Perspektive

IWF-Bericht: Kein Ende des Wirtschaftszusammenbruchs abzusehen

Fast sechs Jahre nach Ausbruch der globalen Finanzkrise erklärte der Internationale Währungsfond (IWF) eine Rückkehr zu den Wirtschaftswachstumszahlen, die dem September 2008 vorhergingen, für praktisch ausgeschlossen.

Die beiden Hauptkapitel des Weltwirtschaftsausblicks des IWF, der anlässlich der Frühjahrstagung veröffentlicht wurde, die Ende der Woche in Washington stattfinden wird, bieten eine düstere Einschätzung des Zustandes der Weltwirtschaft. In den fortgeschrittenen Industrieländern gehen Investitionen anteilmäßig zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) zurück, während für die „aufstrebenden Märkte“ keine Aussicht zur Rückkehr der Wachstumsraten besteht, die vor 2007 erzielt wurden.

Der IWF stellt fest, dass die Realzinsraten seit den 1980er Jahren sinken und “gegenwärtig leicht negatives Gebiet erreicht haben“. Doch dies steigerte nicht die produktiven Investitionen. Im Gegenteil. Was im Bericht als durch die Finanzkrise verursachte „Schrammen“ bezeichnet wird, „entwickelte sich zu einem steilen und andauernden Investitionsrückgang in den fortgeschrittenen Wirtschaften.“ Zwischen 2008 und 2013 gab es in diesen Staaten einen Rückgang der Investitionen im Verhältnis zum BIP von zweieinhalb Prozentpunkten. Der Bericht ergänzt, dass die Investitionsquoten „sich in vielen Industrieländern in den nächsten fünf Jahren wahrscheinlich nicht auf das Vorkrisenniveau erholen werden.“

Diese Schlussfolgerung ist von immenser Bedeutung. Investitionen spielen eine entscheidende Rolle für die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Wirtschaft. Unter den Bedingungen, die als „normal“ gelten, stellt die Investition – die Ausdehnung des Produktionspotenzials – die ausschlaggebende Triebkraft kapitalistischen Wirtschaftswachstums dar. Investitionen, die in Erwartung zukünftiger Profite getätigt werden, schaffen Nachfrage auf den Arbeits-, den Maschinen- und Rohstoffmärkten und den Märkten für Produktionsmittel ganz allgemein. Dies seinerseits führt zu weiterer Nachfrage und ausgedehnteren Profitmöglichkeiten, mit denen weitere Investitionen angeregt werden. So wird ein gesunder Wirtschaftskreislauf in Gang gesetzt.

Stagnieren aber die Investitionen, oder gehen sie gar zurück, dann verwandelt er sich in einen Teufelskreis. Das findet gerade statt.

Der IWF stellt es folgendermaßen dar: “Eine große Sorge ist die Möglichkeit einer längerfristigen Periode sehr niedrigen Wachstums (‘säkulare Stagnation’) in den Industrieländern, insbesondere dann, wenn neue Schocks diese Ökonomien treffen oder wenn politische Maßnahmen die Krisenauswirkungen nicht wie erwartet beheben.“

Düster schreibt der IWF, dass “die Tatsachen (…) nahelegen, dass eine volle Umkehr der rückgängigen Investitionen in den fortgeschrittenen Wirtschaften unwahrscheinlich ist.“ Mit anderen Worten: Es gibt in absehbarer Zukunft keine Aussicht auf eine echte Wirtschaftserholung.

Die Situation ist in den “aufstrebenden Märkten” nicht besser, die einst als neue Basis für die globale kapitalistische Expansion angepriesen wurden. Der IWF lässt vernehmen: „Die jüngste Verlangsamung der Wirtschaften der aufstrebenden Märkte und Entwicklungsländer löste in politischen Kreisen viel Angst aus.“

Während sich diese Wirtschaften in den Jahren 2009-2010 viel stärker als die fortgeschrittenen Wirtschaften erholt hatten, verlangsamte sich indessen anschließend das Wachstum und „liegt nun beträchtlich unterhalb den vor der Finanzkrise verzeichneten Werten.“

In der Periode der Erholung war die Rede von der “Entkoppelung” Mode geworden. Doch die aufstrebenden Märkte und Entwicklungswirtschaften erwiesen sich als hochanfällig für ökonomische Tendenzen in der übrigen Welt.

Der IWF fand heraus, dass Chinas Beitrag zu dem zweiprozentigen Rückgang des Wachstums der aufstrebenden Märkte seit 2012 einen halben Prozentpunkt ausmacht. Andere externe Faktoren summieren sich auf einundeinviertel Prozentpunkte und der übrige Viertelprozentpunkt entfällt auf andere, vorwiegend interne Faktoren.

Diese Ökonomien “werden sich wahrscheinlich komplizierteren und schwierigeren Wachstumsbedingungen ausgesetzt sehen, als sie vor der globalen Finanzkrise herrschten und die meisten externen Faktoren solches Wachstum begünstigten,“ stellt der Bericht fest.

Sobald die Zinssätze in den Vereinigten Staaten nur gering ansteigen, dann werden, wie schon im Sommer 2013 und zu Beginn dieses Jahres zu sehen war, „die aufstrebenden Märkte leiden.“ Sie werden sogar durch langsames Wachstum in China nachteilig beeinflusst.

Den Treffen, die diese Woche vom IWF veranstaltet werden, sind Warnungen der geschäftsführenden IWF-Direktorin Christine Lagarde vorangegangen, in denen sie der Welt „Jahre geringen und unterdurchschnittlichen Wachstums“ ankündigte, falls die Staaten nicht zusammenkommen, um die „richtigen politischen Maßnahmen zu ergreifen.“ Aber nach sechs Jahren globaler Krise gibt es keine klaren Hinweise darauf, wie diese „richtigen Maßnahmen“ aussehen könnten – außer noch weitergehenden Angriffen auf die Bedingungen und sozialen Rechte der Arbeiterklasse.

