baberowskis Kollege Herfried Münkler die Forschung Fritz Fischers über die deutschen Kriegsziele als „im Prinzip hanebüchen“.

Außer der World Socialist Web Site hat niemand diese empörenden Äußerungen verurteilt. Sie werden – zumindest Milieu der Universitäten und der Medien– akzeptiert und kommentarlos hingenommen. Der Boden für die Zusammenarbeit mit faschistischen Strömungen und die Unterstützung einer aggressiven militärischen Außenpolitik ist so systematisch geebnet worden.

Es ist höchste Zeit, dieser Entwicklung entgegenzutreten, die die heutige junge Generation mit ähnlichen Katastrophen bedroht, wie sie ihre Urgroßväter zwischen 1914 und 1945 erlebten. Das erfordert eine politische Perspektive, in deren Mittelpunkt der Kampf für soziale Gleichheit, die internationale Einheit der Arbeiterklasse und die Abschaffung des kapitalistischen Systems stehen, das der Menschheit nichts zu bieten hat außer sozialem Niedergang und Krieg.

Loading