Thailändisches Verfassungsgericht enthebt Premierministerin und neun Minister ihres Amtes

Gestern hat Thailands Verfassungsgericht die gewählte Premierministerin Yingluck Shinawatra und nahezu ein Drittel ihres Kabinetts wegen „Machtmissbrauchs“ ihrer Ämter enthoben. Dieses undemokratische Urteil folgt auf monatelange regierungsfeindliche Proteste und rechtliche Schikanen mit dem Ziel einen nicht gewählten „Volksrat“ einzusetzen, der im wesentlichen einer vom Militär unterstützend Diktatur entspräche.

Yinglucks angebliches Verbrechen war die Versetzung des Leiters des Nationalen Sicherheitsrates Thawil Pliensri in 2011, damit seine Stelle mit Preiwpan Damapong, dem früheren Schwager von Yinglucks Bruder und Ex-Premierminister, Thaksin Shinawatra, besetzt werden konnte. Die neun Minister wurden ihres Amtes enthoben, da sie der Versetzung zugestimmt hatten.

Das Gericht gab zu, dass Yingluck das Recht hatte Thawil zu versetzen, behauptete aber, dass die Entscheidung mit „Hintergedanken“ und nicht in Übereinstimmung mit „moralischen Prinzipien“ getroffen wurde.

Rechtexperten prangerten die Amtsenthebung Yinglucks an. Ekachai Chainuvati, der stellvertretende Dekan der Rechtswissenschaften der Universität Bangkok, erklärte gegenüber der New York Times, das Urteil sei „kompletter Unsinn in einer demokratischen Gesellschaft“ und ein Beispiel für „eine Juristrocracy, ein Regierungssystem unter der Herrschaft von Richtern.“

Dieses Urteil folgt auf die im März gefällte Gerichtsentscheidung zur Wahl vom 2. Februar. Diese wurde zweifelsfrei von der Pheu Thai Partei gewonnen, wurde aber unter dem Vorwand, dass die Stimmabgabe von regierungsfeindlichen Demonstranten des Reformkomitees Volksdemokratischen (PDRC) gestört wurde, für ungültig erklärt. Das PDRC, welches von der oppositionellen Demokratischen Partei unterstützt wird, besetzt seit November Regierungsgebäude und blockiert Bangkoks Straßen, um die regierende Pheu Thai Partei von der Macht zu verdrängen.

Das PDRC wird vom Großteil der Staatsbürokratie, einflussreichen Teilen der Wirtschaft und dem Justizapparat unterstützt. Es repräsentiert die Interessen der traditionellen Eliten Thailands, des Militärs und der Monarchie, die 2006 den Putsch gegen Telekom Milliardär Thaksin Shinawatra unterstützten. Diese Schichten der herrschenden Klasse verstehen Thaksin und Yingluck als Emporkömmlinge, die ihre Interessen durch die Öffnung des Landes für ausländische Investoren, die Einführung von begrenzten sozialen Reformen, sowie kostengünstige Gesundheitsversorgung und Subventionen für Reisbauern beschneiden. Diese Maßnahmen waren es, die den Shinwatras die Unterstützung der städtischen und ländlichen Armen einbrachte.

Während der erbitterten politischen Machtkämpfe der vergangenen acht Jahre hat das Verfassungsgericht eine Schlüsselrollerolle in der Unterstützung der traditionellen Eliten des Landes gespielt. Nachdem das Militär Thaksin gestürzt hatte, löste das Gericht seine Thai Rak Thai Partei auf. 2008 hat es zwei Premierminister der gewählten pro-Thaksin People’s Power Party ihres Amtes enthoben und die Partei komplett aufgelöst. Dem folgte die Einsetzung der vom Militär unterstützten Demokraten.

Nachdem gestrigen Urteil hat das PDRC zu einer Kundgebung für Freitag aufgerufen. Sein Vorsitzender Suthep Thaugsuban nannte diese als „endgültige kompromisslose Schlacht“ mit dem Ziel, die restliche Regierung zu stürzen. Die Demokraten fordern den Rücktritt der übriggebliebenen Minister.

Die Pheu Thai Partei bleibt im Amt, obwohl ihre Machtposition äußerst prekär ist. Nach dem Gerichtsurteil beteuerte Yingluck zwar ihre Unschuld, stellte aber nicht dessen Rechtmäßigkeit in Frage. Pheu Thais Rechtsexperte Bhokin Bhalakula verurteilte die Gerichtsentscheidung als eine „neue Putschform“ und forderte die Regierungsanhänger auf: „Sammelt euch, reicht Beschwerden ein und leitet rechtliche Schritte“ gegen das Gericht ein. Doch nach Angaben der Bangkok Post hat der Generalsekretär der Partei, Phumtham Wechayachai, „einen positiveren Ton gewählt. Er begrüßte, dass das Gericht nicht das ganze Kabinett seines Amtes enthoben hat.“

Yinglucks Stellvertreter Niwatthamrong Boonsongphaisan, der ein ehemaliger Geschäftspartner Thaksins ist, übernahm die Position des Interimspremierministers. Neuwahlen sind für den 20. Juli vorgesehen, aber selbst wenn diese stattfinden, werden die Demokraten die Abstimmung wahrscheinlich boykottieren. Der PDRC hat angekündigt, die Abstimmung zu stören. Dies würde dem Verfassungsgericht den Weg ebnen das Ergebnis erneut zu annullieren.

