Perspektive

Die neue Regierung in Frankreich

Die Ernennung von Manuel Valls zum französischen Ministerpräsidenten ist Bestandteil eines scharfen Rechtsrucks der politischen Eliten in ganz Europa.

Präsident François Hollande hat auf die Niederlage seiner Sozialistischen Partei (PS) bei den Kommunalwahlen reagiert, indem er der Arbeiterklasse den Krieg erklärt. Valls’ Aufgabe besteht darin, die umfangreichsten Sozialkürzungen und Arbeitsmarktreformen in der Geschichte Frankreichs durchzuführen. Der bisherige Innenminister hat sich für diese Aufgabe durch seine neoliberalen Wirtschaftsauffassungen, seine Law-and-Order-Politik und sein rabiates Vorgehen gegen Flüchtlinge und Roma qualifiziert. Er wird abwechselnd als „französischer Blair“, als „französischer Schröder“ oder als „linker Sarkozy“ bezeichnet.

Die Einsparungen im Staatshaushalt von 50 Mrd. Euro bis 2017, die Valls’ Vorgänger Jean-Marc Ayrault bereits geplant hat, sind nur der Anfang. Die internationalen Finanzmärkte und ihre Exekutivorgane, der IWF und die EU-Kommission, bestehen auf einer massiven Senkung der öffentlichen Ausgaben. Sie liegen derzeit bei 56 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – im Vergleich zu 45 Prozent in Deutschland. Um ein ähnliches Niveau zu erreichen, müsste Frankreich seine öffentlichen Ausgaben um jährlich 200 Mrd. Euro senken. Um das Außenhandelsdefizit von 60 Milliarden Euro zu reduzieren, verlangt die französische Wirtschaft außerdem radikale Einschnitte bei den Löhnen und Arbeitsbedingungen.

Die Verwirklichung eines solchen Programms durch eine Regierung der Sozialistischen Partei ist Wasser auf die Mühlen des rechtsextremen Front National (FN), der schon in den Kommunalwahlen deutliche Gewinne erzielt hat. Marine le Pen kann in doppelter Hinsicht von Valls’ Politik profitieren: Seine sozialen Angriffe erlauben es ihr, sich als Anwältin der kleinen Leute darzustellen, seine Hetze gegen Immigranten, ihren eigenen Rassismus salonfähig zu machen.

Die Stärkung des Front National ist kein unerwünschter Nebeneffekt, sondern politisch gewollt. Valls bereitet Angriffe auf die Abeiterklasse vor, die sich nicht mit demokratischen Methoden verwirklichen lassen. Die herrschende Klasse freundet sich zusehends mit dem Gedanken an, auf die brutalen Methoden der Faschisten zurückzugreifen, um den Klassenkampf zu unterdrücken. In der konservativen UMP wächst der Flügel, der eine Zusammenarbeit mit dem FN befürwortet, und in der Sozialistischen Partei und ihrem pseudolinken Umfeld gibt es nicht wenige, die dazu ebenfalls bereit sind.

Das gilt nicht nur für Frankreich. Die jüngsten Ereignisse in Kiew stellen in dieser Hinsicht einen Dammbruch dar. Führende Regierungsvertreter aus Europa und den USA haben dort aufs engste mit der rechtsextremen Partei Swoboda und faschistischen Milizen zusammengearbeitet, um den gewählten Präsidenten zu stürzen und einer pro-westlichen Regierung an die Macht zu verhelfen, die eine brutale Austeritätspolitik verfolgt und ihnen als Stützpunkt für die militärischer Umzingelung Russlands dient.

Die pseudolinken Parteien im Umfeld der Sozialistischen Partei beklagen sich bitter über Valls Ernennung zum Regierungschef. „Die Regierung, die der ehemalige erste Polizist Frankreichs gebildet hat, stellt sich als Regierung des anti-sozialen Kampfs dar“, lamentiert die Neue Antikapitalistische Partei (NPA). Der Sprecher der Kommunistischen Partei (PCF) wirft dem Präsidenten eine hartnäckige Weigerung vor, „den wirklichen Zustand des Landes und das Ausmaß der Erwartungen und der Leiden zu bedenken“. Und die Linkspartei (PdG) klagt, die neue Regierung „diene offensichtlich noch stärker einer Politik der Austerität, der Angebotsorientierung und der Zerschlagung dessen, was vom sozialen Modell Frankreichs übrig geblieben ist“.

Dieses Gejammer dient dazu, die eigenen Spuren zu verwischen. Die drei Parteien und ihre Vorgänger haben die Sozialistische Partei jahrzehntelang verteidigt, unterstützt, mit ihr zusammengearbeitet und zu ihrer Wahl aufgerufen – und werden das auch weiterhin tun. Sie haben alles unternommen, um zu verhindern, dass die Arbeiterklasse eine Alternative zu einer Partei aufbaut, die jetzt den Weg für die Faschisten vom Front National ebnet.

