Weltwirtschaft: Die Bedingungen für einen neuen Crash nehmen Gestalt an

Fast sechs Jahre nach dem Ausbruch der globalen Finanzkrise wird selbst denen, die üblicherweise die Wunder des “freien Marktes” beschwören, klar, dass mit der Funktionsweise der kapitalistischen Wirtschaft etwas Grundlegendes nicht stimmt.

Ein Artikel, der kürzlich im Wall Street Journal unter der Überschrift “Schleppende wirtschaftliche Erholung erweist sich als hartnäckig” erschien, steht stellvertretend für eine wachsende Zahl von Kommentaren in der Wirtschafts- und Finanzpresse der USA.

Er begann mit der Bemerkung: “Die Erholung von der Rezession war unangenehm, brutal und lang. Sie erweist sich auch als eine der Langwierigsten”.

Nach dem National Bureau of Economic Research, das Anfang und Ende der Rezessionsphasen in den USA feststellt, nahm die amerikanische Wirtschaft ihr Wachstum nach dem Finanzkollaps vom September 2008 im Juni 2009 wieder auf. Daraus folgt, dass der nunmehr bereits 58 Monate währende “Aufschwung“ die durchschnittliche Dauer von Wachstumsphasen in der Nachkriegszeit übertreffen wird.

Der Artikel weist darauf hin, dass der “Aufschwung” wenig Ähnlichkeit mit früheren hat. “Nach fast fünf Jahren erweist sich der Aufschwung als einer der lustlosesten der neueren Zeit. Die Arbeitslosenrate ist in diesem Stadium mit 6,7 Prozent die höchste der letzten Wachstumsphasen. Das Bruttoinlandsprodukt nahm seit der Rezession um durchschnittlich 1,8 Prozent pro Jahr zu, also im halben Tempo verglichen mit den letzten drei Wachstumsphasen”.

Nach einer Aufzählung der möglichen Gründe — von den Nachwirkungen der Finanzkrise bis zum Ausbruch einer “herkömmlichen Stagnation”—kommt der Autor zu dem Schluss, die gegenwärtige wirtschaftliche Situation sei weit entfernt von einer “typischen Rezession”.

Mit seinem Unvermögen, eine Erklärung für den offenkundigen wirtschaftlichen Zusammenbruch zu liefern, steht er nicht allein. Kein bürgerlicher Wirtschaftswissenschaftler oder Finanzkommentator konnte es besser.

Einige führten die Situation auf die Gier und die Handlungsweisen von Spekulanten zurück, andere wiesen auf das Fehlen von Regulierung hin. Wieder andere, etwa der liberale Kommentator Paul Krugman von der New York Times, beklagen eine falsche Politik der Regierung und der Finanzbehörden.

Allen ist gemeinsam, dass sie den Grund in Faktoren suchen, die außerhalb der kapitalistischen Wirtschaft liegen. Mit anderen Worten, die Krise ist nicht durch den Kapitalismus selbst herbeigeführt worden. Dieser ist eher das Opfer, geradeso als habe er sich mit der Grippe angesteckt (im Falle einer “typischen” Rezession) oder sei an Krebs erkrankt (wie in der gegenwärtigen Situation).

Eine solche Herangehensweise ist nicht das Resultat eines persönlichen intellektuellen Versagens, sondern entspringt einer entschiedenen Klassenorientierung und historischen Perspektive. Ob sie von der “Rechten” stammt – mit der Annahme, dass die Krise durch eine falsche Geldpolitik verursacht wurde und die Wirtschaft einer Reinigung bedürfe, um eine neue Grundlage zu schaffen, oder von der “Linken” – mit der Behauptung, die Hauptursache bestehe in der Aufgabe einer keynesianistischen Wachstumspolitik, die auf staatlicher Intervention basiert – die unterschiedlichen Sichtweisen teilen eine gemeinsame Grundannahme.

