Weitere Bestimmungen des Higgs-Bosons

Untersuchungen der beiden Hauptforschungsgruppen am Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider (LHC) – CMS und ATLAS – haben aufgezeigt, dass das Higgs-Boson auch in eine besondere Klasse von Teilchen mit geringerer Masse zerfällt, sogenannte Down-Type-Fermionen. Damit werden frühere Studien zum Higgs ergänzt, die sich mit Up-Type-Fermionen beschäftigt haben. Beide zusammen ergeben ein deutlicheres Bild davon, wie das Higgs mit anderen Teilchen interagiert.

Das Verständnis des Higgs stellt das letzte große Teilstück des Standardmodells der Teilchenphysik dar. Ebenso wie das Periodensystem für die Chemie, liefert das Standardmodell ein theoretisches Grundgerüst zur Beschreibung der Natur und Wechselwirkung von Elementarteilchen. Seine Hauptschwäche besteht darin, dass die Masse jedes einzelnen Teilchens nicht theoretisch erklärbar ist, sondern eine experimentell beobachtete Größe bildet. Die gegenwärtige Erforschung des Higgs ist der erste Schritt zur Auflösung dieser Diskrepanz.

Die vorliegenden Ergebnisse sind die neuesten innerhalb eines langangelegten Programms zur experimentellen Verifizierung der vorhergesagten Eigenschaften des Higgs-Bosons. Als die Europäische Organisation für Kernforschung (CERN) im Jahr 2012 erstmals die Entdeckung eines neuen Teilchens verkündete, wurde zunächst lediglich angenommen, dass es sich um das Higgs handelte, denn alles, was man entdeckt hatte, war die Masse. Nichts weiteres Konkretes war bekannt, als dass die Forscher jetzt wussten, welche Energiebereiche untersucht werden müssen, wenn die Daten aus dem LHC ausgewertet werden.

Die nachfolgenden Monate wurden damit verbracht, zu studieren wie das neue Teilchen zerfällt. Dies ist der direkte Weg, über den Physiker die Eigenschaften neuer Teilchen entdecken. Der Zerfall stellt die Transformation eines Teilchens in ein oder mehrere andere Teilchen dar, und steht im Einklang mit den physikalischen Gesetzen, wie etwa die Masse- und Energieerhaltung, die diesen Prozess beherrschen. Indem sie sich jeden Zerfallstyp des Teilchens sowie die Häufigkeit seines Auftretens anschauen, erhalten die Physiker eine Vorstellung davon, in welcher Weise ein neues Teilchen in das vorhandene theoretische Rahmengerüst aufgenommen werden könnte.

Eine weitere Quantität, die erhalten bleibt, nachdem ein Teilchen zerfallen ist, ist die geheimnisvolle Quanteneigenschaft, die als „Spin“ bezeichnet wird. Sie hat kein Gegenstück im Verhalten der Materie innerhalb der makroskopischen Welt. Teilchen haben entweder eine ganzzahlige (0, 1, 2, ...) Spinquantenzahl und heißen Bosonen, oder ihr Spin hat eine halbzahlige (1/2, 3/2, ...) Quantenzahl, dann heißen sie Fermionen. Mit diesen Bezeichnungen werden die beiden Physiker Satyendra Bose und Enrico Fermi in Ehren gehalten. Jene subatomaren Teilchen, die die Bausteine bilden, welche wir für „Materie“ halten, sind Fermionen. Jene Teilchen, die die Interaktionen zwischen allen Teilchen (und zwischen sich selbst) vermitteln, sind die Eichbosonen.

Die weitere Erforschung des mutmaßlichen Higgs ergab, dass das Teilchen auf drei verschiedene Weisen zerfällt: in ein Photonenpaar (eine Bosonenart), in ein Paar W-Bosonen und ein Paar Z-Bosonen. Das einzige von der Teilchenphysik auf Grundlage der bekannten Energien vorhergesagte Teilchen, das dies vermag, ist das Higgs-Boson. Demzufolge bestätigte CERN im Jahr 2013 die Entdeckung des Higgs.

Dies war in vielerlei Beziehungen ein Triumpf. Insbesondere fand die tiefgehende Beziehung zwischen dem Higgs-Boson und den elektromagnetischen und schwachen Kräften (gesteuert respektive von den Photonen und den W- und Z-Bosonen), die 1964 von Robert Brout, Francois Englert und Peter Higgs vorhergesagt wurden, ihre Bestätigung. Damit das neue Teilchen vollständig die Vorhersagen erfüllte, musste es jedoch auch direkt in Fermionen zerfallen.

Nachdem die Physiker ein Jahr lang die gesamte Datenmenge ausgewertet haben, die der LHC lieferte, fanden sie heraus, dass das Higgs tatsächlich zusätzlich in Fermionen zerfällt. In diesem Fall wurde beobachtet, dass das Higgs sich entweder in ein Paar Tau-Leptonen (massestärkere Verwandte des Elektrons) oder Bottom-Quarks (massestärkere Verwandte des Down-Quarks, eines der zwei subatomaren Teilchen, das Protonen und Neutronen bildet) verwandelt.

Darüber hinaus deuten die Ergebnisse aufgrund der Beziehung zwischen den massestärkeren Teilchen und ihren weniger massestarken Seitenstücken darauf hin, dass das Higgs-Boson ebenfalls direkt in Elektronen und Down-Quarks zerfallen muss, wenngleich es zweifelhaft bleibt, ob dies von der gegenwärtigen Generation der Teilchenbeschleuniger aufgespürt werden kann. Diese Resultate stimmen aufs Engste überein mit den Vorhersagen des Standardmodells.

Ebenso wie bei vielen anderen Vorhersagen innerhalb der Physik verging recht viel Zeit zwischen der ersten Prognose des Higgs-Bosons und seiner experimentellen Überprüfung. Obwohl die Technologie zur Entdeckung des Higgs bereits in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren existierte, haben die Verschiebungen im globalen politischen Klima nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion dazu geführt, das wichtige wissenschaftliche Projekte beiseite gedrückt wurden. Im Ergebnis brauchten die Teilchenphysikforscher zwei weitere Jahrzehnte, um experimentell zu demonstrieren, dass das Higgs existiert und die Masse aller Teilchen vermitteln könnte.

Natürlich ist die Arbeit damit nicht fertig gestellt. Die Autoren der jüngsten Dokumente gestehen offen ein, dass weitere Daten nötig sind, um die Eigenschaften des Higgs weiter festzumachen und die leiseste Möglichkeit eines statistischen Zufallstreffers auszuschließen.

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