Die Regierung könnte vor den Wahlen ihres Amtes enthoben werden. Die oppositionsfreundliche Nationale Anti-Korruptions-Kommission (NACC), könnte Yingluck bereits heute anklagen. Die Anklage würde auf der erfundenen Anschuldigung basieren, sie habe „ihre Pflichten vernachlässigt “, weil sie Verluste in Kauf genommen hat die im Zusammenhang mit dem Reissubventionierungsplan stehen. Niwatthamrong könnte ebenfalls suspendiert werden, weil er als Handelsminister geholfen hat, diesen Plan zu entwickeln.

In einem anderen Fall beschuldigt die NACC 308 Abgeordnete, mit dem Versuch, die Verfassung zu ändern, um den Senat in ein vollständig gewähltes Organ zu wandeln, gegen das Gesetz verstoßen zu haben, was einem Gesetzbruch gleichkommt. Letzte Woche berichtete die NACC, dass sie einen Anfangsverdacht gegen 36 Senatoren festgestellt habe. Diese hatten die Verfassungsänderung unterstützt. Im Falle eines Schuldspruches könnte ihnen weitere politische Betätigung untersagt werden.

Nach Angaben der Bangkok Post werden mehrere Unterhausabgeordnete, die mit möglichen Maßnahmen der NACC rechnen müssen, „im Falle einer Neuwahl wahrscheinliche führende Rollen im Wahlkampf der Pheu Thai Partei übernehmen und wahrscheinlich Führungsrollen übertragen bekommen.

Die Post berichtete heute, das Militär schließe nicht aus, mit einem Putsch direkt einzugreifen. Ein ungenannter Befehlshaber des Militärs sagte, Generäle würden die politischen Entwicklungen „tagtäglich“ beobachten. Er fügte hinzu: „Die Ereignisse werden uns zeigen ob ein Putsch nötig ist, daher sind wir auf jegliche Situation vorbereitet.“ Dies entspricht früheren Aussagen des Armeeoberbefehlshabers Prayuth Chan-ocha, nach dessen Angaben das Militär einschreiten wird, falls Gewalt zwischen dem PDRC und der Vereinten Front für Demokratie und gegen Diktatur (UDD) ausbricht, die mit der Regierung sympathisiert.

Um die Empörung unter den Anhängern der Pheu Thai, die aus den ländlichen und städtischen Armen bestehen, einzudämmen, hat die UDD eine Kundgebung gegen die Amtsenthebung Yinglucks für den. 10. Mai am Stadtrand von Bangkok angekündigt. Es wird erwartet, dass Zehntausende an der Kundgebung teilnehmen. Nichtsdestoweniger verharmloste der Vorsitzende der UDD Jatuporn Prompan das Gerichtsurteil als er gegenüber Reuters äußerte, dass „sich das Gericht für einen Mittelweg entschieden hat.“ Auf einer Kundgebung in Nonthaburi am Dienstag hielt Jatuporn die Rothemden dazu an, nicht vor dem Gebäude des Verfassungsgerichts zu demonstrieren.

Sowohl die UDD als auch die Pheu Thai fürchten den Kontrollverlust über ihre Rothemden Anhänger und haben bisher vermieden große Kundgebungen im Zentrum von Bangkok anzusetzen. Yingluck und Thaksin repräsentieren eine Schicht der herrschenden Klasse, die ebenso feindlich gegen jegliche unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse gestimmt ist, wie ihre Rivalen, und genauso bereit ist demokratische Rechte und den Lebensstandard anzugreifen.

Bezeichnenderweise hat die US-Regierung die offensichtlich undemokratische Amtsenthebung der gewählten Premierministerin nicht verurteilt. Die Sprecherin des Außenministeriums, Jen Psaki, sagte, Washington habe „alle Seiten“ aufgefordert „die politischen Spannungen in Thailand in einer friedlichen und demokratischen Weise zu lösen“ und eine Wahl anzustreben. Washington hatte den Putsch 2006 stillschweigend gebilligt, der Thaksin aus dem Amt entfernte. Die Obama Regierung betrachtet das thailändische Militär als einen wichtigen Verbündeten in der militärischen Aufrüstung im asiatisch-pazifischen Raum mit dem Ziel, China einzukreisen und einen Krieg gegen China vorzubereiten.

Hinter den Anstrengungen eine Diktatur in Thailand einzurichten steckt die Wirtschaftskrise des Landes. Nach Angaben der Bank von Thailand ist die Wirtschaft im ersten Quartal aufgrund drastischer Rückgängen beim Tourismus, Export und Investitionen fast sicher geschrumpft. Dies ist im Vergleich zu einem durchschnittlichen fünf Prozent Wachstum von 2002 bis zum Beginn der weltweiten Finanzkrise 2008 zu sehen. Die Lage wird durch die politische Krise noch verschärft.

Ausländische und inländische Kapitalisten fordern lautstark, die ausweglose politische Situation zu lösen, damit die Last der Wirtschaftskrise mit Streichungen bei den Reissubventionen und anderen Sparmaßnahmen auf die Arbeiterklasse abgewälzt werden kann. Am Montag forderte die Financial Times Yinglucks Rücktritt, um die Subventionen zu streichen, auf die Millionen Menschen angewiesen sind.

Kesara Manchusree der Vizepräsident der thailändischen Börse, berichtete der Nation, die Kurse hätten positiv auf die Amtsenthebung Yinglucks reagiert. Er warnte aber, diese könnten im Fall von weiteren Unruhen erneut fallen. Der Vizepräsident der thailändischen Handelskammer Pornsilp Patchrintanakul drängte Niwatthamrong, sich mit dem PDRC auf „Reformen“ zu einigen. Doch der PDRC hat wiederholt Pheu Thais Versuche Zurückgewiesen, zu einer Einigung zu gelangen.

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