Das pakistanische Militär greift in die politische Krise ein

Die pakistanische Armee hat sich auf eine Weise in die politische Krise des Landes eingemischt, die einige Kommentatoren als, „sanften Putsch“ beschreiben. Der Armeechef General Raheel Sharif intervenierte am späten Donnerstagabend in das politische Patt zwischen der Regierung von Premierminister Nawaz Sharif und den andauernden Protestaktionen der Opposition, die seinen Rücktritt verlangt.

Die Demonstrationen, die die Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI) des ehemaligen Kricketstars Imran Khan und die Pakistan Awami Tehrik (PAT) des in Kanada lebenden islamischen Klerikers Tahir ul-Kadri organisieren, hatten am 15. August begonnen. Die Demonstranten campierten in der Nähe des Roten Platzes in Islamabad, wo sich das Parlamentsgebäude und wichtige Verwaltungsgebäude der Regierung befinden. Sharif hat mehrere Gesprächsrunden mit Khan und Kadri durchgeführt, konnte aber keinen Kompromiss zustande bringen.

Mitten in der andauernden Krise traf sich am Donnerstag zum dritten Mal innerhalb von neun Tagen Premierminister Sharif mit General Sharif, um über die politische Lage zu diskutieren.

Der Premierminister leugnete später, dass er die Armee gebeten habe einzugreifen, aber alles deutet darauf hin, dass er genau dies getan hat. Am Freitagabend verkündete der Hauptverantwortliche der Armee für die Öffentlichkeitsarbeit Asim Bajwa auf Twitter, dass „der COAS [Stabschef der Armee] von der Regierung beim gestrigen Treffen im Haus des PM [Premierministers} gebeten worden ist, eine Vermittlerrolle zu spielen, um einen Ausweg aus der gegenwärtigen Sackgasse zu finden.“

Dem Premierminister zufolge hat „die Armee nicht gefragt, ob sie die Rolle eines Mediators spielen solle, noch haben wir sie gebeten, eine derartige Rolle zu übernehmen“. Der Innenminister Chaudry Nisar Ali Khan ließ ähnliche Dementis verlauten, offensichtlich um die Kritik der Medien und der oppositionellen Pakistan People’s Party (PPP) an dem Appell der Regierung an die Armee abzuwehren.

Am Donnerstagabend lud General Sharif die Oppositionsführer Khan und Kadri einzeln zu Diskussionen ein. Nach den Gesprächen pries Kadri die Intervention der Armee als einen Sieg und sagte: „Der Armeechef hat uns gebeten, ihm 24 Stunden Zeit zu geben, um die Krise zu lösen.“

So ähnlich berichtete Khan seinen Anhängern, der Armeechef habe ihm versichert, dass eine juristische Kommission gebildet werden solle, um die Klagen der Opposition wegen angeblicher Wahlfälschungen zu untersuchen. Er behauptete, dass der General versprochen habe, die Rolle eines „neutralen Schiedsrichters“ zu spielen. Khan erklärte, es sei ein Kompromiss erreicht worden, dass Sharif, für den Zeitraum der Untersuchung temporär für 30 Tage zurücktreten solle.

Die Unterwürfigkeit Khans und Kadris gegenüber dem Militär zeigt, dass ihr Protest nichts mit Verteidigung der Demokratie oder sozialer Rechte der arbeitenden Bevölkerung zu tun hat. Diese kapitalistischen Parteien versuchen, die Wut der Bevölkerung über die Angriffe der Regierung Sharif auf den Lebensstandard, ihre Polizeistaats-Unterdrückung und ihre Unterstützung der Besetzung Afghanistans durch die USA sowie den AfPak-Krieg in der Grenzregion auszunutzen. Sharif kam nicht durch massive Wahlfälschungen an die Macht, sondern weil er von der weit verbreiteten Wut über die Vorgängerregierung der PPP profitieren konnte.

Beide Oppositionsführer haben ihre Forderungen im Einklang mit der Forderung des Militärs nach einem Kompromiss heruntergeschraubt. Khan verlangt nicht mehr den endgültigen Rücktritt von Sharif. Und seit einigen Tagen konzentriert sich Kadri ausschließlich auf die Forderung, diejenigen zu bestrafen, die der Polizei befohlen hatten, auf seine Anhänger zu schießen, wobei am 9. August acht Menschen getötet wurden. Die Polizei von Lahore hat am Donnerstag Schritte in diese Richtung unternommen, indem sie eine juristische Ermittlung wegen Mordes eingeleitet hat, bei der Minister, darunter der Premierminister und Polizeioffiziere als Verdächtige genannt werden. Eine Ermittlung bedeutet aber nur, dass erwogen wird, Anklage zu erheben. Khan und Kadri hielten daran fest, am Freitagabend eine Demonstration durchzuführen und erklärten, dass sie auf die nächsten Schritte des Armeechefs warten würden.

