Der Spiegel wirbt für Krieg und Aufrüstung

Zu den untrüglichsten Anzeichen für die Wiederkehr des deutschen Militarismus gehört die Flut von Kriegspropaganda in den Medien. Die konservativen Blätter Welt und FAZ, die liberalen Süddeutsche und Zeit und die grünennahe taz veröffentlichen immer neue Artikel, die auf ein aggressiveres Vorgehen gegen Russland und auf militärische Aufrüstung drängen. Das jüngste Beispiel liefert Dirk Kurbjuweit in der gedruckten Ausgabe des Spiegel.

In einem Essay mit der Überschrift „Die Macht der Ohnmächtigen“ fordert Kurbjuweit, der Westen brauche die „Eigenschaften des [Kriegsgottes] Mars, also Waffen, kriegerische Fähigkeiten und manchmal die Entschlossenheit, all das einzusetzen“. „Nicht rüsten, nicht den ökonomischen Wettkampf aufnehmen, sich aus der Weltpolitik raushalten“, schreibt der Spiegel-Autor, „wäre gleichermaßen edel und wahnsinnig“.

Zur Begründung seiner Forderung nach Krieg und Aufrüstung bedient sich Kurbjuweit einer Argumentation, die an einen drittklassigen Fantasy-Roman erinnert: Es gibt die Guten und die Bösen. Die Guten sind die „westlichen Demokratien“, die Bösen die „autoritären Staaten“ Russland und China. Fakten, Zusammenhänge und Ereignisse, die diesem Schwarz-Weiß-Schema widersprechen, werden ausgeblendet, verdreht oder schlicht geleugnet.

Die Herrscher in Russland und China „unterdrücken ihr Volk“. China ist „expansiv“ und wird bald „eine autoritäre Supermacht sein“. Der russische Präsident Putin hat „den russischen Machthunger wiederbelebt“. „Diese Regime kennen kein Problem mit der Moral. Legitimität ist für sie zweitrangig, da ihre eigene Legitimation zweifelhaft ist..

Der Westen dagegen „betreibt keine aktive Machtpolitik, er will keine Gebiete erobern, keine Landkarten verändern“. Die westlichen Demokratien „haben ein moralisches Fundament, das kriegerisches Handeln begrenzt. Sie sind darauf getrimmt, ihre inneren Konflikte friedlich zu lösen. Das wirkt sich auf ihre Entschlossenheit aus. Sie müssen auch für ihr außenpolitisches Handeln eine legitime Grundlage suchen.“

Die USA haben sich zwar, soviel muss Kurbjuweit eingestehen, „manchmal nach außen aufgeführt wie ein autoritäres Regime“. Doch Obama „hat diese Politik beendet“. Er tritt „als Friedenstaube“ auf. „Ein Hegemon will dieses Amerika nicht sein.“

Dirk Kurbjuweit ist 51 Jahre alt. Er hat neun Jahre für Die Zeit und 15 Jahre für den Spiegel geschrieben und mehrere Bücher verfasst. Naivität oder Unwissenheit kann er also nicht vortäuschen.

Er weiß, dass die verheerenden Kriege, die Afghanistan, Irak, Libyen und andere Länder verwüstet haben, nicht von Russland oder China, sondern von den USA und ihren europäischen Verbündeten ausgingen. Er weiß, dass die „Friedenstaube“ Obama ein weltweites Überwachungsnetz aufgebaut hat, einen illegalen Drohnenkrieg mit Tausenden Opfern führt und im Rahmen des „Pivot to Asia“ die Vorherrschaft der USA in Ostasien gegen China ausbaut.

Kurbjuweit weiß auch, dass das „expansive Projekt“ des Westens nicht, wie er behauptet, „die Demokratie“ ist. Um die Ukraine ihrem Einfluss zu unterwerfen und Russland zurückzudrängen, haben sich Berlin und Washington auf offene Faschisten, rechte Nationalisten und Oligarchen gestützt und in Kiew einen gewaltsamen Umsturz organisiert.