Sie alle behaupten, der Kapitalismus sei nicht eine geschichtlich entwickelte Produktionsweise, sondern die einzig mögliche Form der sozio-ökonomischen Organisation. Wenn sie die Geschichte heranziehen, dann nur, um die Begrenztheit früherer Wirtschafssysteme zu beweisen. Der Kapitalismus, so lautet ihre Schlussfolgerung, sei diejenige Wirtschaftsordnung, nach der die Menschheit schon immer gestrebt habe, als Resultat der dem Menschen innewohnenden Charakterzüge, die ihren wahren Ausdruck nur im freien Markt finden könnten.

Mithin seien Krisen nicht der Ausdruck des geschichtlich begrenzten Charakters des Kapitalismus und damit ein sicheres Zeichen dafür, dass er überwunden und durch eine höhere Form der sozio-ökonomischen Organisation ersetzt werden muss, sondern das Ergebnis externer “Faktoren” und politischer Fehler. Diesen müsse man begegnen, um dafür zu sorgen, dass, wieder einmal, alles zum Besten gerät in dieser besten von allen möglichen Welten.
Der Marxismus hat eine fundamental entgegengesetzte Perspektive. Er geht von der Erkenntnis aus, dass sich Krisen und wirtschaftliche Zusammenbrüche nicht außerhalb des kapitalistischen Systems entwickeln sondern in seinen grundlegenden Widersprüchen wurzeln.

Die Apologeten und Verteidiger des Kapitalismus streiten ab, dass solche fundamentalen Widersprüche existieren. Aber, wie Marx erklärte: “Krisen existieren, weil jene Widersprüche existieren … Das Wegphantasierenwollen der Widersprüche ist zugleich das Aussprechen wirklich vorhandner Widersprüche, die dem frommen Wunsch nach nicht existieren sollen”.

Die Widersprüche des Kapitalismus, die seinen geschichtlich begrenzten Charakter offenbaren, nehmen zwei Hauptformen an: den Widerspruch zwischen dem globalen Charakter der Produktion und der Aufteilung der Welt in Nationalstaaten einerseits; und andererseits denjenigen zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte auf der Basis einer vergesellschafteten Produktion und dem Privateigentum an den Produktionsmitteln, das die Grundlage für die Bereicherung mittels des Profitsystems darstellt.

Der erste Widerspruch manifestiert sich in Konflikten zwischen den rivalisierenden Nationalstaaten und Großmächten im Ringen um die Vorherrschaft in der Weltwirtschaft und führt letztendlich zum Krieg; der zweite zeigt sich in wirtschaftlichen Zusammenbrüchen, wie sie vor allem durch den Anstieg der Arbeitslosigkeit und der sozialen Verelendung inmitten der Schaffung großen Reichtums charakterisiert sind.

Innerhalb nennenswerter Zeiträume – jedenfalls gemessen an der Lebensspanne eines Menschen – mag es so erscheinen, als ob diese Widersprüche niedergehalten oder sogar überwunden werden könnten. Wie die gegenwärtige wirtschaftliche und geopolitische Situation aber klar zeigt, treten sie nun erneut zutage, wie schon in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, als sie zu Wirtschaftsdepression, Faschismus und Krieg führten.

Die Situation in der Ukraine, von den USA und anderen imperialistischen Mächten angeheizt, um Russland zu zerlegen, und die Spannungen in Fernost, wie sie der gegen China gerichtete “ Pivot to Asia“ (Konzentration auf Asien) der Obama-Regierung herbeigeführt hat, bezeugen die wachsende Kriegsgefahr. Eine Reihe von ökonomischen Prozessen weist darauf hin, dass der Zusammenbruch, der mit dem Ausbruch der globalen Finanzkrise 2008 begann, weit davon entfernt ist, überwunden zu sein, und sich sogar beschleunigt. Die zentrale Politik der US Federal Reserve, der wichtigsten Notenbank der Welt, besteht darin, die Zinssätze bei oder in der Nähe von Null Prozent zu halten, während sie Banken und Finanzinstituten Billionen Dollar als ultrabillige Kredite zur Verfügung stellt.

Dies hat dazu geführt, dass die Börsen Rekordstände zu verzeichnen haben. Unter Bedingungen, die einmal als “normal” angesehen wurden, würde ein solcher Boom auf ein gesundes Wirtschaftswachstum deuten. Tatsächlich sind die Zinspolitik der Fed und ihr Programm der “quantitativen Lockerung” charakteristisch für eine Krise.

