Oskar-Preisverleihung 2014: Das Leben hier, die Filmindustrie dort

Die Oskar-Preisverleihung 2014, die am 2. März stattfand, war eine weitere entsetzlich schwache Vorstellung der amerikanischen Filmindustrie, die kaum einen Reiz hatte, und keine Spuren oder Erkenntnisse hinterließ. Auf dem Programm standen vielmehr Selbstbezogenheit und ein Sich-Selbst-Beklatschen. Einige fraglos talentierte Persönlichkeiten gaben sich die Ehre, doch ihre Leistungen werden derzeit überwiegend für Triviales oder Irreführendes verschwendet.

Alfonso Cuaróns Gravity, ein Science-Fiction-Film mit quasireligiösen Untertönen (den beträchtliche Erfolge an den Kinokassen begleiteten), erhielt sieben Oskars; Cuarón bekam den Preis für den besten Regisseur. Steve McQueens rücksichtslos brutaler Streifen 12 Years a Slave [12 Jahre ein Sklave], der auf den Erinnerungen des ehemaligen Sklaven Solomon Northup aus dem Jahr 1853 basiert, gewann drei Preise, darunter für den besten Film und für die beste Nebendarstellerin, den Lupita Nyong’o erhielt.

Matthew McConaughey und Jared Leto gewannen Oskars für den jeweils besten Haupt- und Nebendarsteller, für ihre Rollen in Jean-Marc Vallées in den 1980er Jahren spielenden Aids-Drama Dallas Buyers Club, einem wohlmeinenden und bewegenden Film. Cate Blanchett erhielt den Preis für die beste Hauptdarstellerin für ihre Rolle in Woody Allens grandios plattem Streifen Blue Jasmine. Regisseur Spike Jonze trug den Preis für das beste Originaldrehbuch nach Hause.

Weder David O. Russell’s American Hustle, in zehn Kategorien nominiert, noch Alexander Paynes Nebraska oder Paul Greengrass’ Captain Phillips, beide nominiert in sechs, noch Martin Scorseses The Wolf of Wall Street, nominiert in fünf, noch Stephen Frears’ Philomena, der in vier Kategorien nominiert war, gewannen einen einzigen Oskar.

Während kurz vor der Preisverleihung der “rote Teppich” ausgelegt wurde, sagte einer der Showproduzenten zu Robin Roberts von ABC: “Alles ist möglich.” Sind Worte denkbar, die weiter von der Wahrheit entfernt sind?

Abgesehen von der Preisverteilung selbst war das dreieinhalbstündige Programm durch und durch hohl und vorhersagbar. Moderatorin Ellen DeGeneres, zum zweiten Mal bei der Oskarverleihung zugegen, war erwartungsgemäß langweilig, witzlos und selbstzufrieden. Ich bin nicht der einzige, der das wahrnahm. Ein Kommentator bemerkte online, ihre Komik habe „absolut keinen Biss oder ist irgendwie bemerkenswert.“ DeGeneres’ wichtigste Komikeinlage, ein Running Gag über eine Pizzalieferung an verwöhnte Publikumsgäste, war so infantil, dass man sie besser nicht bespricht.

Das Thema des Abends war „Helden in Hollywood“, wenngleich niemandem übel genommen werden kann, wenn er das nicht wahrnahm. Aus diesem Anlass wurden ein paar Montagen verschiedener, teils einander widersprechender Filmausschnitte vorgeführt.

Zweifellos spielen viele zufällige und willkürliche Faktoren beim Auswahlprozess der Gewinner in Hollywood eine Rolle. Geld, Karrierismus und hochgradige Subjektivität sind die Zutaten dieser scheußlichen und unappetitlichen Mischung. Die endgültige Wahl macht indessen, wenn man sie mit etwas Distanz betrachtet, ein gewisses Maß an gesellschaftlichem und intellektuellem Sinn.

Die gehobenen liberalen Mittelschichten in der Filmindustrie, ebenso wie Ihresgleichen im ganzen Land (und weltweit), sind vor Allem besessen von der Rassen- und Genderthematik. Hand in Hand mit diesem Thema geht ihr Glaube, dass sie die am edel gesinntesten und irgendwie am wenigsten materiell orientierten Persönlichkeiten seien, und dass sie wirklich – gäbe ihnen das Leben bloß einmal diese Chance – auch ohne großes Einkommen, geräumige Häuser, Swimmingpools, Autos und diesen ganzen Kram gut auskommen würden!

Folglich versteht man, wie die Jury 12 Years a Slave, einen “brutalen” und „unerschrockenen“ Film, der wenig Licht auf die Sklaverei als gesellschaftliches Phänomen wirft, und Dallas Buyers Club, einen mit seiner Schwulenthematik in jedem Aspekt an sich würdigen Film, wählen und Nebraska, einen Film, der das soziale Leben des Gegenwartsamerikas mit einer gewissen Schonungslosigkeit behandelt, vollkommen übergehen konnten. Die soziale Not und die Bedingungen der Arbeiterklasse interessieren Hollywood wenig, insbesondere wenn diese, zumindest implizit, ein unvorteilhaftes Licht auf die Obama-Regierung werfen könnten.

Und es lässt sich, um ganz ehrlich zu sein, überhaupt nicht sagen, dass das Thema Sklaverei in 12 Years a Slave (noch viel weniger lässt sich das über Quentin Tarantinos Django Unchained sagen) halbwegs mit Ernsthaftigkeit angegangen würde. Die drei Preisträger für 12 Years a Slave, McQueen, Nyong’o und Drehbuchschreiber John Ridley sagten bei ihren Ansprachen während der Preisannahme kaum ein Wort zu den historischen Zusammenhängen.

