Metropolitan Opera zensiert „The Death of Klinghoffer“

Die Entscheidung der Metropolitan Opera in New York City, John Adams Oper „Klinghoffer“ als weltweite Video- und Radio-Übertragung fallen zu lassen, kommt einer skandalösen und feigen Kapitulation gleich und hat weitreichende Implikationen.

Adams Oper „The Death of Klinghoffer” (Klinghoffers Tod, 1991) erzählt nach einem Libretto von Alice Goodman die Entführung des Kreuzfahrtschiffs Achille Lauro im Oktober 1985 durch vier Mitglieder der Palästinensischen Befreiungsfront (PLF). In ihrem Verlauf töteten die Terroristen den 69jährigen, an den Rollstuhl gefesselten Leon Klinghoffer und warfen seine Leiche über Bord.

Die Behauptung, das Werk sei “antijüdisch“ (wie es am 18. Juni auf der Titelseite des Schundblatts New York Post heißt) ist beleidigend und absurd. So etwas kann nur jemand schreiben, der weder die Oper noch das Libretto kennt, – oder der eine ideologische Agenda verfolgt. Das musikalische Werk beginnt mit Chören sowohl „vertriebener Palästinenser“ als auch „vertriebener Juden“. Es ist ein poetischer und düsterer Versuch, der historischen Tragödie des israelisch-palästinensischen Konflikts gerecht zu werden. Die einzigen antisemitistischen Verse, die darin vorkommen, (und die seine Gegner oft zitieren) sind einer Rolle zugeschrieben, die „Rambo“ genannt wird, offensichtlich ein Sadist und brutaler Schläger.

Das wahre Verbrechen, das der Oper vorgeworfen wird, besteht darin, dass sie dem palästinensischen Volk eine Stimme verleiht und über seine Unterdrückung thematisiert. So beginnt der „Chor der vertriebenen Palästinenser“ mit den Worten: „Das Haus meines Vaters wurde zerstört / Im Jahr 1948 / Als die Israelis / Unsre Straßen passierten“. Offenbar ist für die Zionisten jeder Hinweis auf die historische Realität der Vertreibung von hunderttausenden Palästinensern unerträglich. Schon der Film „München“ (2005) von Tony Kushner und Steven Spielberg hatte mit einer ähnlichen Verleumdungskampagne zu kämpfen.

Die Entscheidung der Metropolitan Opera hat weltweit für Empörung gesorgt. Nicholas Kenyon, leitender Direktor des Barbican Centre in London, nannte sie „schockierend, kurzsichtig und nicht zu verteidigen“. Der zeitgenössische amerikanische Komponist Nico Muhly beschrieb “The Death of Klinghoffer” mit den Worten: “Es ist eine der feinsten, komplexesten und herzzerreißendsten Opern die ich mir vorstellen kann“.

Adams selbst schrieb, seine Oper würdige „die Träume und Sorgen nicht nur der Israelis, sondern auch des palästinensischen Volkes. In keiner Weise akzeptiert oder befürwortet sie Gewalt, Terrorismus oder Antisemitismus.“ Weiter bemerkte er, die Absetzung der internationalen Video- und Radio-Übertragung „geht weit über Fragen der ‚künstlerischen Freiheit’ hinaus und schürt am Ende dieselbe Intoleranz, die die Verleumder der Oper behaupten, verhindern zu wollen.“

Es ist in der Tat eine schreckliche Ironie, dass jene Kritiker, die der Oper vorwerfen, sie setze angeblich den Holocaust mit dem zionistischen Umgang mit Palästinensern gleich, am liebsten selber eine Bücherverbrennung von Adams Werk veranstalten würden.

Die aktuelle Kontroverse drückt sich im Konflikt zwischen pro-israelischen Kräften und jenen aus, die den zionistischen Staat eher kritisch sehen. Aber die Fragen, die darin enthalten sind, reichen weit darüber hinaus.

Der Feldzug gegen Adams Werk entspringt einer ganz bestimmten Schicht der wohlhabenden Elite. Was sie in Rage versetzt, ist ein Kunstwerk, das sich allgemein gegen soziale Unterdrückung richtet und den Zorn der Unterdrückten artikuliert. Eine ähnlich hysterische, rasende Reaktion würde wohl auch eine Oper entfachen, wenn sie die französische oder russische Revolution verteidigen oder ausdrücken würde, dass auch amerikanische Arbeiter guten Grund zur Revolte haben.

Mit der Absetzung der weltweiten Opern-Übertragung haben diese Leute nur den Fuß in die Tür bekommen. Die reaktionären Elemente fordern bereits, dass die Met auch die Bühnenaufführung von Klinghoffers Tod absetze. Die Finanzaristokratie besteht auf ihrem Recht, zu entscheiden, was ein Auditorium sehen darf und was nicht.

