Zoe Williams vom Guardian versucht, Tony Blair zu rehabilitieren

“Hört damit auf, Tony Blair einen Kriegsverbrecher zu nennen. Die Linke sollte stolz auf seine Leistungen sein“, flehte vergangene Woche im Guardian die Journalistin Zoe Williams.

“Von Nordirland bis zum NHS [National Health Service – Nationaler Gesundheitsdienst]: überall hinterließ Blair einen wirklich fortschrittlichen Grundriss“, setzte sie fort, „aber die Linke ließ zu, dass alles vom Irak in den Schatten gestellt wurde.“

Anlass für Williams’ Appell waren ein Artikel des früheren Labour-Premierministers für den Guardian zum zwanzigsten Jahrestag des Völkermordes in Ruanda sowie Kommentare, die Blair für das BBC-Radioprogramm Today gemacht hatte, mit denen er eine Militärintervention in Syrien unterstützte.

Der Mann, der im Februar 2003 den Protest von über einer Million Menschen in London gegen den bevorstehenden Angriff auf den Irak mit der Aussage in den Wind schlug, dass Führerschaft bedeute, den Willen der Bevölkerung zu ignorieren, steigerte nochmals seine Feindschaft gegenüber demokratischer Verantwortlichkeit, indem er in seinem Artikel behauptete, wenn es die Irak-Invasion nicht gegeben hätte, dann „würden wir sehen, dass der sogenannte Arabische Frühling“ Bagdad erreichte.

Blair steht dem Sturz korrupter und diktatorischer Regime durch Volksaufstände zutiefst feindselig gegenüber; und zwar nicht zuletzt deshalb, weil er als gekaufter und bezahlter Agent für viele von ihnen sein Wort erhebt.

Seine Organisation Tony Blair Associates (TBA) berät den ruandischen Präsidenten Paul Kagame, den Williams zurückhaltend als „eher umstrittene Persönlichkeit“ bezeichnet. Damit geht sie weiter als Blair in seinem zartfühlenden Streichelartikel im Guardian. Das Kagame-Regime unterdrückt seine politischen Gegner rücksichtslos und verübte im Verlauf von zwei Jahrzehnten im Kongo ungeheure Verbrechen durch das ruandische Militär.

Die TBA “beriet” ebenso Kuwait und Saudi-Arabien, zwei der wichtigsten unter den bis in Mark reaktionären Unterstützern der islamistischen Oppositionstruppen in Syrien. Blair gab außerdem kürzlich eine schmeichlerische Eloge auf den früheren israelischen Premierminister zum Besten, den Verantwortlichen für das Massaker des Jahres 1982 an den Palästinensern.

Dazu ist Blair ein vehementer Verteidiger des Militärputsches in Ägypten, durch den Präsident Mohamed Mursi von der Muslimbruderschaft gestürzt und Tausende seiner Anhänger entweder getötet oder verhaftet wurden.

Die Schlafwandlerin Williams geht teilnahmslos an alledem vorbei. „Blair hinterließ der sozialdemokratischen Regierung ein Grundgerüst; es war nicht perfekt und Manches davon war katastrophal“, schreibt sie. „Aber wir können es nicht einmal wahrnehmen, weil es vom Blutvergießen des Irakkrieges überschattet wird.“

Die Unfähigkeit, “über den Irak hinwegzukommen”, setzt sie fort, „brachte die Linke vollständig zum Schweigen“ und „erdrosselte“ Labours Stimme, sodass die Partei ihre früheren Errungenschaften nicht rühmen konnte.

