Der CIA-Spionageskandal und der Niedergang der amerikanischen Demokratie

Letzten Donnerstag kündigte das US-Justizministerium unauffällig an, es werde nach den Enthüllungen im März, dass die CIA den Geheimdienstausschuss des Senats ausspioniert hatte, keine Ermittlungen einleiten. Die Mainstreammedien berichteten kaum über diese Entscheidung - bei der es um einen der bedeutendsten Verstöße gegen die Verfassung in der modernen amerikanischen Geschichte geht. Keine Teil des politischen Establishments reagierte darauf in erwähnenswerter Weise.

Die Entscheidung der Obama-Regierung und deren Duldung durch das übrige Washington zeigt, dass hinter der Fassade der Demokratie in Wirklichkeit ein nicht gewählter, autoritärer Militär- und Geheimdienstapparat herrscht. Das Militär und die Geheimdienste, die ein riesiges, weltweites Gewalt- und Betrugsgeschäft betreiben, operieren im Geheimen, ohne sich rechtfertigen oder einschränken zu müssen, egal welche Partei im Kongress und im Weißen Haus regiert.

Obama selbst - dessen erste Arbeitsstelle nach seinem Collegeabschluss eine Tätigkeit als Analyst bei der Business International Corporation war, einer Institution mit gut dokumentierten Beziehungen zur CIA - ist in der Praxis ein Strohmann der Militär- und Geheimdienstbürokratie. Erst letzte Woche erklärte er als Reaktion auf die Krise der amerikanisch-deutschen Beziehungen, die durch die Enthüllung entstanden war, dass die CIA Mitarbeiter rekrutiert hatte, um den Bundesnachrichtendienst auszuspionieren, er wisse nichts vom Vorgehen der CIA. Daraus ergibt sich die Frage, wer das Land regiert.

Obama hat John Brennan, der für die illegale Überwachung des Kongresses verantwortlich war, selbst zum CIA-Chef ernannt. Als hochrangiger CIA-Mitarbeiter während der Bush-Regierung verteidigte Brennan den Einsatz von "verschärften Verhörtechniken" (d.h., Folter) gegen Terrorverdächtige.

Obama selbst hatte, seit er an der Macht ist, alle Hände voll zu tun, die Verbrecher der Bush-Regierung vor Ermittlungen oder Anklagen zu schützen.

Die Überwachung des Kongresses durch die CIA ist ein schwerer Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung, ein Grundstein der amerikanischen Verfassung. Amerikanischen Highschool-Schülern wurde früher in Staatsbürgerkunde beigebracht, dass die Grundtheorie der amerikanischen verfassungsmäßigen Regierung sei, dass sich eine Tyrannei nur verhindern lasse, wenn man die Staatsmacht auf drei unabhängige Organe aufteilt - die Legislative, die Exekutive und die Judikative (Gerichte) - deren jeweils eigene begrenzte Macht durch ein System der gegenseitigen Kontrolle reguliert ist.

Der CIA-Spionageskandal ist besonders schwerwiegend, weil das Ziel der CIA nicht einfach irgendein Ausschuss des Kongresses war, sondern genau der Senatsausschuss, der die Aufgabe hat, die CIA zu überwachen.

Die Ursprünge des Skandals liegen in einer Untersuchung eines CIA-Folterprogramms durch den Kongress, das von 2002 bis 2009 lief, sowie der Versuche der Bush-Regierung, die kriminellen Praktiken der CIA zu vertuschen. Im Rahmen dieses Programms ließ die CIA Personen entführen und "überstellte" sie nach Übersee in eigene "Geheimgefängnisse“, in denen sie gefoltert wurden. Eines der Themen bei der Untersuchung des Geheimdienstausschusses des Senats war die Zerstörung von Videobändern durch die CIA, die Waterboarding und andere Formen von Folter zeigten.

Der Senatsausschuss hat einen 6.300-seitigen Entwurf für einen Bericht über das Programm vorbereitet, doch die CIA hat die Veröffentlichung mit Unterstützung durch Obamas Weißes Haus bisher aus Gründen der "nationalen Sicherheit" blockiert.

Im Lauf der Untersuchung des Senats - und obwohl die CIA darauf beharrte, dass dem Ausschuss Dokumente nur in einer eigens dafür eingerichteten Anlage im CIA-Hauptquartier in Langley, Virginia, zur Verfügung gestellt werden können, kamen Mitarbeiter des Ausschusses in den Besitz von Dokumenten, die für den ehemaligen CIA-Direktor Leon Panetta erstellt worden waren. Die Dokumente zeigen, dass CIA-Funktionäre den Kongress im Laufe der Untersuchung systematisch belogen hatten.

Die CIA reagierte darauf, indem sie die Computer der Senatsmitarbeiter hackte, scheinbar um festzustellen, wie die Dokumente in ihren Besitz gelangt waren, und um zu versuchen, die Daten zu löschen.

Dianne Feinstein, eine demokratische Senatorin aus Kalifornien und Vorsitzende des Geheimdienstausschusses des Senats, erfuhr im Januar dieses Jahres von dem Verstoß, versuchte jedoch, die Angelegenheit beizulegen ohne die Öffentlichkeit darüber zu informieren. CIA-Direktor John Brennan erklärte, die CIA habe nur auf unberechtigten Zugang zu vertraulichen Aufzeichnungen reahiert. Laut Brennan hatte die CIA also das Recht, dem Kongressausschuss, dessen Aufgabe es ist, sie zu überwachen, Dokumente vorzuenthalten. Aus Brennans Position ergibt sich die offensichtliche Frage: wenn der Geheimdienstausschuss des Senats kein Recht hat zu erfahren, was die CIA tut, wer dann?

