Netanjahu sieht Waffenstillstand in Gaza als Übergang zum nächsten Krieg

Auf dem israelischen Kanal 2 bot Ministerpräsident Benjamin Netanjahu seine bisher offenherzigste Begründung dafür, warum er einem „dauerhaften Waffenstillstand“ in Gaza zugestimmt hat.

Netanjahu ist von Seiten seiner eigenen Likud-Partei und seiner Koalitionsregierung stark unter Druck geraten, weil er die Kampfhandlungen eingestellt hat, ohne sein erklärtes Ziel erreicht zu haben, die Hamas zu vernichten, und ohne sein Sicherheitskabinett zu konsultieren.

Er zog sich auch die Feindschaft der Israelis zu, die sich von der Brutalität der Militäroperationen abgestoßen fühlten, deren Kosten sie zudem auch noch durch höhere Steuern und Kürzungen bei den staatlichen Dienstleistungen bezahlen müssen. Am Sonntag gab Netanjahu die Absicht bekannt, die Staatsausgaben um zwei Prozent zu senken, um den 2,5 Milliarden Dollar teuren Angriff auf Gaza zu finanzieren. Die Bildung wird am härtesten getroffen.

Von beiden Seiten des politischen Spektrums unter Druck, musste der Ministerpräsident erleben, wie seine Umfragewerte innerhalb weniger Wochen von 63 auf 38 Prozent Zustimmung eingebrochen sind.

Netanjahu formulierte seine Bemerkungen als Antwort auf seine rechten Kritiker. Sie beinhalten das stillschweigende Eingeständnis, dass Israel sich darauf vorbereitet, seinen Platz in breiter angelegten Kriegsplänen der USA einzunehmen, die sich vorgeblich gegen den Islamischen Staat in Irak und Syrien (Isis) richten.

Zu Gaza sagte Netanjahu: “Ich habe das Ziel, die Hamas zu stürzen, nie aufgegeben und tue das auch jetzt nicht (…). Ich kann eine Besetzung Gazas nicht ausschließen. Ich weiß nicht, ob es dazu kommen wird. Ich hielt es für das Beste, sie zu zermalmen.“

Er fügte hinzu, wahrscheinlich seien die Minister des Sicherheitskabinetts, Außenminister Avigdor Liberman, Wirtschaftsminister Naftali Bennett, Innenminister Yitzhak Aharonovitch und Kommunikationsminister Gilad Erdan, insgeheim ganz froh gewesen, dass sie über diese Frage nicht abstimmen mussten.

Dann wandte er sich der Situation der ganzen Region zu. Netanjahu machte den Umfang seiner militärischen Ambitionen deutlich, als er erklärte: „Ich bereite mich auf eine Realität im Nahen Osten vor, die sehr problematisch ist.“ Weiter führte er aus: “Ich schaue mich um und sehe al-Qaida vor den Toren, Isis bewegt sich in Richtung Jordanien und ist schon im Libanon, wo bereits die Hisbollah steht, die vom Iran unterstützt wird.“

Er schilderte neue diplomatische und militärische Bündnisse, die möglicherweise entstehen könnten. Es gebe, sagte er, „nicht wenige Staaten, die diese Bedrohung um uns herum auch als Bedrohung für sich sehen. Daher sehen sie Israel nicht als Feind, sondern als einen potentiellen Partner.“

Netanjahu ging nicht näher darauf ein, welche Staaten er dabei im Sinn hatte, aber Ereignisse im Vorfeld seines Sinneswandels deuten darauf hin, dass er damit dem Geheiß Washingtons nachkommt. Er hatte kurz vorher Unterstützungsbotschaften von Ägypten, Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten erhalten. Kurz vor seinen Äußerungen hatte US-Außenminister John Kerry in einem Artikel in der New York Times eine „globale Koalition“ gegen islamistische Extremisten gefordert, die „gefährlich nah an Israel herangerückt sind“.

Die Vorbereitungen der Obama-Regierung auf einen umfassenden Krieg in Syrien und im Irak zum Schutz ihrer geostrategischen Interessen in dieser energiereichen Region und zur Eindämmung und Isolierung Irans, Russlands und Chinas erfordert genau einen solchen diplomatischen Deckmantel in Form einer neuen „Koalition der Willigen“.

Aus diesem Grund kamen die USA, die den Krieg anfänglich unterstützt hatten, zu dem Schluss, dass der fünfzigtägige Krieg gegen Gaza zu einem destabilisierenden Faktor geworden sei. Er hatte eine wachsende Protestbewegung gegen die israelische Brutalität hervorgerufen. Das machte es für die USA unmöglich, ihre regionalen Ambitionen in ein humanitäres Gewand zu kleiden.

Zudem war den arabischen Regimes nicht zuzumuten, militärische Aktivitäten im Irak und in Syrien zu unterstützen, während gleichzeitig die Palästinenser der Gnade Israels ausgeliefert wären.

