Merkel besucht Kiew

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel wird am heutigen Samstag nach Kiew reisen, um sich mit Präsident Petro Peroschenko und Premierminister Arsenij Jazenjuk zu treffen. Zudem wird sie mit Vertretern der Kommunen zusammenkommen. Der Besuch sei „ein Zeichen der Unterstützung“, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag.

Der Besuch der Kanzlerin kommt zu einem Zeitpunkt, an dem sich das Kiewer Regime in einer tiefen Krise befindet. Die wirtschaftliche Lage des Landes ist desolat. Die Industrieproduktion ist im Juli um 12 Prozent eingebrochen und es wird mit einem Rückgang der Ernte um 15 Prozent gerechnet. Der Internationale Währungsfond (IWF) rechnet in diesem Jahr mit einem Rückgang der ohnehin minimalen Reallöhne um 3,3 Prozent.

Weil Verhandlungen mit Russland über den Gaspreis bisher scheiterten und Kiew nicht in der Lage war, ausstehende Rechnungen zu begleichen, droht im kommenden Winter ein Ausfall der Gasversorgung. Schon jetzt wurde die Warmwasserversorgung in vielen Großstädten abgestellt.

In dem Krieg, den die Regierung gegen prorussische Separatisten im Osten des Landes führt, spricht die Armee zwar von Gebietsgewinnen, die Opfer unter Soldaten und Zivilisten wachsen aber von Tag zu Tag. Nun hat Poroschenko eine weitere Mobilisierung angeordnet, um zwei weitere Brigaden gegen die Separatisten senden zu können. Gegen die letzte Mobilisierungsorder gab es bereits heftige Proteste im ganzen Land.

Zudem steht die Regierung unter dem Druck der rechtsextremen Kräfte, auf die sie sich seit dem Staatsstreich im Februar dieses Jahres stützt. In der letzten Woche drohten die faschistischen Kämpfer des Rechten Sektors, ihre Truppen aus dem Osten abzuziehen und gegen Kiew zu führen, sollten nicht sämtliche ihrer Mitglieder aus der Haft entlassen werden. Die Regierung gab dem Ultimatum nach.

Das Kiewer Regime erhofft sich von dem Besuch der Kanzlerin finanzielle und militärische Unterstützung. Dabei gehe es um die „Unterstützung unserer europäischen Reformen“, sagte der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin gegenüber dem Kölner Express. „Wir brauchen einen 'Marshall-Plan' für die Ukraine“, forderte er. „Und wenn beim 'Marshall-Plan' nach dem 2. Weltkrieg die USA die Hauptrolle gespielt haben, könnte jetzt Deutschland bei dieser historischen Mission die Führung übernehmen.“

Ein solcher Plan wird auch von Teilen der deutschen Wirtschaft unterstützt. „Wir brauchen einen echten Marshallplan, der Deutschland viel Geld kosten, aber auch viel Nutzen bringen wird“, schreibt etwa der Vorsitzende des Außenwirtschaftsverbandes Ost- und Mitteleuropa Verein, Marcus Felsner. „Von Lwiw bis Lugansk erstreckt sich einer der spannendsten Wachstumsmärkte direkt vor unserer Haustür.“

Mögliche Finanzhilfen würden keine Verbesserung der Lage der Arbeiter bedeuten, sondern ganz im Gegenteil genutzt werden, um die Lebensbedingungen der Arbeiter weiter zu verschlechtern und Sozialangriffe durchzusetzen. Vor allem würden sie den deutschen Einfluss stärken und das Land in ein Reservoir billiger Arbeitskräfte und einen günstigen Rohstofflieferanten verwandeln.

Das war von Anfang an das Ziel der massiven deutschen Intervention in der Ukraine. Das Land sollte unter die Kontrolle der EU gebracht und so der russische Einfluss zurückgedrängt werden. Als sich der damalige Präsident Viktor Janukowitsch im Oktober letzten Jahres weigerte, ein Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen, organisierten und unterstützten deutsche Politiker, Unternehmen und Parteien-Stiftungen die Proteste auf dem Maidan-Platz. Nachdem die Demonstrationen nicht den gewünschten Erfolg erbracht hatten, setzte die deutsche Regierung zunehmend auf die rechtsextremen Kräfte des Rechten Sektors und der Swoboda-Partei, um das Regime unter Druck zu setzen.

