Kurdische Region erteilt dem amerikanischen Verlangen zur Einigkeit mit der irakischen Regierung eine Absage

Die gestrigen Gespräche zwischen dem amerikanischen Außenminister John Kerry und der Führung der kurdischen Regionalregierung im Irak endeten in einem neuerlichen Fiasko für die Obama-Regierung. Sie fanden in Ebril statt, der Hauptstadt der kurdischen autonomen Region.

Erst zwei Wochen sind vergangen, seitdem vier komplette Divisionen der von den USA ausgebildeten irakischen Armee und Tausende Polizisten ihre Positionen und Ausrüstung aufgegeben und der sunnitisch-extremistischen Isis-Gruppe (Islamischer Staat im Irak und in Syrien) die Kontrolle über die westlichen Bereiche der Stadt Mossul überlassen haben, die in der nördlichen Provinz Ninive gelegen ist. Die Isis-Kämpfer, die von sunnitischen Aufstandsorganisationen verstärkt werden, die schon gegen die amerikanische Okkupation gekämpft haben, trafen praktisch auf keinen Widerstand von Seiten des irakischen Militärs, als sie weiter südwärts in die Provinz Salahaddin vordrangen und die Stadt Tikrit eroberten; ebenso wenig, als sie die Stadt Samarra bedrohten, die ein von Schiiten verehrtes Heiligtum beherbergt und ein schiitischer Wallfahrtsort ist.

Der Großteil der nordwestlichen Stadt Tal Afar, die in der Nähe zur syrischen Grenze gelegen ist, fiel an die Isis. Ihre Kämpfer und weitere sunnitische Milizen belagern die wichtige nordirakische Ölraffinerie bei Baidschi und versuchen, die in der Provinz Dijala gelegene Stadt Bakuba zu erobern, nur 60 Kilometer von Bagdad entfernt. Weitere sunnitische Kämpfer, die von den Städten Falludscha und Ramadi in der westlichen Provinz Anbar aus operieren, haben wichtige Grenzübergänge zu Syrien und Jordanien erobert und bedrohen die Stadt Haditha sowie einen wichtigen Staudamm und ein Wasserwerk.

Am Montag traf sich Kerry mit dem irakischen Premierminister Nuri al-Maliki. Inzwischen versucht das gesamte amerikanische außenpolitische Establishment, die sektiererische Politik der von Schiiten dominierten Regierung für den sunnitischen Aufstand und das darauffolgende Militärdebakel verantwortlich zu machen. Zweifellos wird Kerry hinter verschlossenen Türen Maliki zum Rücktritt gedrängt haben. Das Weiße Haus scheint sich der Illusion hingegeben zu haben, dass ein Auswechseln der Gesichter an der Spitze seines Marionettenregimes in Bagdad die immensen sozialen Widersprüche und politischen Spaltungen aufheben könne, die durch die amerikanische Invasion und Besatzung erzeugt wurden und die die Ursache für den Zusammenbruch der Kontrolle der irakischen Regierung über große Teile des Westens und Nordens des Landes sind.

Maliki gab nach den Gesprächen indessen nicht zu erkennen, dass er zurückweichen wolle. Seine Partei und weitere schiitische politische Fraktionen kontrollieren nahezu die Hälfte der Parlamentssitze und stehen, worin auch immer ihre Differenzen bestehen mögen, jeglichem Kompromiss mit der sunnitischen Rebellion vereint entgegen. Zehntausende schwerbewaffnete schiitische Milizen wurden angeblich mit Unterstützung iranischer Militärberater seit vergangenen Freitag mobilisiert, um den loyalen Armeeeinheiten bei der Verteidigung von Bagdad, Samarra und den hauptsächlich schiitischen Südprovinzen des Iraks beizustehen und um Gegenangriffe gegen Bakuba und Falludscha zu beginnen.

Kerry erhielt gestern außerdem noch einen Korb von der kurdischen Elite. Nach seinem Gespräch mit Kerry versetzte Regionalpräsident Masud Barzani den Plänen für eine nationale Einheitsregierung einen Dämpfer. Stattdessen erklärte er, dass „wir einer neuen Realität und einem neuen Irak gegenüberstehen“. Er deutete an, dass das kurdische Establishment sogar noch größere Autonomie von Bagdad erstrebe oder potenziell sogar die Ausrufung eines unabhängigen Staates.

Die kurdische autonome Region ist praktisch bereits ein separater Staat. Unter dem Schutz der im Jahr 1991 von den Vereinigten Staaten erzwungenen „Flugverbotszone“ haben die beiden größten irakisch-kurdischen nationalistischen Parteien ihre gegenseitigen Zwistigkeiten beigelegt und eine gemeinschaftliche Regierung in den drei hauptsächlich von Kurden bewohnten Provinzen gebildet. Nach dem amerikanischen Einmarsch im Jahr 2003 gewährte die neue irakische Verfassung der kurdischen Region weitreichende Machtbefugnisse, darunter die Beibehaltung ihrer eigenen Streitkräfte sowie internationale diplomatische Beziehungen.

Seit dem 10. Juni nutzte die Regionalregierung den sunnitischen Aufstand, um das von ihr kontrollierte Territorium erheblich auszudehnen. Die Vororte von Mossul östlich des Flusses Tigris – mehr als die Hälfte der Stadt – fielen nicht an Isis, sondern wurden von den Peschmerga-Streitkräften der kurdischen Regionalregierung besetzt. Wenn die Peschmerga gegen Isis-Kräfte und andere sunnitische Gruppen kämpfte, dann nur wenn die Regionalregierung ihre Kontrolle über strategische Gebiete konsolidieren wollte. Kurdische Einheiten nahmen diejenigen Grenzübergänge unter Kontrolle, die den Irak mit den überwiegend kurdisch besiedelten Regionen Nordostsyriens verbinden. Sie griffen Isis nahe der Stadt Tal Afar an und übernahmen entlang der iranischen Grenze die von Kurden bevölkerten Gebiete in der Provinz Dijala. Am Bedeutsamsten indessen war die komplette Einnahme der Stadt Kirkuk und der an diese angrenzenden Ölfelder, die gemäß den Forderungen kurdischer Nationalisten der autonomen kurdischen Region und jeder unabhängigen kurdischen Nation angegliedert sein müssen.

