Bundespräsident Gauck droht Russland mit Krieg

Bundespräsident Joachim Gauck hat am 1. September eine Gedenkveranstaltung zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs für einen Frontalangriff auf Russland benutzt. Auf der Westerplatte bei Danzig warf er der russischen Regierung vor, sie führe „eine kriegerische Auseinandersetzung um neue Grenzen und um eine neue Ordnung“, stütze sich auf das „Recht des Stärkeren“ und habe die Partnerschaft mit der Europäischen Union, der Nato und der Gruppe der großen Industrienationen „de facto aufgekündigt“.

Wir „stellen uns jenen entgegen, die internationales Recht brechen, fremdes Territorium annektieren und Abspaltung in fremden Ländern militärisch unterstützen“, drohte Gauck. „Wir werden Politik, Wirtschaft und Verteidigungsbereitschaft den neuen Umständen anpassen.“

Das kann nur als offene Kriegsdrohung gegen Russland verstanden werden. Valery Heletey, Verteidigungsminister des eng mit Deutschland verbündeten ukrainischen Regimes, verkündet am selben Tag auf seiner Facebook-Seite: “Wir stehen an der Schwelle eines großen Kriegs, wie ihn Europa seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erlebt hat”. Er sagte Verluste voraus, “die nicht in Hunderten sondern in Tausenden und Zehntausenden gemessen werden“.

Gauck hätte für seine Kriegsdrohung keinen symbolträchtigeren Ort wählen können. Mit dem Beschuss der Westernplatte durch das deutsche Kriegsschiff Schleswig-Holstein hatte am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg begonnen. Die anschließende Eroberung und Unterjochung Polens, der schließlich ein Fünftel der polnischen Bevölkerung einschließlich fast aller polnischen Juden zum Opfer fielen, war der Auftakt zum Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, der weitere 27 Millionen Opfer forderte.

Es war schließlich der aufopferungsvolle Kampf der sowjetischen Roten Armee, der die Wehrmacht zum Rückzug zwang und Polen sowie den Osten Deutschlands vom mörderischen Terror der Nazis befreite.

Gauck blendete diese historischen Zusammenhänge in seiner Rede völlig aus und betrieb eine Geschichtsklitterung, wie man sie sonst nur aus rechtsextremen Publikationen kennt. War vor fünf Jahren der damalige russische Ministerpräsident Wladimir Putin zusammen mit neunzehn weiteren europäischen Regierungschefs noch zu den Gedenkfeiern auf der Westerplatte eingeladen worden, erwähnte Gauck diesmal den Angriff auf die Sowjetunion und die Rolle der Roten Armee mit keiner Silbe. Stattdessen bezeichnete er die Befreiung von den Nazis als Ablösung einer Diktatur durch eine andere: „Mit der sowjetischen Herrschaft folgte eine Diktatur der Vorangegangenen.“

Diese Gleichsetzung von Nazi-Diktatur und stalinistischem Regime ist ein Markenzeichen rechter Antikommunisten. In Wirklichkeit handelt es sich um zwei völlig unterschiedliche historische Phänomene.

Die Nazis verkörperten in nacktester Form die Interessen des deutschen Finanzkapitals, das sie einsetzte, um die organisierte Arbeiterbewegung zu zerschlagen und seine Weltmachtpläne zu verwirklichen. Die Nazis bekannten sich offen zu ihren Eroberungsplänen („Lebensraum im Osten“), zur Entvölkerung und Kolonisierung riesiger Landstriche in Osteuropa und der Sowjetunion und zum Völkermord an den Juden.

Das stalinistische Regime war dagegen das Ergebnis der Degeneration der Sowjetunion unter dem Druck ihrer internationalen Isolation in den 1920er Jahren. Es vertrat die Interessen einer Bürokratie, die die Arbeiterdemokratie unterdrückte und das verstaatlichet Eigentum zur Grundlage ihrer Privilegien machte.