Wer die Geschichte der Sozialistischen Partei kennt, kann von Hollandes Entscheidung, Valls an die Spitze der Regierung zu setzen, nicht überrascht sein. Die Partei war stets den Interessen des Finanzkapitals und der Verteidigung des französischen Kapitalismus verpflichtet. Wenn sie gelegentlich linke Phrasen von sich gab, dann ausschließlich, um die französischen Arbeiter mit ihrer militanten Tradition besser täuschen und kontrollieren zu können.

Die Sozialistische Partei wurde 1969 als Reaktion auf den Generalstreik vom Mai/Juni 1968 gegründet, der die bürgerliche Herrschaft in ihren Grundfesten erschüttert hatte. François Mitterrand, der 1971 ihre Führung übernahm, war ein rechter, bürgerlicher Politiker. Er hatte seine politische Karriere unter dem Vichy-Regime begonnen und während des Algerienkriegs als Innen- und Justizminister eine üble Rolle gespielt. Nun wurde er von der Kommunistischen Partei unterstützt, die ihren Einfluss in der Arbeiterklasse nutzte, um Illusionen in eine Präsidentschaft Mitterrands zu wecken.

Als Mitterrand dann 1981 tatsächlich Präsident wurde, dauerte es keine zwei Jahre, bis er Farbe bekannte. Unter dem Druck der Finanzmärkte schwenkte er auf einen rigiden Austeritätskurs ein. Am Ende seiner zweiten Amtszeit hatten die Sozialisten ihren Einfluss verspielt und der Gaullist Jacques Chirac zog 1995 ins Präsidentenamt ein. Er hatte seine Rechnung allerdings ohne die Arbeiterklasse gemacht, die im folgenden Winter mit einer mehrwöchigen Streikwelle das Land lahm legte.

Um die Lage unter Kontrolle zu bringen, entschloss sich Chirac schließlich zu vorgezogenen Neuwahlen, die die Sozialisten zurück an die Regierung brachten. In den folgenden fünf Jahren regierten Präsident Chirac und der sozialistische Regierungschef Lionel Jospin einträchtig gegen die Arbeiterklasse. Am Ende war Jospin derart diskreditiert, dass er bei der Präsidentenwahl 2002 auf dem dritten Platz hinter Chirac und dem damaligen FN-Führer Jean-Marie Le Pen landete.

Die Sozialistische Partei hätte ihre Rolle nicht ohne die Unterstützung der kleinbürgerlichen Gruppen spielen können, die in Frankreich fälschlicherweise als „extreme Linke“ bezeichnet werden. In den 1970er Jahren unterstützten sie das Wahlbündnis von Sozialistischer und Kommunistischer Partei. Unter Mitterrands Präsidentschaft sorgten sie dafür, dass Proteste gegen die Regierungspolitik unter der Kontrolle der Gewerkschaften blieben und ins Leere liefen.

In der ersten Runde der Präsidentenwahl 2002 entfielen dann über zehn Prozent der Stimmen auf Kandidaten, die sich selbst (zu Unrecht) als Trotzkisten bezeichneten – Arlette Laguiller von Lutte Ouvrière (LO), Olivier Besancenot von der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) und Daniel Gluckstein vom Parti des Travailleurs (PT). Sie reagierten in Panik. Einen aktiven Boykott der Wahl, zu dem das Internationale Komitee der Vierten Internationale aufrief und der der Arbeiterklasse ein unabhängiges Eingreifen erlaubt hätte, lehnten sie strikt ab. Stattdessen stellten sie sich direkt oder indirekt hinter den gaullistischen Kandidaten Chirac, von dem sie behaupteten, er werde den Vormarsch Le Pens stoppen.

Seither sind diese Gruppen weiter nach rechts gegangen. Die LCR hat sich in der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) aufgelöst und jeden historischen Bezug zum Trotzkismus von sich gewiesen. Sie wirbt für die französischen Kolonialkriege in Libyen und Syrien und unterstützt den Putsch in der Ukraine, einschließlich der Rolle der Faschisten. Sie wird auch mit Valls zusammenarbeiten, wenn nicht sogar mit Le Pen. LO und der PT stecken tief in den Gewerkschaften, der wichtigste Stütze der Regierung beim Angriff auf Arbeitsbedingungen und Löhne.

Auf die Ernennung Valls hat das gesamte pseudolinke Spektrum mit dem Aufruf zu einem „nationalen Marsch gegen Austerität“ am 12. April in Paris reagiert. Er wird ebenso fruchtlos bleiben, wie zahlreiche frühere derartige Märsche. Seine Aufgabe besteht darin, die Lehren aus der Vergangenheit zu vertuschen und die Entwicklung einer politisch unabhängigen Bewegung der Arbeiterklasse gegen Valls und seine Regierung zu verhindern.

Um der faschistischen Gefahr entgegenzutreten, muss eine neue Partei aufgebaut werden, die der herrschenden Klasse den Kampf ansagt und der Arbeiterklasse eine klare sozialistische und internationale Orientierung gibt – eine französische Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.

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