Jonathan Tobin hat auf der Website Commentary einen einschüchternden und drohenden Artikel geschrieben, in dem er wider besseres Wissen behauptet, Adams’ Oper „rechtfertigt Terrorismus“ und „verleumdet Juden“. Er verrät, was die tiefer liegenden Motive sind, wenn er schimpft: „Solche beleidigenden Ansichten sind heute Mainstream-Meinung in der Welt der großen Kunst, wo die Klassiker in der Aufführung oft verzerrt und aus ihrer ursprünglich religiösen oder emotionalen Form in Parabeln für Marxisten und andere linke Ideologen verwandelt werden.“

Tobin schießt über sein Ziel hinaus, wenn er anschließend versucht, dem Argument vorzubeugen, dass zwar „zahlreiche Bestandteile des klassischen Opernrepertoires einst zu politischen Kontroversen führten und der Zensur unterworfen wurden. Aber Vergleiche mit Opern von Giuseppe Verdi, um nur ein prominentes Beispiel zu nennen, sind hier nicht angebracht“. In Wirklichkeit sind sie in höchstem Maße angebracht.

Über die Zustände vor den Revolutionen der 1830er und 1840er Jahre schreibt ein Historiker: “Eine rigide politische Zensur war in ganz Europa die Norm.” Komponisten wie „Rossini, Donizetti und Bellini waren in Rom, Neapel, Mailand, Paris oder Wien so ziemlich den gleichen Konditionen und Einschränkungen unterworfen“, die auch im deutschen Reich und natürlich im zaristischen Russland herrschten.

Verdi war wieder und wieder gezwungen, gegen die Zensur zu kämpfen. Als er erfuhr, dass seine Oper „Rigoletto“ in Venedig verboten war, schrieb der Komponist einem Freund, er habe „fast den Kopf verloren“ und sei vollkommen verzweifelt.

Ein anderer Historiker schreibt, im Allgemeinen „erblickten europäische Autoritäten in einer freien Bühne eine ernsthafte Bedrohung für die herrschende Machtstruktur“. Der Großfürst der Toskana zum Beispiel verbot 1822 ausdrücklich jedes Werk, das “politisch subversiv“ sei oder „auf einem böswilligen Plan gründet, die Ehrfurcht vor der Religion oder dem Thron zu schwächen oder zu zerstören, und das in den Köpfen der Menschen feindliche Gefühle gegenüber ihnen weckt“.

Zu dieser Art von reaktionärer politisch-finanzieller Kontrolle über die Kunst kehren wir gerade zurück. Die milliardenschwere Elite wird jedes Werk bekämpfen, das dem Publikum die Augen öffnet, es erziehen oder seinen Horizont erweitern könnte, das es über wichtige historische oder gesellschaftliche Fragen aufklären oder seinen Widerspruch und seine Empörung steigern könnte. Sie bestimmen in Amerika schon heute über alles andere, warum nicht auch über Theater und Oper?

Zahlreiche Kommentatoren vermuten, dass der leitende Met-Direktor Peter Gelb sich der rechten Lobby habe beugen müssen, weil sich unter ihnen manch ein großer Gönner der Met befinde, während die Oper, wie praktisch jede amerikanische Kunsteinrichtung, in der Haushaltsklemme stecke.

Das ist die empörende, katastrophale Folge davon, dass das Überleben von Museen, Opernhäusern, Balletten und Orchestern – und sogar ganze Schulbezirke und Bibliotheken – in den USA von den Reichen abhängen. Damit soll Gelb nicht entschuldigt werden, und übrigens auch nicht die Entscheidungsträger des Detroit Institute of Art. Aber ihre Mutlosigkeit ist letzten Endes der subjektive Ausdruck einer objektiv unhaltbaren Situation. Was den Fall Klinghoffer betrifft, so beobachtete der holländische Komponist Michael van der Aa zu Recht, „wie gefährlich es ist, ein Opernsystem zu haben, das in so hohem Maße von Spenden abhängig ist. Mit der Großzügigkeit verbunden ist die Einflussnahme“.

In Europa herrschte lange Zeit Zensur über Oper und Theater, und sie wurde erst im späten 19. und 20. Jahrhundert überwunden, sozusagen als Nebenprodukt einer zunehmend selbstbewussten und sozialistisch gesinnten Arbeiterbewegung.

Der aktuelle Würgegriff der Reichen über Kunst und Kultur kann nur durch die Arbeiterklasse gebrochen werden. Sie muss die Verteidigung des freien künstlerischen Ausdrucks übernehmen und sicherstellen, dass sich innovative und oppositionelle Ideen und Strömungen ungehindert ausdrücken können. Das ist Teil ihrer politisch unabhängigen, sozialistischen Mobilisierung.

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