Massenhafte Todesstrafen in Ägypten: Ein Verbrechen “Made in USA“

Der US-amerikanische Außenminister John Kerry empfing seinen ägyptischen Amtskollegen Nabil Fahmy am Dienstag in Washington, nur einen Tag, nachdem ein ägyptisches Gericht fast 700 Menschen zum Tode verurteilt hatte. Es waren fast alle mutmaßliche Mitglieder und Anhänger der Muslimbruderschaft des entmachteten Präsidenten Mohammed Mursi.

Der Fünf-Minuten-“Prozess” ging ohne Beweisaufnahme vonstatten, Verteidigungsargumente wurden nicht zugelassen, die Mehrheit der zum Tod durch den Strang verurteilten Angeklagten war nicht einmal im Gerichtssaal anwesend.

Die Verhandlung fand kaum einen Monat nach einer anderen Justizkomödie statt, bei der vom selben Gericht gegen 529 Menschen das Todesurteil verhängt worden war. In beiden Verfahren wurde den Angeklagten die Verantwortung für Demonstrationen vorgeworfen, die nach dem Militärputsch stattfanden, durch den Mursi, der erste demokratisch gewählte Präsident Ägyptens, gestürzt worden war. Bei diesen Demonstrationen wurde ein einziger Polizist getötet.

In den Tagen nach dem Putsch hatte das Militär einen brutale Einsätze durchgeführt, die mindestens 2.000 Menschenleben gefordert hatten.

Massenprozesse und massenhafte Todesurteile in diesem Ausmaß sind weltweit in der jüngeren Geschichte ohne Beispiel. Dabei handelt es sich lediglich um die jüngsten und offensichtlichsten Gräueltaten des Regimes, das im Juli letzten Jahres an die Macht gekommen ist. Tausende Ägypter befinden sich aus politischen Gründen ohne Anklage in Haft, viele von ihnen in geheimen Folterzentren.

Der Empfang des führenden Außenpolitikers dieses kriminellen Regimes in Washington war geradezu obszön. In einer Pressekonferenz des Außenministeriums flachste Kerry mit dem ägyptischen Außenminister, beide sprachen sich mit ihren Vornamen an. Später schritt Fahmy am Pentagon ein “Ehrenformation” ab. Er wurde an Reihen stramm stehender amerikanischer Soldaten mit aufgepflanzten Bajonetten vorbei in das Gebäude geleitet, während Ägyptens Flagge wehte und seine Nationalhymne von einer Militärkapelle gespielt wurde.

In den kurzen Anmerkungen, die Kerry am Dienstag machte, hob er hervor, dass Ägypten “ein sehr wichtiger strategischer Partner” der USA sei, mit dem man “gemeinsame Interessen” teile. Er räumte ein, Ägypten sei “durch eine sehr schwierige Übergangsperiode gegangen”, ein Zustand, der wohl Massentötungen, Inhaftierungen ohne Prozess, Folter und Standgerichte rechtfertigen soll, die 1.200 Menschen an den Galgen bringen.

Wohin Ägypten durch diesen “Übergang” gelangt, legte der US-Außenminister nicht dar. Während die Phrase üblicherweise im Zusammenhang mit dem Begriff “Demokratie” gebraucht wird, lassen die Ereignisse der letzten drei Jahre keinen Zweifel daran, dass der von Washington angeleitete Übergang von einer Revolution des Volkes, die die 30-jährige Herrschaft des Generals und Diktators Hosni Mubarak zu Fall brachte, zur Einsetzung einer neuen, von den USA gestützten Militärdiktatur unter Feldmarschall Abdel Fattah al-Sisi führt.

Kerry pries das Regime für seine “positiven Schritte” in Richtung Demokratie und erklärte, es habe “beunruhigende Entscheidungen im Justizverfahren - dem Gerichtssystem - gegeben, die uns alle vor ernste Herausforderungen stellen”.

Dies war noch die Beschreibung des amerikanischen Außenministers, die dem, was gegenwärtig in Ägypten geschieht, am nächsten kam. Er vermied diskret Worte wie “Massenprozesse” und “Todesurteile”, ganz zu schweigen von “Massakern” und “Folter”. Genauso wenig erwähnte er das in dieser Woche verhängte Verbot der Jugendbewegung des 6. April, die eine wichtige Rolle bei den zum Sturz von Mubarak führenden Massenprotesten spielte.

Kerry schloss mit der Feststellung, Washington “erwarte, dass gewisse Dinge passieren, die den Menschen das Gefühl des Vertrauens in den vor ihnen liegenden Weg geben. Es sind Taten und nicht Worte, die den Unterschied machen”.