In der Nahost-Region war der israelische Krieg gegen Gaza vom ägyptischen Militärdiktator General Abdul Fattah al-Sisi und seinen Verbündeten Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten abhängig. Diese unterstützten ihn, um die in Gaza regierende Hamas zu isolieren und militärisch zu schwächen. Hamas ist der palästinensische Ableger der inzwischen verbotenen ägyptischen Muslimbruderschaft. Die Bruderschaft wird von den meisten arabischen Bourgeoisien – mit Ausnahme der in Katar -, gehasst, weil sie als rivalisierende kapitalistische Partei ihre kommerziellen Interessen und politische Herrschaft bedroht.

Der Krieg gegen Hamas diente auch dazu, den Iran zu isolieren, der Unterstützung für Hamas zumindest heucheln musste, obwohl er sich kürzlich mit der Hamas überworfen hatte.

Das ägyptische Regime bewachte die Grenze auf dem Sinai, um militante Gruppen daran zu hindern, an der Seite der Hamas zu kämpfen. Es schloss den Grenzübergang Rafah, um es Palästinensern unmöglich zu machen, vor dem israelischen Militär zu fliehen oder in ägyptischen Krankenhäusern Behandlung zu suchen. Auch medizinischem Hilfspersonal und Hilfslieferungen wurde der Durchgang verweigert.

Al-Sisi lieferte Israel auch einen wichtigen Deckmantel für seine Luft- und Bodenoffensive, indem er nach Gesprächen mit Saudi-Arabien, der Arabischen Liga und Washington einen Waffenstillstandsentwurf vorlegte, der von der Hamas zuerst abgelehnt wurde. Ein Schlüsselelement dieses Vorschlags war die Beendigung der Herrschaft der Hamas im Gazastreifen und die Übergabe der Macht an die von der Fatah geführte Palästinensische Autonomiebehörde (PA). Die PA war 2007 durch einen Putsch der Hamas vertrieben worden, die im Januar 2006 die Wahlen in Gaza und auf der Westbank gewonnen hatte.

Nun will Ägypten den Grenzübergang Rafah erst dann öffnen, wenn er von der PA unter dem starken Mann Mohammed Dahlan kontrolliert wird, dem bevorzugten Nachfolger Israels für den PA-Präsidenten Mahmud Abbas.

In vielen Teilen der Welt gab es Demonstrationen zur Unterstützung der Palästinenser, aber in den arabischen Ländern waren sie verboten und wurden unterdrückt – sogar auf der Westbank. Das heizte die Antipathie der arabischen Massen gegen ihre Herrscher an.

Unter solchen Bedingungen wäre ein militärisches Vorgehen zum Schutz der amerikanischen und sunnitisch-arabischen Interessen im Irak gegen die Übergriffe der Isis nicht möglich. Ursprünglich war Isis von der CIA, der Türkei, Jordanien und Israel als Stellvertretertruppe zum Sturz Assads unterstützt und ausgebildet worden. Jetzt aber hat sie ganze Landstriche im Irak und in Syrien unter ihre Kontrolle gebracht und bedroht Bagdad und die jordanische Monarchie, ein weiteres US-Marionettenregime.

Infolgedessen geriet Israel immer stärker unter den Druck der USA und arabischer Regimes, den Krieg zu Ende zu bringen. Saudi-Arabien entsandte eine Ministerdelegation nach Katar, um das Scheichtum davon zu überzeugen, seine Unterstützung für die Hamas einzustellen, während der jordanische König Abdullah Geheimgespräche zwischen Netanjahu und Abbas in Amman vermittelte. Es war deren erstes Treffen seit September 2010.

Wiederum spielte Ägypten eine entscheidende Rolle. Al-Sisi vermittelte ein „Friedensabkommen“, das sich im Wesentlichen nicht von den Vorschlägen im Juli unterschied. Damit wurden Katar und die Türkei ausgebootet, die wichtigsten Verbündeten der Hamas und der Muslimbruderschaft. Die Annahme der Bedingungen durch die Hamas war eine Brüskierung Khaled Mershaals, ihres Chefs in Katar. Sie riskierte damit, die finanzielle und diplomatische Unterstützung Katars zu verlieren. Aber letztlich war Kairo wichtiger. Die Existenz der Hamas selber hängt von der Öffnung des Grenzübergangs Rafah durch Ägypten ab.

Gespräche über die Freilassung hunderter gefangener Hamas-Mitglieder, die nach der Ermordung dreier israelischer Jugendlicher auf der Westbank im Juni wahllos festgenommen worden waren, sollen in einem Monat beginnen, ebenso die Gespräche über den Bau eines Hafens und eines internationalen Flughafens in Gaza. Netanjahu verlangt die Entmilitarisierung Gazas und weist die Forderungen der Palästinenser zurück.

Die USA werden die Waffenlieferungen an Israel wieder aufnehmen, nachdem die Obama-Regierung bestimmt hatte, dass neue Lieferungen an Israel nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Weißen Hauses und des Außenministeriums erfolgen dürften. Nun aber könnte die Militärhilfe der USA für Israel noch einmal massiv ausgeweitet werden. Netanjahu hatte in seinem Interview eine Erhöhung des Verteidigungsetats gefordert. Die israelische Armee benötigt eine hohe Einmalzahlung von 2,5 Milliarden Dollar, nur um die Kosten des Krieges zu decken, und zusätzliche 3,1 Milliarden Dollar für den Haushalt 2015.

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