Was Kurbjuweit hier betreibt, ist schlicht imperialistische Propaganda. Hinter seinen Lügen über die angeblich demokratischen und moralischen Motive des Westens verbirgt sich dabei ein äußerst reaktionäres Argument. Der Westen ist schwach und unentschlossen, weil er demokratisch ist, Russland und China sind stark, weil sie autoritär sind – dieses Thema zieht sich wie ein roter Faden durch seinen Essay.

„Der Westen verhält sich in der Ukraine-Krise sanft und nachgiebig. Aber was ist, wenn sich die Welt nicht nach pazifistischen Regeln sortiert?“ fragt er schon im Vorspann. „Derzeit wirken die autoritären Regime im Vorteil. Ein Grund dafür ist ihre Entschlossenheit“, heißt es an anderer Stelle. Immer wieder betont Kurbjuweit die Unausweichlichkeit weiterer Konflikte mit Russland und China. Der Westen solle nicht darauf hoffen, dass die dortigen Herrscher ein Ende wie Hosni Mubarak in Ägypten fänden, „sondern sich auf weitere Konfrontationen einstellen“.

Die Schlussfolgerung ist unausweichlich: Um im Konflikt zwischen „autoritären Staaten“ und „westlichen Demokratien“ zu bestehen, müssen letztere selbst auf demokratische Legitimation verzichten. Hatte der chilenische Diktator Augusto Pinochet einst verkündet: „Die Demokratie muss gelegentlich in Blut gebadet werden, damit sie fortbestehen kann“, legt Kurbjuweit jetzt nahe, dasselbe sei nötig, um einen siegreichen Krieg gegen Russland und China zu führen.

Zum Schluss rät er, sich nicht länger nur auf die USA zu verlassen, die „inzwischen ziemlich launisch geworden“ seien: „Europa sollte sich jetzt dringend um eine eigene Armee, eine militärische Strategie und eine gemeinsame Außenpolitik kümmern.“

Kurbjuweit setzt sich seit längerem für eine Wiederbelebung des deutschen Militarismus ein. Anfang Februar veröffentlichte er im Spiegel den Artikel „Der Wandel der Vergangenheit“, der sich mit den Worten „es muss sein“ für eine „Revision“ der Einschätzung der deutschen Verantwortung für den Ersten und den Zweiten Weltkrieg einsetzt.

Er greift darin den Historiker Fritz Fischer an, der 1961 in seinem Buch „Griff nach der Wehrmacht“ nachgewiesen hatte, dass Deutschland eine erhebliche Mitverantwortung für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs trug. Fischers Thesen seien „im Prinzip hanebüchen“, lässt Kurbjuweit den Berliner Politwissenschafter Herfried Münkler erklären.

Zum Zweiten Weltkrieg lässt er Ernst Nolte zu Wort kommen, der 1986 mit der Behauptung, der Nationalsozialismus sei eine verständliche Reaktion auf den Bolschewismus gewesen, den sogenannten Historikerstreit ausgelöst hatte. Nolte hält im Gespräch mit Kurbjuweit nicht nur an seiner damaligen rechtfertigenden Auffassung fest, sondern behauptet unwidersprochen, Polen und Engländer trügen eine erhebliche Mitverantwortung für den Zweiten Weltkrieg, weil sie sich nicht mit Hitler geeinigt hätten. Den Juden unterstellt er einen „’eigenen Anteil am Gulag’, weil einige Bolschewisten Juden waren“.

Sekundiert wird Nolte vom Berliner Historiker Jörg Baberowski, der im Gespräch mit Kurbjuweit erklärt, Nolte sei „unrecht getan“ worden, und hinzufügt, Hitler sei „nicht grausam“ gewesen.

Diese Verharmlosung der historischen Verbrechen des deutschen Imperialismus dient der Vorbereitung neuer Verbrechen, wie Kurbjuweits jüngstes Eintreten für Krieg und Aufrüstung deutlich macht.

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