Die Zeit wirbt für Rückkehr zur Wehrpflicht

Einen Tag nachdem US-Präsident Barack Obama in Brüssel die NATO auf einen scharfen Konfrontationskurs mit Russland eingeschworen hat, wirbt die zweitgrößte deutsche Wochenzeitung, Die Zeit, für die Wiedereinführung der Wehrpflicht.

Zeit-Redakteur Peter Dausend stellt in der Ausgabe vom Donnerstag die Ausrichtung der Bundeswehrreform in Frage, die darauf abzielt, die Bundeswehr aus einer territorialen Verteidigungs- und Abschreckungsarmee in eine international agierende, mit modernen Waffensystemen ausgerüstete Eingreiftruppe zu verwandeln. Seit Mitte der 1980er Jahre wurde die Truppenstärke von knapp einer halben Million auf derzeit 175.000 reduziert. Vor drei Jahren wurde die Wehrpflicht abgeschafft.

Für Dausend stellt die Reform nun eine „Sicherheitspolitik im Paralleluniversum“ dar. Denn die derzeitige Konfrontation mit Russland werfe die Frage der Landes- und Bündnisverteidigung wieder auf. Der Verteidigungsfall der NATO sei „mit dem Zugriff Russlands auf die Krim ein gutes Stück wahrscheinlicher geworden“.

„Die NATO endet heute nicht mehr, wie im Kalten Krieg, an Mauer und Todesstreifen im geteilten Deutschland, sondern an der Grenze zwischen den baltischen Staaten und Russland“, so Dausend. Im Falle einer militärischen Konfrontation mit Russland sei „die Bundeswehr kaum in der Lage, effektiv zu verteidigen“.

Dausend beruft sich auf den ehemaligen Generalinspekteur der Bundeswehr und derzeitigen Sicherheitsberater der Bundesregierung, Harald Kujat. Er habe die Bundesregierung infolge der Krimkrise als erster zu einer „grundlegenden Neubewertung“ der sicherheitspolitischen Lage aufgefordert. „Meiner Meinung nach bedeutet das, dass die Landesverteidigung als Bündnisverteidigung wieder ins Zentrum der Überlegungen gehört“, zitiert er Kujat.

Auf Zeit Online fügt Kujat hinzu: „Entweder wird der Soldatenberuf deutlich attraktiver, also erkennbar auch besser bezahlt – oder man führt die Wehrpflicht wieder ein.“ Letzteres sei wahrscheinlicher.

Kujat fordert auch eine massive Aufrüstung der Bundeswehr. Im Falle eines russischen Angriffs auf die baltischen Staaten „fehlen allein schon die Flugzeuge, um schweres Gerät rasch in die Krisenregion verlegen zu können“, zitiert ihn Die Zeit. Die Bundeswehr habe „zu wenig Kampfflugzeuge, Kampfhubschrauber, zu wenig schwere Waffen – und vor allem zu wenig Soldaten“.

Auch der frühere NATO-General Egon Ramms erklärte in der Bild-Zeitung: „Wir brauchen die Wehrpflicht. Deutschland kann die Landesverteidigung im Bündnisfall anders nicht gewährleisten. Auf freiwilliger Basis schon gar nicht. Wir brauchen aber auch die nötige Ausrüstung für einen solchen Fall. Mit dem Material, das wir jetzt haben, ist das nicht zu machen.“

Die Forderungen von Dausend, Kujat und Ramm entsprechen der neuen Linie der deutschen Außenpolitik. Anfang Februar hatten Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, Bundespräsident Joachim Gauck sowie Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) auf der Münchener Sicherheitskonferenz erklärt, die Zeit deutscher militärischer Zurückhaltung sei vorbei. Deutschland sei „zu groß und zu wichtig“, als dass es sich noch länger darauf beschränken könne, die „Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren“.

Dass Vorgehen in der Ukraine und die Konfrontation mit Russland gelten seither als Testfall dafür, ob die Bundesregierung bereit ist, diesen aggressiven außenpolitischen Kurs zu verfolgen.

Am Samstag erklärte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) dem Spiegel: „Jetzt ist für die Bündnispartner an den Außengrenzen wichtig, dass die NATO Präsenz zeigt.“ Am Tag danach fügte sie in der ARD hinzu, Russland müsse deutlich gemacht werden, dass „die NATO nicht nur auf dem Papier besteht“.

Auch andere europäische Staaten rüsten auf. Am Mittwoch kündigte der polnische Premierminister Donald Tusk an, er werde den Verteidigungsetat weiter erhöhen und die militärische Zusammenarbeit mit den USA ausweiten. Schon jetzt sind im Haushalt 30 Milliarden Euro vorgesehen, um die polnischen Streitkräfte in den nächsten zehn Jahren zu modernisieren.

Die Wiedereinführung der Wehrpflicht hätte verheerende Folgen für Jugendliche, die in den 1990er Jahren und später geboren wurden. Sie würden, wie ihre Urgroßväter 1914 und ihre Großväter 1939, wieder zum Kanonenfutter für den deutschen Imperialismus.

Im 19. Jahrhundert war Preußen das einzige europäische Land, das nach den napoleonischen Kriegen die Wehrpflicht beibehielt. In den Kriegen zur Niederschlagung der demokratischen Revolution von 1848, gegen Österreich, Dänemark und Frankreich und im Ersten Weltkrieg wurden dann Millionen junge Männer geopfert.

Der Versailler Vertrag schaffte die Wehrpflicht ab, und erst Hitler führte sie im März 1935 wieder ein. Die Reichswehr wurde in Wehrmacht umbenannt und die Wehrpflicht im August 1936 von einem auf zwei Jahre verlängert. Zwischen 1939 und 1945 starben dann erneut Millionen auf den Schlachtfeldern Europas und Nordafrikas.

Als 1955 die Bundeswehr gegründet und 1956 die Wehrpflicht erneut eingeführt wurde, gab es Massendemonstrationen dagegen. In Kriegseinsätze wurden deutsche Soldaten allerdings erst 1999 wieder geschickt, im Rahmen des Nato-Kriegs gegen Jugoslawien.

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