Zudem findet der Boom der Märkte inmitten sich zunehmend verschlechternder Bedingungen in der Realwirtschaft statt, wie sie durch eine anhaltend hohe Arbeitslosigkeit, historisch niedrige Investitionen und das Entstehen einer deflationären Abwärtsspirale gekennzeichnet sind.

In der vergangenen Woche wurde berichtet, dass Schweden als erstes Land in Nordeuropa in die Deflation rutscht. Dort fielen die Preise im März, verglichen mit dem Vorjahr, um 0,4 Prozent. Mittlerweile gibt es in der Europäischen Union acht Staaten, die eine ernstzunehmende Deflation erleben, und es werden weitere folgen. Die Niederlande, die als eines der gesündesten Länder in der EU angesehen werden, weisen eine Inflationsrate von lediglich 0,1 Prozent auf. Damit drohen finanzielle Probleme, insbesondere auf dem Wohnungsmarkt, wo die Verschuldung der holländischen Haushalte bei etwa 250 Prozent des verfügbaren Einkommens liegt.

In den USA werden vor dem Hintergrund eines zunehmend kreditbasierten Handels die Warnungen vor einem neuerlichen Zusammenbruch der Märkte lauter, der noch ernstere Folgen als derjenige von 2008 haben könnte.

Anfang des Monats wurde bekannt, dass Wertpapierkäufe auf Kredit (“Margin Debt”), die Börsenmakler ihren Kunden ermöglichen, um am Markt handeln zu können, fast das Level der Jahre 1999–2000, also der Zeit vor dem sogenannten “Tech Wreck” (dem Platzen der Spekulatiosblase auf dem Technologiesektor) und des Jahres 2007 am Vorabend der globalen Finanzkrise erreichen. Eine wachsende Abhängigkeit von kreditfinanzierten Wertpapierkäufen kann eine Abwärtsspirale in Gang setzen, sobald die Märkte zu fallen beginnen. Kreditgeber beginnen, “Margins” (Sicherheiten) auf ihre Kredite einzufordern, wenn die Börsenkurse deutlich fallen, und zwingen die Kreditnehmer so, Bargeld aufzutreiben. Haben sie dies nicht zur freien Verfügung, müssen sie von ihnen erworbene Papiere verkaufen. Dies kann zu einem weiteren Kursrutsch und damit zu neuerlichen “Margin Calls” führen.

Die Bedingungen für eine solche Situation sind gegeben. Wie James Mackintosh, Kolumnist der Financial Times, kürzlich bemerkte, gibt es “eine nicht unbedeutende Anzahl von Werten im S&P 500, deren Notierungen sich auf den Glauben an ein Finanzmärchen gründen”. In einem mit “Die Glocke für eine Margin-Debt-Katastrophe läutet” überschriebenen Beitrag bemerkte kürzlich Daniel Palmer, Korrespondent der australischen Website Business Spectator in Nordamerika, es habe “in der Geschichte noch keine Zeit gegeben, in der sich die Märkte auf Rekordlevel bewegen und die Zentralbanken handeln, als sei weiterhin eine große Krise im Gange”.

Er führte aus, dass ein Leitzins von 0-0,25 Punkte vor der Finanzkrise von 2008 gänzlich unbekannt gewesen sei. “Die Vorstellung, dass die USA sich nach mehr als fünf Jahren noch auf diesem Level befinden, während der S&P 500 und der Dow neue Höchststände erreichen und die Unternehmensverschuldung und die Margin Debts auf Spitzenwerte springen, spottet jeder Beschreibung”.

Der Kurs auf einen Krieg, verbunden mit der Gefahr eines neuerlichen wirtschaftlichen Zusammenbruchs - beides mit unberechenbaren Folgen für die internationale Arbeiterklasse – weisen auf die historische Krise des kapitalistischen Systems und die Notwendigkeit seiner Überwindung hin.

Die vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale veranstaltete Online-Kundgebung zum Maifeiertag am 04. Mai eröffnet die einzigartige Gelegenheit für Arbeiter und junge Menschen in der ganzen Welt, diese Perspektive aktiv voranzutreiben.

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