Perspektive

Eine Einschätzung der Internationalen Maikundgebung des IKVI

Die Internationale Maikundgebung, die das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) am 4. Mai abgehalten hat, war ein wichtiges weltpolitisches Ereignis, mit dem sich das Wiederaufleben des Sozialismus als starke Kraft in der internationalen Arbeiterklasse ankündigt.

Objektiv betrachtet war die Kundgebung eine beeindruckende organisatorische und technische Leistung und vor allem ein großer politischer Erfolg. Schon vorab gingen fast 2000 Anmeldungen ein. In über 90 Ländern schalteten sich Teilnehmer online zu; bemerkenswert groß war ihre Zahl in Kanada, den USA (48 von 50 Bundesstaaten), Lateinamerika (vor allem Brasilien), Großbritannien und Westeuropa, Südafrika, Indien und Sri Lanka, Australien und Neuseeland.

Das IKVI war erfreut, dass es sowohl in Russland als auch in der Ukraine ein Publikum hatte. Weitere Teilnehmer loggten sich in China, Südkorea, Japan und den Philippinen ein. Viele Zuhörer gab es auch im Nahen Osten und Zentralasien. Die Beteiligung zahlreicher Zuhörer aus Ländern, in denen das IKVI noch keine politisch aktive Organisation hat, belegt, dass die World Socialist Web Site, die die Kundgebung in erster Linie bekannt machte, weltweit gelesen wird.

Vertreter des IKVI aus den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Deutschland, Sri Lanka und Australien – insgesamt zehn Redner – wandten sich an die Kundgebungsteilnehmer. Sie deckten eine große Bandbreite internationaler politischer Themen ab, darunter die Ukraine-Krise, die wachsende Gefahr eines dritten Weltkrieges, die Weltwirtschaftskrise, das Anwachsen extremer sozialer Ungleichheit und die Angriffe auf demokratische Rechte.

Alle Redner gründeten ihre Beiträge auf eine marxistische Analyse des kapitalistischen Systems und die reichhaltige politische Erfahrung der internationalen trotzkistischen Bewegung. Sie bekannten sich klar und unzweideutig zur Vierten Internationale. (Alle Reden werden in den nächsten Tagen als Text und Tonmitschnitt auf der World Socialist Web Site veröffentlicht.)

Die weltweite Resonanz beim Publikum war unverkennbar. Im Verlauf der Kundgebung, die knapp zweieinhalb Stunden dauerte, gingen unaufhörlich Kommentare ein, insgesamt über 700. Den Tag über besuchten mehr als 50.000 Leser die World Socialist Web Site, deutlich mehr als durchschnittlich an einem Sonntag.

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale und seine Mitglieder und Unterstützer auf der ganzen Welt bewerten diese Veranstaltung zurecht als Erfolg. Aber wir verlieren keine Zeit damit, uns auf die Schulter zu klopfen. Als Marxisten gehen wir an politische Entwicklungen – auch an solche, an denen wir direkt beteiligt sind – in objektiver Weise heran. Wir versuchen die wesentlichen Gründe zu verstehen, weshalb, von den unmittelbaren Anstrengungen der Kader unserer Bewegung einmal abgesehen, diese Veranstaltung auf so außerordentliches Interesse gestoßen ist. Bereits während ihres Verlaufs konnte man an der Zahl und den Reaktionen der Zuhörer ablesen, dass die Kundgebung in der politischen Neuorientierung fortgeschrittener Arbeiter und Jugendlicher nach links einen wichtigen qualitativen Schritt darstellte.

Der bedeutendste Faktor, der dieser Veränderung zugrunde liegt, ist die objektive Krise des Kapitalismus. Die Verschlechterung der sozialen Lage der Arbeiterklasse dauert mittlerweile seit mehreren Jahrzehnten an. Der Ausbruch der Finanzkrise 2008 hat die Illusionen in den Kapitalismus zusätzlich erschüttert, und das ungeheure Ausmaß der sozialen Ungleichheit ruft weltweit Empörung hervor. Die immer neuen Kriege und die beständige Zunahme autoritärer Tendenzen haben die Glaubwürdigkeit der kapitalistischen „Demokratie“ unterhöhlt. Darüber hinaus löst die wachsende Gefahr eines weltweiten Atomkriegs, die sich in der Ukraine-Krise zeigt, bei Massen von Menschen tiefe Besorgnis aus.