Man kann sich leicht vorstellen, welche Art Artikel von Williams zu erwarten wäre, wenn sie im Deutschland des Jahres 1944 schriebe: „Gleichgültig welche Kriegsverbrechen Hitler auch beging – schaut Euch die Autobahnen an!“

In gleicher Weise wie der Anschluss (die Einverleibung Österreichs 1938 in das Deutsche Reich) unausweichlich zur Annexion der Tschechoslowakei, zum Einmarsch in Polen und schließlich zum Zweiten Weltkrieg geführt hatte, ist jetzt, elf Jahre nach der illegalen Invasion des Iraks, sonnenklar geworden, dass damit dem imperialistischen Militarismus, vom amerikanischen und britischen Kapitalismus angekurbelt, die Schleusen geöffnet wurden. Nun droht in der Ukraine der erneute Ausbruch eines Weltenbrandes.

Die historische Analogie geht noch weiter. Nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges beeilte sich die deutsche Bourgeoisie, ihre Verbrechen zu vertuschen, während führende Nazis in ihren Positionen im Staat verblieben.

In ähnlicher Weise strebt die britische herrschende Klasse verzweifelt an, die Lehren aus dem Irak, Afghanistan und Libyen auszuradieren, damit noch größere Abscheulichkeiten vorbereitet werden können.

Schauen wir uns einmal an, wovon Williams sich lösen möchte.

Der Konflikt im Irak führte neue Begriffe und Bilder (als da wären beispielsweise Abu Ghraib und nackte menschliche „Pyramiden“) sowie neue Bedeutungen der Folter ein.

Dies war lediglich die öffentlich entblößte Realität eines Krieges und einer Okkupation, die seit 2003 einer geschätzten Million Iraker das Leben gekostet hat. Im Jahr 2011 waren etwa drei Millionen Iraker Vertriebene infolge der Invasion und der von ihr ausgelösten erbitterten sektiererischen Konflikte. Armut ist weitverbreitet und führt zu Choleraausbrüchen. Der Einsatz von abgereichertem Uran und weißem Phosphor durch die westlichen Truppen führte zu einem beträchtlichen Anstieg von Geburtsfehlern.

Als offiziell (und wohlverdient) meistgehasster Premierminister der jüngsten Geschichte verließ Blair im Jahr 2007 sein Amt aufgrund der Irakkatastrophe. In Umfragen wurde ermittelt, dass die Hälfte der Bevölkerung glaubte, er werde als nicht angeklagter Kriegsverbrecher in die Geschichtsbücher eingehen.

Seitdem wurde Blair zum Ziel weiterer (und ebenso wohlverdienter) Schmach und Schande, weil er seit seiner Amtsniederlegung größere Geldberge aufgehäuft hat als jeder andere frühere britische Premierminister in der Geschichte. Gemäß dem Daily Telegraph beträgt sein geschätztes persönliches Vermögen 70 Millionen Pfund.

Der Fernsehsender Channel Four strahlte 2011 in seinem Programm Dispatches die Dokumentation „Die wunderbare Welt des Tony Blair“ aus. In dieser wurde enthüllt, wie sich für den früheren Premierminister die im Irakkrieg geleisteten Verdienste auszahlten: Er nutzte sie für ausgedehnte Geschäfte im Nahen Osten, besonders mit Regimes, die massiv vom Sturz Saddam Husseins profitierten, um seine Beratungsfirma TBA aufzubauen.

Mechanisch und stereotyp stellte der Guardian den Irakkrieg als Blairs „großes“ Versagen dar, das die Fortsetzung des wirtschaftsfreundlichen Programms von Labour (erst unter Gordon Brown und jetzt unter Ed Miliband) verhinderte. Nur einen Tag nach Blairs Rücktrittserklärung schrieb Polly Toynbee vom Guardian, dass es „Zeit ist, mit präventiver Nostalgie zurückzuschauen.“

In ihrem Artikel bückt Williams sich tief auf den Boden, um zusammenzukratzen, was irgendwie zur Begeisterung für den ehemaligen Premierminister beitragen könnte.