Bemerkenswerterweise las McQueen als erstes die Namen von sechzehn Persönlichkeiten und fünf Filmunternehmen von einem Blatt ab, würdigte darauf seine Familie um dann schließlich, fast als hätte er es sich nachträglich wieder anders überlegt, den Preis kurzentschlossen „allen Menschen, die Sklaverei erdulden mussten“ zu widmen. Nyong’o besaß den Anstand, darauf hinzuweisen, dass “so viel Freude in meinem Leben sich dem vielen Leid im Leben von jemand Anderem verdankt“, bevor sie überging zu jenen Leuten aus der Industrie, denen sie zu danken hatte, wie auch „der Dramaturgieschule in Yale“. Ridley, der mit „Ich begann vor langer Zeit mit dem Schreiben von Sitcoms“ anfing, beschränkte sich darauf, Solomon Northups Namen zu erwähnen.

Einen Film über Sklaverei zu drehen, ist für Leute dieses Schlages in erster Linie ein gerissener Clou, der die Karriere befördert, aber kein Anzeichen für ein Bekenntnis zu einem Kampf gegen Unterdrückung, weder vergangener noch jetziger.

Der wichtigste nominierte Film aller Kategorien, Hany Abu-Assads Omar (für den besten fremdsprachigen Film), der die israelische Unterdrückung der Palästinenser in scharfen und deutlichen Farben schildert, wurden ebenso übergangen, wahrscheinlich ohne irgendjemanden zu überraschen oder zu schockieren.

In der Kategorie bester Dokumentarfilm schlug 20 Feet from Stardom [Zwanzig Schritte vom Ruhm], ein ordentlich gemachter Film über Backgroundsänger, drei andere Filme, die sich jeweils mit unterschiedlichem und begrenztem Erfolg kritischen Aspekten gesellschaftlicher oder historischer Realität widmen: Joshua Oppenheimers The Act of Killing [Der Akt des Tötens] (über das Massaker von 1965 in Indonesien); Richard Rowley und Jeremy Scahills Dirty Wars [Schmutzige Kriege] (über Amerikas „globalen Krieg gegen den Terror“) und Jehane Noujaims The Square [Der Platz] (über die Ereignisse in Ägypten seit 2011).

Alles in Allem zeigten sich die Filmindustrie und ihre führenden Persönlichkeiten am 2. März einmal mehr von ihrer übelsten Seite.

Ein Beobachter merkte spöttisch an, dass der vielleicht größte Applaus an diesem Abend Kevin Spacey und dem flüchtigen Eindruck galt, welchen er in der Rolle des Frank Underwood in House of Cards [Kartenhaus] hinterließ…einer Fernsehserie.

Beim Betrachten dieses sonntagnächtlichen Humbugs musste man glauben, eine exotische, isolierte kleine Sippschaft vor sich zu haben, deren Mitglieder selten einmal einen Fuß nach draußen setzen. Die Dankesreden bezogen sich fast niemals auf die äußere Welt. Einzig Leto zollte „allen Träumern Anerkennung, die diese Nacht dort draußen in der Welt, an Orten wie der Ukraine und Venezuela zuschauen“. Jeder dankte seinem Agenten, Publizisten, zahllosen Studioverantwortlichen, Schauspielerkollegen und Familienangehörigen. Blanchett befand für nötig, ihren Dank noch den „Haar- und Makeupleuten“ auszurichten. Traurig aber wahr: McConaughey bezeigte selbst dem Allmächtigen seinen Dank.

Die Schauspieler sind so etwas wie leichte Zielscheiben, besonders während dieses gesellschaftlichen Ereignisses. Zunächst einmal tendiert man immer noch manchmal dazu, den Fehler zu begehen, einen Schauspieler direkt mit seiner Rolle zu identifizieren und dann zu erwarten, er oder sie werde im Privaten mit derselben Art von Tiefe kommunizieren wie auf der Leinwand. Rolle und Schauspieler sind selten identisch; bisweilen können sie ziemlich gegensätzlich sein. Und so sahen wir am Sonntag einige sehr talentierte Schauspieler, die sich töricht benahmen und einige geistlose und unbedarfte Dinge zum Besten gaben.

Es würde mehr sozialen Anstoßes verlangen als die gegenwärtige Situation bietet, damit Schauspieler sowie Autoren und Regisseure dem Druck, den ihre Publizisten, Agenten, Studiomanager, Mitläufer und die Medien auf sie ausüben, standhalten und sich eine kritischere oder selbstkritischere Haltung aneignen könnten.

Zu jenen, die Sonntagnacht einen vorteilhafteren Eindruck hinterließen, gehören Spacey, Jim Carrey (der dadurch sehr vorteilhaft heraussticht, dass er wie ein Außenseiter und Unzufriedener aussieht und spielt) und die Sängerin Darlene Love. Die 88-jährige Angela Lansbury erhielt einen wohlverdienten Ehren-Oskar. Blanchett zeigte ein gewisses Ausmaß an Courage, wie man unter den gegenwärtigen Bedingungen annehmen muss, indem sie Woody Allen, der zurzeit zum Hassobjekt in einer Schmutzkampagne stilisiert wird, namentlich dankte.

Der Rest ist mehr oder weniger Schweigen (oder Schlimmeres).

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