Seit der Auflösung der Sowjetunion und der stalinistischen Regime in Osteuropa sind mehr als 20 Jahre vergangen. Die katastrophalen Folgen der kapitalistischen Restauration für die Bevölkerung in der früheren UdSSR und Osteuropa haben die Illusionen in das „Wunder des Marktes“ zerstört. Auch in China ist die Arbeiterklasse mit den sozialen Auswirkungen des enormen wirtschaftlichen Wachstums, das nach dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz einsetzte, zutiefst unzufrieden.

Die internationale politische Desorientierung, die durch die Verrätereien und den kläglichen Zusammenbruch nicht nur der stalinistischen Regime, sondern aller traditionellen opportunistischen Arbeiter- und Gewerkschaftsorganisationen geschaffen wurde, beginnt einer neuen politischen Stimmung in der Arbeiterklasse und besonders unter Jugendlichen zu weichen. In der Reaktion auf die Kundgebung kam zum Ausruck, dass sich eine Stimmung der Opposition gegen den Kapitalismus ausbreitet.

Doch wollen wir die Größe der Veranstaltung nicht übertreiben. Sie hatte nicht Zehntausende, geschweige denn Millionen von Zuhörern. Aber ihre Zahl war beträchtlich und eindeutig Vorbote einer deutlichen Veränderung in der politischen Orientierung der Arbeiterklasse.

Damit sind wir bei einem weiteren wichtigen und, politisch betrachtet, entscheidenden Faktor für den Erfolg der Kundgebung. Objektive Prozesse spielen in der Geschichte eine gewaltige Rolle. Doch diese Kundgebung kam nicht von selbst zustande. Sie wurde geplant und organisiert vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale. Das politische Bewusstsein eines großen Teils des Publikums ist stark von der World Socialist Web Site beeinflusst worden, die in den letzten 16 Jahren unablässig daran gearbeitet hat, wieder eine wirklich marxistische revolutionäre politische Kultur in der Arbeiterklasse zu schaffen.

Die WSWS ihrerseits ist aus der gesamten vorangegangenen Geschichte des Kampfs hervorgegangen, den die Vierte Internationale unter dem Internationalen Komitee geführt hat, um das trotzkistische Programm der permanenten Revolution gegen den nationalen Opportunismus des Stalinismus, der Sozialdemokratie und der zahllosen Spielarten des kleinbürgerlichen Radikalismus zu verteidigen.

Der Jahrzehnte lange Kampf zur Bewahrung dieser Prinzipien trifft nun mit der politischen Radikalisierung der Massen zusammen. Diese Wechselwirkung zwischen der objektiven Bewegung der Arbeiterklasse, getrieben von der unlösbaren Krise des Kapitalismus, und dem politisch bewussten, subjektiven Eingreifen des Internationalen Komitees in den Strudel der historischen Ereignisse führt zur Entwicklung der sozialistischen Revolution.

Zum Abschluss der Kundgebung sprach Joe Kishore, der nationale Sekretär der Socialist Equality Party in den USA. Trotzki, sagte Kishore, wäre stolz gewesen auf diese Kundgebung. Das stimmt. Und auch er hätte dann analysiert und erklärt, welche neuen Herausforderungen sich aus diesem Erfolg ergeben.

Die Internationale Kundgebung zum Maifeiertag 2014 ist nun Teil der Geschichte. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale wird politisch auf diesem Erfolg aufbauen, indem es den Kampf für den Sozialismus in neue Schichten der Arbeiterklasse und Jugend auf der ganzen Welt trägt.

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