Dem vieltausendfachen Tod und den Verwüstungen die er über den Irak gebracht hat, stellt Williams Blairs Einführung des Mindestlohns im Jahr 1998 entgegen, daneben den angeblichen Rückgang der Altersarmut von drei auf zwei Millionen Menschen, „modernisierte“ Krankenhäuser sowie das Karfreitagsabkommen mit Nordirland.

In Wirklichkeit waren der Irakkrieg und die mit ihm zusammenhängende Politik integraler Bestandteil einer historisch beispiellosen Verschiebung von Besitz der Arbeiterklasse in die Kassen der Großkonzerne und einer sagenhaft reichen Elite. Bei dieser Verschiebung spielte die Sozialdemokratie in Großbritannien und auf der ganzen Welt eine führende Rolle.

Zwischen 1997 und 2007 verdreifachte sich der Reichtum der tausend reichsten Menschen in Großbritannien auf insgesamt 360 Milliarden Pfund, womit das Vereinigte Königreich eines der ungleichsten Länder der Welt wurde.

Während sich Großbritannien in ein Festlandssteuerparadies für die Superreichen verwandelte, wurden für Millionen Menschen Schulden zur harten Tatsache. Als Blair aus dem Amt schied, war der Gesamtschuldenstand von Einzelpersonen auf 125 Milliarden Pfund angestiegen.

Der Mindeststundenlohn von lediglich 6,21 Pfund für über 21-Jährige („wo glauben Sie denn, würden wir heute ohne ihn stehen“, fragt Williams jubilierend) wurde dazu genutzt, die Löhne im ganzen Land herabzudrücken, sodass dieses Niveau jetzt für viele Jobs gilt.

In der Zwischenzeit beschleunigte die Blair-Regierung die Privatisierung oder „Marktorientierung“ der öffentlichen Dienste. Damit bereitete sie den Aktienmärkten, Beratungsunternehmen und den stets mit angelockten Schmarotzern einen drallen Aufschwung. Der „Ausschlachtung“ des NHS und seinem Verkauf „an Tory-Stifter“, über welchen Williams jetzt ein paar Tränen vergießt, wurde so direkt der Weg geebnet.

Was die Nordirlandvereinbarung anbelangt, so hatte diese gar nichts mit Blairs “Kompetenz“, aber sehr viel mit der Tatsache zu tun, dass Sinn Fein sich mit dem britischen Imperialismus aussöhnte.

Dies ist erst der Beginn einer politischen Apologie, welche Williams und Ihresgleichen anzufertigen sich anschicken. Es gibt kein Verbrechen, das sich nicht rechtfertigen lässt. Doch woher die Bewunderung der Journalistin für Blair stammt, wird sie nicht sagen können oder wollen: sie ist aufs Innigste verknüpft mit ihrem eigenen Wohlstand und dem Wohlstand der gehobenen Mittelschicht, der sie angehört.

Williams, Herzliebste von Daniel Hannan, dem konservativen Europaparlamentsabgeordneten und Telegraph-Kolumnisten, der sie als erste auf seiner Liste der „Top-Fünf-Linkskolumnisten“ führt, kann ihre „linken“ Überzeugungen (die sich als Produkt ihrer Kolumnen im formal liberalen Guardian ergeben) bequem damit vereinen, auch für die unmissverständlich rechtsstehenden Blätter Spectator und London Evening Standard zu schreiben.

Williams’ Artikel macht deutlich, dass der “Blairismus” niemals ein individuelles Phänomen war oder sich bloß im Handeln eines besonders korrupten Individuums ausdrückte. Nicht weniger als ihr Held steht auch Williams an der Spitze einer privilegierten Kleinbürgerschicht, die die Unverfrorenheit besaß, sich jahrzehntelang für „links“ auszugeben, diesen Begriff aber nur dazu nutzte und missbrauchte, das eigene Nest mit kostbaren Federn auszuschmücken. Wie aber ihr jüngster abstoßend schäbiger Artikel ans Licht bringt, hat dieser politische Betrug sich inzwischen abgenutzt.

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