In den Vereinigten Staaten, stellte Lagarde fest, habe man bei der Schaffung von Arbeitsplätzen “ das Potential nicht ausgeschöpft.” Die jüngsten Zahlen erweisen, dass die Zahl der amerikanischen Jobs im März um lediglich 192.000 zugenommen hat. Die Ziffern „könnten und sollten höher sein“, sagte Lagarde. Dass sie es nicht sind, habe seinen Grund in Unsicherheit, mangelndem Vertrauen und „der Tatsache, dass eine Menge Unternehmen mehr in sich selbst investiert als in Kapazität und die Schaffung von Arbeitsplätzen.“

Lagarde bezog sich auf die Tatsache, dass große US-Konzerne ihre Profite nicht dazu nutzen, verstärkt Produktionskapazitäten zu finanzieren, sondern dazu, eigene Aktien zurückzukaufen und die Aktienpreise in die Höhe zu treiben und damit den Reichtum der Finanzeliten aufzublähen.

Zahlen des amerikanischen Handelsministeriums belegen, dass die Profite der amerikanischen Konzerne auf dem höchsten Niveau seit 85 Jahren liegen, während gleichzeitig die Löhne der Beschäftigten abgleiten. Das Handelsministerium sagte, dass im Jahr 2013 die Löhne 42,5 Prozent der Wirtschaft ausmachten und damit einen niedrigeren Wert als 2012 aufwiesen, wo sie 42,6 Prozent ausmachten, und einen niedrigeren als seit Beginn der Aufzeichnungen.

Ein Artikel in der New York Times verglich die Situation des Jahres 2013 mit der von 2006 und bemerkte, dass die Unternehmensgewinne nach Inflationsbereinigung und vor Steuern um 28 Prozent angestiegen sind. Da indessen die Steuern um 21 Prozent gesenkt worden sind, sind die Unternehmensgewinne in den vergangenen sieben Jahren nach Steuerabzug um 36 Prozent gewachsen. Wie die IWF-Zahlen aber zeigen, wird das Geld nicht dafür verwendet, wirtschaftliche Expansion zu finanzieren, sondern zur Steigerung der Einkommen der Superreichen.

Zusammen mit dem Programm der quantitativen Lockerung der Federal Reserve, das den Finanzeliten Billionen Dollar auslieferte, hat der zunehmend parasitäre Charakter der US-Wirtschaft die amerikanischen und weltweiten Aktienmärkte hochgetrieben.

Vergangene Woche erreichte der amerikanische S&P-500-Aktienindex ein Allzeithoch, während der Kapitalmarkt-Weltindex, den die Financial Times zusammenstellt, auf sein höchstes Niveau seit Ende 2007 geklettert war.

Die IWF-Chefin, die im Allgemeinen die Ansichten des amerikanischen Finanzkapitals reflektiert, will das Programm der quantitativen Lockerung (das Drucken von Geld durch Zentralbanken, um den Banken Sicherheiten abzukaufen) auf Europa ausdehnen. Auf einem Meeting in der letzten Woche, das vor einem Richtlinientreffen der Europäischen Zentralbank (EZB) stattfand, rief sie die EZB auf, mehr gegen die Deflationsgefahr zu unternehmen.

Lagardes Aufruf erfolgte, nachdem Zahlen bekannt worden waren, laut denen die europäischen Preise auf einem Jahresniveau von 0,5 Prozent (im März) wuchsen und in Spanien sogar um 0,2 Prozent gesunken sind. Das ist deutlich unterhalb der EZB-Zielvorgabe einer zweiprozentigen Inflation. Die Sorge über das, was Lagarde „Ungeheuer der Deflation“ getauft hat, erwächst der Möglichkeit einer Deflationsspirale, wie sie Japan erleben hatte. Dadurch wuchs die reale Schuldenlast der Banken und anderer Finanzinstitutionen.

Im Anschluss an das EZB-Meeting sagte Mario Draghi, der Zentralbankpräsident, der Rat der EZB habe sich „einmütig“ verpflichtet, neue politische Initiativen zu ergreifen, z.B. Schuldverschreibungen aufzukaufen. „Es gab eine Diskussion zur QL [quantitative Lockerung], sie wurde nicht vernachlässigt,“ sagte er Reportern.

Doch in einer sarkastischen Nebenbemerkung dankte er dem IWF für seine, “extrem freigiebigen Vorschläge“ in Fragen der Geldpolitik ihm gegenüber, weit mehr als gegenüber der Fed. Lagarde parierte das damit, dass der IWF auch der Fed Vorschläge unterbreitet hätte. „Wir sagen das, was wir zu sagen haben, wenn wir glauben, dass es angemessen ist, es zu sagen“, sagte sie und setzte hinzu, dass der IWF „schon seit langem der Ansicht ist, dass die EZB sich um das Thema der Inflation kümmern sollte.“

Die verbalen Schrotkugeln, die über den Atlantik abgefeuert werden, während der kapitalistische Zusammenbruch fortschreitet, künden von wachsenden Spannungen zwischen den großen Wirtschaftsblöcken. Unfähig, eine Lösung für eine Reihe sich auftürmender Wirtschaftsprobleme zu finden, verständigen sich die herrschenden Eliten jedoch auf grundsätzliche Fragen: nämlich dass die Interessen der Banken und Finanzoligarchen verteidigt werden müssen, was auch immer es koste, und dass für die Krise, die sie verschuldet haben, die Arbeiterklasse zu zahlen habe.

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