Prozess gegen Gaddafi-Söhne vor libyschem Scheingericht beginnt

In dieser Woche begann in Libyen ein Massenprozess, in dessen Mittelpunkt zwei Söhne des abgesetzten Führers Oberst Muammar Gaddafi stehen, nämlich Saif al-Islam, seinerzeit als sein Nachfolger vorgesehen, und Saadi, der kürzlich aus Niger ausgewiesen wurde, wohin er 2011 vor dem von den USA angeführten Krieg geflüchtet war.

Weitere 36 ehemalige Spitzenbeamte stehen vor Gericht. Darunter sind Gaddafis Geheimdienstchef und seine rechte Hand Abdullah al-Senussi, der 2012 von Mauretanien abgeschoben worden war, die früheren Premierminister al-Baghdadi, al-Mahmudi und Bouzid Dorda, sowie der frühere Außenminister Abdul Ati al-Obeidi.

Sie sind wegen ihrer Rolle bei der Unterdrückung der islamistischen Bewegung in Bengasi angeklagt, die von der Nato instrumentalisiert wurde, um Gaddafi zu stürzen.

Der Prozess weist alle Merkmale legalisierter Lynchjustiz durch ein Geheimgericht auf, wie es bereits bei dem irakischen Führer Saddam Hussein im Jahre 2006 der Fall war.

Das Gerichtsverfahren findet im Gefängnis al-Hadba in Tripolis statt. Als den Familien der Angeklagten, Journalisten, Verteidigern und Vertretern der Öffentlichkeit mitgeteilt wurde, dass der Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinde, brachen wütende Szenen aus. Zuvor hatte der libysche Justizminister Salah al-Merghani noch erklärt: “Ich werde keine Verrücktheiten dulden, ich werde dafür sorgen, dass internationale Standards eingehalten werden... deswegen haben wir öffentliche Verfahren”.

Schließlich wurde einer Handvoll internationaler Journalisten, Beobachter der Vereinten Nationen und Familienmitgliedern der Zugang gewährt, nachdem sie ihre Mobiltelefone abgeben mussten.

Nur 23 der 38 Angeklagten waren anwesend. Sie wurden in schwarzen Eisenkäfigen präsentiert. Gaddafis Söhne waren abwesend. Saif al-Islam befindet sich in der Gewalt von Milizen in Zintan, die seine Überstellung an die Behörden in Tripolis ohne eine “angemessene Belohnung” ablehnen.

Nach einer Gerichtsentscheidung kann er von seinem Gefängnis in Zintan aus per Videoübertragung am Verfahren beteiligt werden. Den Milizen, bei denen er sich in Haft befindet, gelang die Zuschaltung per Video indessen nicht. Sieben weitere Angeklagte, die in Misrata festgehalten werden, forderten ebenfalls das Recht, per Viedoübertragung teilnehmen zu können. Neun Angeklagte, darunter Saadi Gaddafi, erschienen ohne Angabe von Gründen nicht.

Den Angeklagten wurde das Recht auf einen Verteidiger verwehrt. Hanan Salah, der an der Abteilung Naher Osten und Nordafrika von Human Rights Watch über Libyen forscht, sagte: “Viele der Angeklagten hatten von Anfang an keinen Anwalt – das ist aber ein Eckpfeiler für ein faires Verfahren”.

Er führte weiter aus: “Wir hatten viele Fälle, in denen den Rechtsanwälten der Angeklagten nicht erlaubt wurde, die Beweismittel durchzusehen und Einsicht in die gerichtlichen Dokumente aus dem Vorverfahren zu erhalten ...”. Er fügte hinzu: “In einigen anderen Fällen, die nichts mit diesem Verfahren zu tun haben, wurden Richter und Rechtsanwälte bedroht, auch gibt es Vorwürfe, dass Geständnisse erzwungen wurden”.

Al-Senussi erklärte vor Gericht, er habe gerade erst einen Rechtsanwalt erhalten, der ihn gegen die Anklagen wegen Mordes, Folter, Kidnapping, unberechtigter Gefangennahme, Untreue und Anstiftung zur Vergewaltigung verteidigen soll. Der ehemalige Geheimdienstbeamte, der mager und im Vergleich zu seiner Zeit im Amt merklich verändert aussah, erklärte dem Richter mit zittriger Stimme: “Vor fünf Tagen habe ich einen Vertrag mit meinem Verteidiger abgeschlossen”.

Nach einer Stunde vertagten die Richter die Verhandlung bis zum 27. April. Sie entschieden, die Verteidiger könnten Kopien der Beweiserhebungen gegen ihre Mandanten durchsehen, sie aber nicht mitnehmen.

Der Massenprozess entlarvt die Tricks und das heillose Verbrechertum der westlichen Mächte. Er hat seine Wurzeln in den Anklagen wegen Kriegsverbrechen, die gegen Muammar Gaddafi, Saif al-Islam Gaddafi and Abdullah al-Senussi vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) auf Geheiß der USA, Großbritanniens und Frankreichs 2011 erhoben worden waren.

Die Anschuldigungen waren durch und durch heuchlerisch und ignorierten die Luftangriffe der Nato-Mächte, wie sie zu Tausenden auf Tripolis und andere bewohnte Gebiete geflogen wurden. Sie waren ein plumper Versuch, der illegalen Kampagne der amerikanischen, britischen und französischen Regierung für einen Regimewechsel den Rücken zu stärken.