Am Montag erklärte Barzani Christine Amanpour von CNN: „Offensichtlich zerfällt der Irak in seine Einzelteile…Die jüngsten Ereignisse…zeigen, dass das kurdische Volk die jetzige Gelegenheit nutzen sollte, das Volk der Kurden muss jetzt über seine Zukunft entscheiden.“ Er beharrte darauf, dass Kirkuk ein Bestandteil „Kurdistans“ sei und gab zu erkennen, dass die kurdischen Streitkräfte zum jetzigen Zeitpunkt von Angriffen auf Isis zurückgehalten würden. Die sunnitischen Extremisten, sagte Barzani, konnten deshalb eine „Revolte“ anführen, weil sich der „Volkszorn“ gegen die Bagdader Regierung angestaut habe. Er fügte hinzu, dass Maliki kurdische Hilfsangebote zurückgewiesen habe.

Das Selbstbewusstsein, mit dem die Regionalregierung ihre unabhängigen Pläne verfolgt, verdankt sich der Schwäche der Position sowohl der Vereinigten Staaten als auch von Maliki, sowie den engen Beziehungen, die sie zur Türkei entwickelt hat. Seit 2003 hat sich die Haltung des türkischen Staates gegenüber der irakisch-kurdischen autonomen Region verändert. Damals drohte die Türkei noch mit Militäraktionen, um jegliche Deklaration einer kurdischen Unabhängigkeit zu verhindern, weil sie befürchtete, dass damit die kurdisch-nationalistische Agitation innerhalb ihrer eigenen Grenzen befeuert würde. In den vergangenen zehn Jahren indessen hat die kurdische Separatistenbewegung in der Türkei, die Kurdische Arbeiterpartei (PKK), sich von ihren Forderungen nach einem eigenen Staat distanziert, während der Handel mit der autonomen kurdischen Region aufblühte.

Die Türkei ist der größte Investor in der autonomen Region und spielte die entscheidende Rolle bei der Entwicklung ihrer Ölindustrie. Im vergangenen Jahr wurde eine Pipeline von den irakisch-kurdischen Ölfeldern zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan eröffnet. Unter Missachtung der Bagdader Regierung und Washingtons, die beide darauf bestanden, dass alle Ölexporte zentral organisiert werden müssten, gehen jetzt Lieferungen von Ceyhan aus in den Verkauf. In der vergangenen Woche entlud ein Tanker angeblich kurdisches Öl am israelischen Hafen Aschkelon zum Weiterexport an ungenannte Käufer. Berichten zufolge haben Ingenieure die Ölfelder von Kirkuk ebenso mit der Pipeline nach Ceyhan verbunden, nachdem am 4. Juni zwischen der Türkei und der kurdischen autonomen Region eine Ölexportvereinbarung für die nächsten 50 Jahre unterzeichnet wurde.

Inmitten des Zerfalls des irakischen Staats und angesichts der Realitäten vor Ort, die eine kurdische Unabhängigkeit bedeuten, erklärte Huseyin Celik, der türkische Regierungssprecher, am 13. Juni: „Die Kurden im Irak können selbst den Namen und die Form des Staatsgebildes wählen, in dem sie leben. Die Kurden haben, wie jede andere Nation auch, das Recht, über ihr Schicksal zu bestimmen.“ Zum Mindesten deutet die türkische Regierung an, dass sie nicht versuchen werde, die Errichtung eines kurdischen Staates im Nordirak zu verhindern.

Der Abspaltung der autonomen kurdischen Region fehlt es nicht einmal in der amerikanischen herrschenden Klasse an Befürwortern. Eine Zeitlang befand sich auch Vizepräsident Joe Biden unter ihnen. Am 17. Juni schrieb Peter Galbraith, der ehemalige amerikanische Botschafter in Kroatien, der bei den Intrigen, die zum Zerfall des früheren Jugoslawiens führten, eine Rolle gespielt hatte, im Politico Magazine, dass „führende Beamte [des Außenministeriums] jetzt immer häufiger im privaten Kreis bestätigen, dass die Unabhängigkeit Kurdistans unvermeidlich ist.“

Galbraith skizzierte die schäbigen Deals, die ins Auge gefasst werden und sagte: „Hier also die Grundlage des Geschäftes: die Vereinigten Staaten erkennen die Unabhängigkeit Kurdistans an und im Austausch unterstützen die Peschmerga-Truppen den amerikanischen Luftkrieg gegen Isis und helfen bei der Stabilisierung dessen, was bislang der Irak war.“ Sein Kommentar ging mit keinem Wort auf die langfristige Aussicht eines offenen Konflikts zwischen Kurden und irakischen Schiiten ein, auch nicht auf die sich weiter verschärfende Katastrophe für die Bevölkerungen des Nahen Ostens, die von den Intrigen des amerikanischen Imperialismus verursacht wurde.

Nachdem er seinen verstohlenen Kurzbesuch mit leeren Händen beendet hatte, begab sich Kerry zum Nato-Außenministertreffen in Brüssel. Das Meeting war angesetzt worden, um die US- und Nato-Offensive gegen Russland aufgrund der Ukraine-Krise zu koordinieren. Es wird nun von dem Debakel überschattet, das der US-Imperialismus im Irak verursacht hat.

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