Die Heuchelei und der Zynismus dieser Aussage sind atemberaubend. Tatsächlich gab es eine Menge “Taten“ auf beiden Seiten. Die ägyptische Junta hat ihre kriminelle Repressionen fortgesetzt. Die Obama-Regierung hat darauf mit der Ankündigung reagiert, sie werde dem Regime zehn Apache-Kampfhubschrauber liefern. Dabei handelt es sich um eine der tödlichsten Waffen bei der Unterdrückung von Massenunruhen, wie es die USA selbst während der Besetzung des Irak unter Beweis stellten. Die Regierung gab darüber hinaus weitere 650 Millionen Dollar Militärhilfe für Kairo frei.

Weshalb sollte jemand glauben, das ägyptische Regime verübe diese Verbrechen ohne die Billigung Washingtons?

Während er “demokratische Werte” und das “internationale Recht” beschwor, stand Kerry in den letzten Wochen an der Spitze der Anstrengungen, mit denen Russland mittels der Ukrainekrise gefügig gemacht werden soll. Dabei mobilisierte er die ganze Macht des US-Imperialismus und ging sogar so weit, eine militärische Konfrontation mit einer Atommacht zu riskieren. Auf der anderen Seite ist Washington angeblich nicht in der Lage, die Politik der Militärdiktatur in Kairo zu beeinflussen, die von Feldmarschall Sisi, einem stolzen Absolventen des US Army War College, angeführt wird. Unsinn!

Die Komplizenschaft der Obama-Administration bei den schrecklichen Verbrechen in Ägypten ist so unverhüllt, dass sogar im US-Kongress symbolischer Widerstand gegen die Zuweisung militärischer Mittel zu vernehmen war. Der demokratische Senator Patrick Leahy aus Vermont drohte damit, sie im Ausschuss zu blockieren. In seinen Ausführungen im Senat bezeichnete Leahy das ägyptische Regime am Dienstag als “eine Diktatur, die Amok läuft”. Ungeachtet solcher Bedenken machte das Weiße Haus klar, dass es entschlossen sei, die Rüstungsgüter zu liefern und die Militärhilfe zur Verfügung zu stellen.

Die Politik der Regierung spiegelt die Haltung und die Interessen der herrschenden Kreise in Banken und Unternehmen wieder. Wie Reuters in dieser Woche im Rahmen seiner jüngsten Umfrage unter führenden Investmentmanagern des Nahen Ostens berichtete, prahlt Ägypten damit, sein Aktienmarkt sei mit einem Kursanstieg von 55 Prozent seit dem Blutbad im letzten Sommer so stark gestiegen, wie sonst keiner. Vierzig Prozent der Befragten gaben an, sie erwarteten höhere “Investitionen und keiner beabsichtigt, sie zu vermindern”. Die Nachrichtenagentur fügte erklärend hinzu: “Der Grund hierfür besteht in der Hoffnung, dass ein Sieg des früheren Armeechefs Abdel Fattah al-Sisi bei den Präsidentschaftswahlen am 26. und 27. Mai trotz anhaltender sozialer Spannungen zu einer größeren Stabilität und einem stärkeren wirtschaftlichen Aufschwung führen wird”.

Sisis Sieg in einer unter der Herrschaft des Militärs abgehaltenen Scheinwahl ist sicher. Die “Hoffnungen” der genannten Schichten wurden in dieser Woche noch dadurch gestärkt, dass das Regime seine Absicht andeutete, die Privatisierung von Staatsbetrieben wiederaufzunehmen, die unter Mursi gestoppt worden war.

Auf das Stichwort der Wall Street und der herrschenden Unternehmensklasse hin behandelten die Medien die Verbrechen des ägyptischen Regimes mit der gleichen Diskretion wie das Außenministerium. Während die Leitartikel der großen Zeitungen von schweren Drohungen gegen Russland strotzen, wird über die Vorgänge in Ägypten mehr oder weniger geschwiegen. Selbsternannte Verteidiger der “Menschenrechte” wie Nicholas Kristof von der New York Times hielten es nicht für angebracht, ihre pseudomoralischen Anklagen gegen die Junta in Kairo zu richten.

Die barbarischen Unterdrückungsmaßnahmen des Regimes in Kairo zielen hauptsächlich auf die ägyptische Arbeiterklasse ab, deren Massenstreiks und Demonstrationen im Februar 2011 zum Sturz der Mubarak-Diktatur führten. Hunderte Menschen mit einem Schlag dem Henker auszuliefern, massenhafte Verhaftungen und Folter, all dies soll die ägyptischen Arbeiter in Angst und Schrecken versetzen und so ihren anhaltenden Kampf niederschlagen. Washington weiß und billigt dies.

Obwohl die Politik der Muslimbruderschaft nicht weiter von derjenigen des internationalen Sozialismus entfernt sein könnte, ruft die World Socialist Web Site Arbeiter aller Länder dazu auf, diejenigen zu verteidigen, die in Ägypten mit dem Tode bedroht sind. Wir fordern die Beendigung der Hetzjagd durch das Militärregime, die Aufhebung der kriminellen Todesurteile und die unverzügliche Freilassung aller derjenigen, die wegen ihres politischen Widerstandes gegen die Diktatur und den von den USA gestützten Putsch verfolgt werden.

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