Im Gegensatz zu den imperialistischen Mächten verfolgte das stalinistische Regime keine expansiven Ziele. Die Ausdehnung des sowjetischen Einflussbereichs auf Osteuropa nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte in Absprachen mit den Alliierten auf den Konferenzen von Jalta und Potsdam. Sie diente defensiven Zwecken – der Schaffung eines Puffers, der die Sowjetunion vor erneuten imperialistischen Angriffen schützen sollte – sowie der Vorbeugung gegen eine wirkliche, von der Arbeiterklasse getragene sozialistische Revolution.

Gaucks verdrehte Geschichtsdarstellung blendet völlig aus, dass zahlreiche polnische Arbeiter die Enteignungen nach dem Zweiten Weltkrieg unterstützten und mit dem stalinistischen Regime in Konflikt gerieten, weil es dabei nicht weit genug ging. Sie wollten nicht nur die deutschen Besatzer loswerden, sondern auch die Großgrundbesitzer und Kapitalisten, die das Land vor dem Krieg unter dem diktatorischen Regime von Marshall Pilsudski beherrscht hatten, der den heutigen Machthabern in Warschau wieder als Vorbild dient.

Mit seinem Ausblenden der Nazi-Verbrechen gegen die Sowjetunion und seinen Kriegsdrohungen gegen Russland knüpft Gauck direkt an die Kriegsziele Deutschlands im Ersten und Zweiten Weltkrieg an. Während er sich in seiner Rede auf der Westerplatte zu den Verbrechen der Nazis in Polen bekannte und es als „Wunder“ bezeichnete, das zwischen Deutschen und Polen eine „Entfeindung“ stattgefunden habe, erklärte er gleichzeitig, aus „der Schuld von gestern“ erwachse „eine besondere Verantwortung für heute und morgen“ – nämlich gegen Russland vorzugehen!

Der Historiker Fritz Fischer hatte in seinem 1961 erschienen Buch „Griff nach der Weltmacht“ aufgezeigt, das sich Deutschland in beiden Weltkriegen das Ziel gesetzt hatte, Russland zu isolieren und zurückzudrängen, um Deutschlands Dominanz in „Mitteleuropa“ zu stärken.

Bereits zu Beginn des Ersten Weltkriegs hatte die Reichsführung den Plan entworfen, die Ukraine, Georgien und andere Länder, die damals zum Zarenreich und später zur Sowjetunion gehörten, aus dem Einflussbereich Moskaus zu lösen und in den deutschen Einflussbereich einzugliedern. Nach der Oktoberrevolution 1917 und dem Diktatfrieden von Brest-Litowsk setzte sie dieses Ziel mit der Besetzung der Ukraine in die Praxis um. Von hier führte eine direkte Linie zu Hitlers Ostfeldzug, der die Ukraine ebenfalls besetzte und als Aufmarschgebiet gegen Moskau nutzte.

Mit seinen Kriegsdrohungen gegen Russland knüpft Gauck nahtlos an diese Tradition an. Er bestätigt damit Fischers These, dass es eine Kontinuität der deutschen Kriegsziele im Ersten und Zweiten Weltkrieg gibt, die der deutsche Imperialismus heute wieder aufgreift. Nach 1914 und 1939 reagiert der deutsche Imperialismus 2014 auf seine unlösbaren Widersprüche und Probleme erneut durch die Expansion nach Osten.

Hatte Deutschland 1939 Polen überfallen, um den Weg gegen den Angriff auf die Sowjetunion freizumachen, arbeitet es heute mit den rechten Machthabern in Warschau zusammen, um gemeinsam gegen Russland vorzugehen. Im Februar haben Berlin, Warschau und Washington in Zusammenarbeit mit rechten und faschistischen Kräften, die sich auf Nazi-Kollaborateure aus dem Zweiten Weltkrieg berufen, den Putsch gegen Präsident Janukowitsch organisiert. Seither arbeiten sie systematisch daran, den Konflikt mit Russland weiter zu verschärfen.

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