Im Februar orchestrierten sie schließlich gemeinsam mit den USA einen Putsch, der sich auf eben diese faschistischen Elemente stützte und eine neue Regierung an die Macht brachte, die vom Westen handverlesen war und der auch die Faschisten der Swoboda angehörten. Eine der ersten Amtshandlungen der neuen Regierung war die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU.

Die verheerende Lage in der Ukraine ist das direkte Produkt dieser Intervention des deutschen und amerikanischen Imperialismus. Gleich nach dem Putsch wurden mit den neuen Machthabern Kreditvereinbarungen geschlossen, die heftige soziale Angriffe zur Bedingung für Hilfsgelder des IWF machten. Die Erhöhung des Gaspreises für die Masse der Arbeiter gehörte ebenso dazu, wie die Senkung der Steuern für Unternehmen.

Vor allem aber verschärften Deutschland und die USA die Konfrontation mit Russland. Moskau hatte auf die gewaltsame Ausweitung des Machtbereichs der EU und der Nato reagiert, indem es die Halbinsel Krim an Russland anschloss und die prorussischen Separatisten im Osten der Ukraine unterstützte, die das Putsch-Regime nicht akzeptierten.

Das Kiewer Regime begann im April eine schwere Offensive gegen die Gebiete des Donbass, die von den Separatisten kontrolliert wurden. Sie gehen dabei mit äußerster Brutalität vor und sind für den Tod von mindestens 950 Zivilisten verantwortlich. Dabei arbeitete die ukrainische Regierung jederzeit eng mit ihren Herren in Berlin und Washington zusammen.

Ende Juli setzte sich die deutsche Regierung dafür ein, trotz der negativen Auswirkungen für deutsche Unternehmen, Wirtschaftssanktionen der EU gegen Russland zu verhängen und das Land auf diese Weise weiter unter Druck zu setzen.

Mit ihrem Besuch versucht Merkel, das Regime in Kiew zu stabilisieren. Dazu gehören auch Verhandlungen mit Russland über einen Waffenstillstand im Osten der Ukraine. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier hatte sich bereits am letzten Wochenende in Berlin mit seinem ukrainischen und russischen Amtskollegen getroffen, ohne konkrete Ergebnisse zu erzielen. Für den kommenden Dienstag ist ein Treffen zwischen dem russischen Präsidenten Vladimir Putin und Poroschenko geplant.

Deutschland ist seit Beginn der Krise darum bemüht, Russland zu einer Akzeptanz der neuen Verhältnisse in der Ukraine zu bewegen und den eigenen Einfluss auf diese Weise zu stabilisieren. Teile der deutschen Wirtschaft hatten die Sanktionspolitik scharf kritisiert, weil sie einen Einbruch ihrer Geschäfte fürchten.

Bisher waren die diplomatischen Manöver der Bundesregierung allerdings immer mit einer Verschärfung der Situation verbunden. Der Putsch im Februar erfolgte nur einen Tag, nachdem Steinmeier eine Vereinbarung mit dem Präsidenten und der damaligen Opposition über eine friedliche Lösung des Konflikts geschlossen hatte. Als im Juli Verhandlungen mit Russland über den Konflikt in Gang kamen, wurden sie durch den bisher ungeklärten Abschuss der Passagiermaschine MH17 über der Ostukraine beendet.

Nun scheint sich die Lage erneut zuzuspitzen. Die ukrainische Regierung hat sich fast zwei Wochen lang geweigert, russische Hilfslieferungen für die belagerten Städte der Ostukraine zuzulassen. Zuletzt hatte Kiew gefordert, die Lastwagen müssten vom Internationalen Roten Kreuz eskortiert werden. Zugleich weigerte sich das Regime aber, für die Sicherheit der Hilfsorganisation zu garantieren.

Russland hat nun damit begonnen, die Lastwagen mit eigenem Personal über die Grenze zu bringen und an ihren Zielort zu fahren. Das ukrainische Außenamt bezeichnete den Konvoi als „Verstoß gegen das Völkerrecht“. Die prorussischen Separatisten warnten bereits davor, dass der Hilfskonvoi von Kräften des Regimes angegriffen werden könnte. Ein solcher Angriff hätte eine unmittelbare Eskalation des Konflikts zur Folge.

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