Nach der grausigen Ermordung Gaddafis und der Gefangennahme von Saif al-Islam und al-Senussi durch libysche Milizen wurde schnell klar, dass die westlichen Mächte eine Wiederholung des fünfjährigen Prozesses gegen den früheren jugoslawischen Machthaber Slobodan Milosevic nicht riskieren wollten. Milosevic hatte in seiner Selbstverteidigung vor dem Gerichtshof die Behauptung einer “humanitären Intervention” auf dem Balkan in den 1990er Jahren als Lüge entlarvt.

Ein langwieriger Prozess in Den Haag würde peinliche Details über die engen Beziehungen zwischen dem Gaddafiregime und den westlichen Mächten in den Jahren 2004 bis 2011 zu Tage fördern, als der Diktator hoffähig gemacht wurde und Libyen sich für den Welthandel öffnete. Al-Senussi würde zweifelsohne über das weltweite Folternetzwerk Washingtons und Londons aussagen; Saif Al Islam könnte den ehemaligen britischen Premierminister Tony Blair und weitere frühere Partner in den Zeugenstand rufen.

Das Spektakel eines Tony Blair, der als Zeuge für Verbrechen gegen die Menschheit in Den Haag auftritt, könnte einen internationalen Aufschrei und die Forderung provozieren, Blair selbst wegen ähnlicher Anklagen für seine Rolle bei der illegalen Invasion im Irak zur Rechenschaft zu ziehen.

Nachdem die Anklage vor dem IStGH ihren Zweck erfüllt hatte, waren die Nato-Mächte und ihre Stellvertreter in Libyen entschlossen, die zwei Gefangenen nicht nach Den Haag auszuliefern. Stattdessen versuchten sie, die rechtliche Verpflichtung zur Überstellung der beiden Männer durch die Inszenierung eines vom IStGH abgesegneten Prozesses in Libyen zu umgehen.

Das Gerichtsverfahren findet unter Bedingungen völliger Gesetzlosigkeit statt, ohne dass auch nur der Anschein eines funktionierenden politischen und rechtlichen Systems besteht. Der von den USA eingerichtete Staat steht am Rande des Zerfalls und eines umfassenden Bürgerkrieges. Rivalisierende rechtsterroristische Milizen, die von den USA, den europäischen Mächten und den Golfstaaten unterstützt werden, haben das Land ausgeplündert, um sich selbst zu bereichern.

Wegen der chronischen Instabilität haben die transnationalen Ölkonzerne ihre Produktion eingestellt. Nachdem im vergangenen Monat Raketen die Piste des Flughafens von Tripolis getroffen hatten, strichen eine Reihe von großen internationalen Fluggesellschaften ihre Flugverbindungen in die Hauptstadt, die unter Kontrolle der Zintan-Miliz steht.

Laut Aussage des Parlamentssprechers Nouri Abu Sahmain steht Libyen vor der Pleite. Zurückzuführen sei dies zum einen auf die seit Juli letzten Jahres andauernde Blockade von Ölanlagen in der östlichen Provinz Kyrenaika durch Milizen, zum anderen auf die Unterbrechung einer der letzten noch funktionierenden libyschen Pipelines im Westen des Landes in jüngerer Vergangenheit.

Dies hat die Regierung veranlasst, sich mit dem Anführer der Rebellen, Ibrahim Jathran, zu einigen, der die Kontrolle über die östlichen Terminals ausübt. Danach sollen im Gegenzug zur Beendigung der Blockade alle Anklagen gegen die Rebellen fallen gelassen und ihr Salär übernommen werden.

Das Chaos hat ein solches Ausmaß erreicht, dass der Interims-Premierminster Abdullah al-Thinni am Sonntag seinen Rücktritt erklärte, nachdem von einer libyschen Miliz ein Anschlag auf seine Familie verübt worden war. Einzelheiten über die Attacke sind nicht bekannt, es wird aber angenommen, dass sie auf der Straße zum Flughafen von Tripolis stattfand, wo es immer wieder zu nächtlichen Gefechten zwischen rivalisierenden Milizen kommt. Der vormalige Verteidigungsminister war erst vor wenigen Wochen ernannt worden, nachdem das von Islamisten dominierte Parlament Premierminister Ali Zeidan abgesetzt hatte.

Zeidan, der in der Folge nach Deutschland flüchtete, rief nach einer direkten ausländischen Intervention. Gegenüber CNN erklärte er: “Alles, was zu Sicherheit führt, wird in Libyen akzeptiert werden. Wir sollten Streitkräfte haben, die Teil der Vereinten Nationen sind, regionale Truppen oder solche des Nahen Ostens”.

Es ist alles andere als klar, wie der Kongress, in dem Opposition von Seiten der ölreichen Provinz Kyrenaika im Osten und der nach Autonomie in einem föderalen Staat strebenden Provinz Fessan im Süden besteht, eine Mehrheit für einen neuen Premierminister zustande bringen will. Bis auf 76 haben sich alle Abgeordneten aus dem aus 200 Mitgliedern bestehenden Parlament zurückgezogen, das ursprünglich sein im Februar ausgelaufenes Mandat bis zum Jahresende ausdehnen wollte.

Dies zielte darauf ab, der aus 60 Mitgliedern bestehenden verfassungsgebenden Versammlung genug Zeit zu geben, eine neue Verfassung anzunehmen, die von einem alle drei libyschen Provinzen repräsentierenden Ausschuss formuliert werden soll. Indessen nahmen am 20. Februar nicht einmal 500.000 der 3,4 Millionen Wahlberechtigten an den Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung teil. Während sich der Kongress nunmehr darauf geeinigt hat, im Sommer Parlamentswahlen abzuhalten, ohne auf eine neue Verfassung zu warten, gibt es in Libyen kein funktionierendes Parlament mehr.

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