Ob die Regierung jetzt die Armee gebeten hat einzugreifen oder nicht, die Intervention der Armee in die gegenwärtige politische Krise ist ein bedrohliches Anzeichen dafür, dass weitere Angriffe auf demokratische Rechte vorbereitet werden. Die meiste Zeit seit der formellen Unabhängigkeit 1947 hat in Pakistan das Militär regiert und immer einen großen Einfluss auf die Politik des Landes gehabt.

Sharif, der 1999 durch einen Militärputsch des früheren Generals Pervez Musharraf abgesetzt worden war, gewann im letzten Jahr die Wahlen. Er behauptete, er wolle die „zivile Herrschaft“ festigen und wurde von den bürgerlichen Medien wegen der Rückkehr zur Demokratie begrüßt. Im vergangenen Jahr versuchte Sharif, das Militär aus der Politik zu verdrängen, indem er die Entscheidungsgewalt über Verteidigungsfragen übernahm und Musharraf wegen Verrats anklagte.

Das Handeln der Regierung hat zu starken Spannungen mit dem Militär geführt. Es scheint so, als ob die Armee die politische Krise ausnutzt, um ihre Autorität in politischen und Verteidigungsangelegenheiten wiederherzustellen. Anfang dieses Jahres hatte Sharif sich für das Aushandeln einer Vereinbarung mit den Tehrik-i-Taliban oder Pakistani Taliban eingesetzt. Aber unter dem Druck der Armee und Washingtons, gab er im Juni grünes Licht für eine größere militärische Offensive gegen die islamistischen Milizen.

Es ist nicht klar, welche Zugeständnisse Sharif dem Militär gemacht hat, um es dafür zu gewinnen, die Krise zu entschärfen. Einige Kommentatoren haben das Vorgehen des Militärs jedoch als „sanften Putsch“ bezeichnet, durch den die Regierung gezwungen wurde, in auswärtigen und militärischen Angelegenheiten Macht abzugeben.

Der Analyst Ayesha Siddiqa teilte dem Guardian mit, dass Sharif jetzt wohl bis zum Ende seiner Amtszeit ein „“zeremonieller Premierminister” sein werde. „Alle Errungenschaften, die in den letzten acht Jahren [seit der Entmachtung Musharrafs] gemacht wurden, um die Demokratie zu stärken, wurden zurückgedreht“, meinte er.

Zwar warnte die Obama-Regierung öffentlich vor einem Militärputsch, hat aber stillschweigend die Intervention der Armee ins politische Leben Pakistans gutgeheißen. Die Sprecherin des US-Außenministeriums Jen Psaki erklärte am Freitag, dass die Lage in Pakistan „offenbar auf eine friedliche Lösung“ zusteuere.

Washingtons offizielle Ablehnung eines Putschs ist vollkommen zynisch. Es hat in der Vergangenheit immer die pakistanischen Militärdiktatoren, auch Musharraf, unterstützt und wird das auch wieder tun. Gerade unterstützen die USA wieder Militärregime und ihre Unterdrückung demokratischer Rechte in Thailand und Ägypten.

Die offene Machtübernahme durch das pakistanische Militär im Gegensatz zu einem “sanften Putsch” könnte den amerikanischen Kongress zur Verhängung von Sanktionen veranlassen, was die engen Beziehungen zwischen den USA und der Armee Pakistans komplizierter machen würde. Die USA werden in Pakistan weitgehend verachtet. Die letzten Umfragen des Pew Research Centre zeigten, dass gerade einmal 14 Prozent der Bevölkerung eine positive Einschätzung der USA haben und nur 7 Prozent irgendwie Vertrauen in Präsident Obama setzen.

In regierenden Kreisen Pakistans herrscht tiefe Besorgnis, dass die gegenwärtige politische Krise die Tür für eine weit größere Opposition der arbeitenden Bevölkerung öffnen könnte. Drückende Armut, soziale Polarisierung, Angriffe auf demokratische Rechte und vor allem der immer noch andauernde Krieg der USA in Afghanistan und seine Ausdehnung über die pakistanische Grenze lassen die Unzufriedenheit brodeln. Dass die Regierung Sharifs nur ein Jahr, nachdem sie an die Macht kam, in Konflikte geraten ist, ist ein klares Anzeichen dafür, dass es sich um eine tiefere politische und soziale Krise handelt.

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