Nach der Präsidentschaftswahl:

Chaos in Afghanistan

In Afghanistan wurde laut vorläufigem Ergebnis Ashraf Ghani am Montag zum Sieger der Präsidentschaftswahl vom 14. Juni erklärt. Dies hat sofort den Protest der Machtbasis des rivalisierenden Kandidaten Abdullah Abdullah hervorgerufen. Abdullah bezeichnete die Wahl als gefälscht und das angebliche Resultat als „Putsch gegen den Volkswillen“. Er erklärte sich selbst zum Sieger.

Washington ist derart besorgt über die Situation, dass Präsident Obama persönlich mit Abdullah telefonierte und ihn davor warnte, „gewaltsam oder mit ungesetzlichen Mitteln“ gegen die angeblichen Wahlfälschungen vorzugehen.

Das Endresultat soll am 24. Juli verkündet und der neue Präsident am 2. August in sein Amt eingeführt werden. Die Obama-Regierung und andere Besatzungsmächte feierten die Wahl absurderweise aber erwartungsgemäß als demokratisches Highlight. Doch nun versinkt das Wahlgeschehen im Sumpf der Korruptions- und Betrugsvorwürfe.

Der Unabhängigen Wahlkommission zufolge wurden bei der Wahl mehr als acht Millionen Stimmen abgegeben, viel mehr, als Beobachter angenommen hatten. Der ehemalige Weltbankmanager Ghani, der in den Regierungen des ausscheidenden Präsidenten Karzai mitgearbeitet hatte, soll angeblich 56,4 Prozent der Stimmen erhalten haben. Abdullah, der auch unter Karzai gearbeitet hat, aber 2009 gegen ihn kandidierte, erhielt den vorläufigen Zahlen zufolge 43.5 Prozent.

Abdullahs Vertreter fordern, die Stimmzettel in mehr als 7.000 Wahllokalen zu überprüfen und für ungültig zu erklären. Sie beanstanden, Anhängern Ghanis hätten bis zu zwei Millionen Stimmzettel illegal in die Wahlurnen geschleust.

Die imperialistischen Interessen der USA erlitten schon im Nahen Osten Schiffbruch, wo die Al-Qaida-freundlichen Milizen des Islamischen Staates (IS) große Teile dieser Länder übernommen haben. Jetzt entwickelt sich in Zentralasien ein weiteres Debakel für Washington.

Nur Monate vor dem offiziellen Abzugstermin des größten Teils der amerikanischen und anderen Nato-Truppen aus Afghanistan gehen sich dort zwei verfeindete Lager gegenseitig an die Gurgel. Beide haben die amerikanische Besetzung des Landes in den letzten dreizehn Jahren unterstützt, während sich der Widerstand der Bevölkerung gegen die Besatzung nicht verringert hat.

Eine veritable Galerie von Schurken, alle unter der Besatzung reich geworden, hat den relativ unbekannten Ashraf Ghani in den Status des gewählten Präsidenten katapultiert. Sein stärkster Unterstützer ist das so genannte „Karzai-Kartell“, d.h. die paschtunischstämmigen Warlords und Geschäftsleute, die sich auf die Seite der Invasoren schlugen und Karzais Präsidentschaft nutzten, riesige Vermögen zusammenzuraffen. Dazu unterschlugen sie amerikanische und internationale Hilfsgelder, die seit 2002 in das Land gepumpt wurden.

Nie verstummten die Gerüchte, dass Günstlinge der Karzai-Regierung, einschließlich Mitglieder seiner Familie, tief in die weit verbreitete Produktion und den Export von Opium und Heroin in Südafghanistan verstrickt sind.

In der Provinz Kandahar, wo der Karzai-Clan die lokalen Behörden dominiert, führen Abdullahs Anhänger als Beweis für Wahlfälschung die Tatsache an, dass am 14. Juni sechs Mal so viele Stimmen abgegeben wurden als in der ersten Wahlrunde am 5. April – die meisten davon für Ghani.

Auch der Warlord Abdul Rashid Dostum unterstützte Ghani, und wenn das Ergebnis Bestand hat, soll er Vizepräsident werden. Dostum herrscht in der von Usbeken bewohnten Region im Norden Afghanistans mit eiserner Faust. Seine Milizen waren sowohl im afghanischen Bürgerkrieg in den 1990er Jahren, wie auch während der Invasion von 2001, wo sie auf Seiten der USA kämpften, für zahllose Gräueltaten verantwortlich. Dostum selbst wurde immer wieder beschuldigt, den Opium- und Heroin-Handel in großem Stil zu lenken und davon zu profitieren.