Erst als Brennan deutlich machte, er werde das Justizministerium bitten, Ermittlungen gegen die Mitarbeiter aufzunehmen, die die Dokumente in ihren Besitz gebracht hatten, protestierte Feinstein im März im Senat. Feinstein warf der CIA direkt vor, gegen das verfassungsmäßige Prinzip der Gewaltenteilung und den vierten Zusatzartikel zu verstoßen (der nicht angeordnete Durchsuchungen und Beschlagnahmungen verbietet), sowie gegen das Gesetz gegen Computerbetrug- und Missbrauch und gegen Executive Order 12333, die es der CIA verbietet, im Inland Durchsuchungen oder Überwachungen durchzuführen. Zum Zeitpunkt der Rede empfahl Feinstein dem Justizministerium, Ermittlungen gegen die CIA aufzunehmen.

Feinstein benannte in ihrer Rede zwar schwere Rechtsverstöße, die mindestens ein Amtsenthebungsverfahren rechtfertigen, dennoch wurden seither keine ernsthaften Maßnahmen ergriffen oder auch nur in Erwägung gezogen. Die Obama-Regierung reagierte auf die widersprüchlichen Anfragen nach Strafverfolgung mit dem Versprechen, beide zu prüfen. Danach wurde das Thema völlig fallengelassen - von Feinstein, dem Senat, den Medien und den Politikern beider Parteien.

Jetzt, vier Monate später, gibt die Regierung bekannt, dass es keine Untersuchung geben werde. Feinstein, eine sklavische Verteidigerin der Geheimdienste, darunter der NSA und ihrer Massenüberwachungsprogramme, reagierte darauf, indem sie die Entscheidung des Justizministeriums lobte, in der Angelegenheit nicht weiter zu ermitteln.

Die Episode veranschaulicht die Unterwürfigkeit des Kongresses, des Präsidenten und der ganzen staatlichen Bürokratie vor dem Militär- und Geheimdienstapparat, der noch weit über alles hinausgewachsen ist, was sich Präsident Eisenhower hätte vorstellen können, als er 1961 seine berühmte Warnung vor dem "militärisch-industriellen Komplex" aussprach.

Leo Trotzki schrieb 1929, am Aufstieg diktatorischer Tendenzen in Europa zeige sich der Zusammenbruch demokratischer Herrschaftsformen angesichts verschärfter Klassenspannungen und zunehmender Konflikte unter den imperialistischen Mächten. Er schrieb: „Als Analogie zur Elektrotechnik könnte man die Demokratie als ein System von Sicherheitsschaltern und Sicherungen definieren, die verhindern sollen, dass die Leitungen durch den nationalen oder sozialen Kampf überladen werden. Kein Zeitraum der menschlichen Geschichte sei jedoch auch nur im entferntesten so von Antagonismen überladen wie der heutige. Angesichts der zu hoch aufgeladenen Klassen- und internationalen Widersprüche würden die Sicherheitsschalter der Demokratie entweder durchbrennen oder explodieren.“ Er bezeichnete dies als Kurzschluss der Diktatur.

Der CIA-Skandal verkörpert das Durchbrennen einer solchen demokratischen Sicherung angesichts einer toxischen Mischung aus Militarismus im Ausland, wachsender sozialer Ungleichheit im eigenen Land und dem Aufstieg einer kriminellen Finanzaristokratie, die niemandem Rechenschaft schuldig ist.

Seit der gestohlenen Wahl von 2000 sind fast fünfzehn Jahre vergangen. Auf diesen unwiderruflichen Bruch mit verfassungsgemäßem Vorgehen folgten die Anschläge vom 11. September und der Beginn des "Kriegs gegen den Terror" - ein politischer Betrug, der endlose Kriege im Ausland und die Zerstörung demokratischer Rechte im Inland rechtfertigen sollte.

Die Jahre seither waren gekennzeichnet von einer ungehemmten Zunahme der staatlichen Überwachung der persönlichen, politischen und sozialen Aktivitäten der amerikanischen Bevölkerung; der Ermordung amerikanischer Staatsbürger und tausender von "gezielten Tötungen", Überstellungen, Folter und unbegrenzten Inhaftierungen. Jetzt duldet das gesamte politische Establishment, dass die Regierung und ihr Militär- und Geheimdienstapparat auf der Verfassung herumtrampelt.

Der Zerfall der amerikanischen Demokratie ist ein Ergebnis der unlösbaren Krise des amerikanischen und des Weltkapitalismus. Die herrschende Klasse kann die Beschränkungen, die ihnen ihre eigenen Gesetze auferlegen, nicht mehr länger hinnehmen. Sie lebt in Todesangst vor den gesellschaftlichen Folgen ihrer eigenen reaktionären und räuberischen Politik.

Die Arbeiterklasse muss die Entwicklung zur Diktatur aufhalten und ihre demokratischen und sozialen Rechte verteidigen, indem sie sich als unabhängige politische Kraft im Kampf für den Sozialismus mobilisiert.

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