2009 beschuldigte Abdullah mit guten Gründen Hamid Karzai, die Wahlen gefälscht zu haben. Die Obama-Regierung überredete ihn schließlich, das Ergebnis zu akzeptieren. Dieses Mal lässt sein Vorgehen jedoch erkennen, dass die tadschikischen Warlords, die hinter seiner Präsidentschaftsbewerbung stehen, nicht noch einmal bereit sind, sich von der Macht fernhalten zu lassen.

Die tadschikischen Strippenzieher bildeten 1996 die Nordallianz, um gegen die islamistischen, paschtunischen Taliban um die Kontrolle des Landes zu kämpfen. Sie unterstützten die amerikanische Invasion 2001 und versuchten, das Besatzungsregime soweit irgend möglich für ihre Interessen zu nutzen.

Heute weist Abdullahs Erklärung darauf hin, dass sie das Ghani-Lager mit der Drohung eines Militärputsches oder eines Bürgerkriegs zumindest auf Linie zu bringen versuchen. Mehr als ein Drittel der afghanischen Armee, mindestens fünfzig Prozent der Offiziere und die meisten der am besten ausgebildeten Sondereinheiten sind Tadschiken, und viele von ihnen unterhalten enge Beziehungen zur ehemaligen Nordallianz.

Der Kampf um das Präsidentenamt ist vor allem ein Kampf um die schrumpfenden internationalen Hilfsgelder, welche die Anhänger der Besatzung in der afghanischen Elite geplündert haben. Bis zu neunzig Prozent des nominellen afghanischen Bruttoinlandsprodukts von 34 Milliarden Dollar stammen aus militärischen Ausgaben und Hilfsgeldern. Je mehr die USA und die Nato ihr Engagement verringern, umso langsamer fließt das Geld. Die USA haben ihre zivilen Hilfsgelder dieses Jahr auf 1,12 Milliarden Dollar halbiert. Die jährlich sechzehn Milliarden Dollar Hilfsgelder, die letztes Jahr in Tokio von anderen Ländern zugesagt wurden, werden vermutlich nie ankommen.

Die Reduzierung der ausländischen Truppen von 130.000 im Jahr 2012 auf 50.000 läuft bestimmten Kreisen der herrschenden Elite, die eng mit der Nato-Besatzung verbunden sind, ebenfalls zuwider. Afghanische Sicherheitsfirmen, die enge Beziehungen zur Besatzung unterhalten, verlieren Milliarden Dollar Einnahmen, da sie Wachen und Eskorten für Nachschubkonvoys stellen. Viele Menschen, dich sich durch Dienstleistungen verschiedener Art für die ausländischen Truppen eine Existenz aufgebaut hatten, haben ihren Lebensunterhalt verloren.

Ende des Jahres wollen die USA ihre Zahl ihrer Soldaten auf 9.800 verringern und diese auf streng bewachte Basen wie den Flugplatz bei Bagram und die Hauptstadt Kabul zurückziehen. Es sieht so aus, dass das afghanische Regime ab 2015 über viel weniger Bestechungsgelder verfügen wird als unter Karzai.

Alle Behauptungen, die USA und ihre Verbündeten in Afghanistan hätten eine rechtsstaatliche Demokratie geschaffen, die die Menschenrechte respektiert, werden vom korrupten und abhängigen Charakter dieses funktionsunfähigen Regimes der Lüge geziehen.

Während ungezählte Milliarden Dollar den Weg in die Taschen der amerikanischen Marionetten gefunden haben, wurde die afghanische Bevölkerung von Krieg, Unterdrückung und Armut terrorisiert. Nach fast dreizehn Jahren Besatzung beträgt die Arbeitslosigkeit 35 Prozent, und fast vierzig Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze in schrecklicher Armut und Unterernährung.

Die Taliban und andere Organisationen, die gegen die Besatzung kämpfen und immer noch die Kontrolle über große Teile besonders der paschtunischen Südprovinzen ausüben, werden die Hauptnutznießer der Wahlkrise und der schmutzigen Auseinandersetzungen zwischen den rivalisierenden Fraktionen sein.

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