Perspektive

Isis-Horror und US-Imperialismus

Die brutale Ermordung des amerikanischen Journalisten Steven Sotloff hat bei Millionen Menschen in aller Welt berechtigte Empörung und Abscheu hervorgerufen. Aber es ist notwendig, nicht nur mit Sotloff und seiner Familie mitzufühlen, sondern die tieferen Ursachen dieser Tragödie zu verstehen.

Der Mord folgt auf die Hinrichtung von James Foley im vergangenen Monat. Beide demonstrieren sowohl den reaktionären Charakter des Islamischen Staats in Irak und in Syrien (Isis), als auch die schrecklichen Folgen der Interventionen des US-Imperialismus im Nahen Osten im Verlauf eines halben Jahrhunderts.

US-Vizepräsident Joseph Biden verurteilte Sotloffs Enthauptung in einer Rede in der Marinewerft von New Hampshire und erklärte, das amerikanische Militär werde Isis „bis an die Pforten der Hölle“ jagen. Aber Isis ist nicht, wie von der Obama-Regierung und den US-Medien dargestellt, eine unfassbare Entäußerung des satanischen Bösen. Sie ist ein Produkt der Politik amerikanischer Regierungen über einen langen Zeitraum.

Schon seit vielen Jahrzehnten sind amerikanische Regierungen damit beschäftigt, im Nahen und Mittleren Osten die reaktionärsten und rückständigsten islamistischen Fundamentalisten aufzubauen. In der Zeit des Kalten Krieges mobilisierte Washington solche Gruppen gegen säkulare nationalistische Staatsführer, weil diese entweder als potentielle Verbündete der Sowjetunion galten, oder weil die USA und Europa in ihnen eine direkte Bedrohung ihrer Profite und ihres Eigentums erblickten.

Die CIA finanzierte und mobilisierte rechte iranische Islamisten für einen Putsch gegen die liberale Regierung von Mohammed Mossadegh, nachdem dieser die hauptsächlich in britischem Besitz befindliche Ölindustrie des Landes verstaatlicht hatte. In Ägypten unterstützten die USA die Muslimbruderschaft, um die Herrschaft von Oberst Gamal Abdel Nasser zu unterminieren, der den Suezkanal verstaatlicht hatte und sich um Militärhilfe von der Sowjetunion bemühte.

1977 unterstützte die CIA den Putsch von Muhammad Zia-ul-Haq in Pakistan, der eine Militärdiktatur auf der Grundlage des islamischen Fundamentalismus’ errichtete, die bis zu seinem Tod 1988 dauerte.

Der Sicherheitsanker für die USA in der persischen Golfregion ist seit langem das Bündnis mit der Monarchie in Saudi-Arabien. Dieses Bündnis wurde nach dem Sturz des Schahs von Persien durch die Revolution von 1979 umso wichtiger. Als ideologisches Bollwerk für seine parasitäre Herrschaft pflegt Saudi-Arabien seit langem den reaktionärsten islamischen Fundamentalismus.

Israel verfolgte eine Zeitlang eine vergleichbare Politik, indem es den Ableger der Muslimbruderschaft in den besetzten palästinensischen Gebieten als Rivalen der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) von Jassir Arafat, seines Hauptfeindes, unterstützte. Aus dieser Strategie entwickelten sich die Hamas und der Islamische Dschihad.

Die Verbindung des islamischen Fundamentalismus zu terroristischer Gewalt nahm Gestalt an, als die USA in den späten 1970er Jahren begannen, die prosowjetische Regierung in Afghanistan zu bekämpfen. Die CIA rekrutierte in Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien und Pakistan islamische Fundamentalisten in aller Welt, bildete sie im Bomben-Bau und anderen Terrortechniken aus und schleuste sie auf die Schlachtfelder in Afghanistan. Ein prominenter Beteiligter an diesem Unternehmen war der Sohn eines reichen saudischen Bauunternehmers, Osama bin Laden.

Die Veteranen des Afghanistanfeldzugs kehrten in ihre Heimatländer, von Marokko bis Indonesien, zurück und verbreiteten den Einfluss des islamischen Fundamentalismus in Ländern, wo es ihn vorher überhaupt nicht gegeben hatte. Ein Wendepunkt war der Golfkrieg von 1990-91. In seinem Verlauf wurden eine halbe Million US-Soldaten in Saudi-Arabien stationiert. Das nahmen bin Laden und andere Islamisten zum Anlass, die Vereinigten Staaten zum Hauptfeind zu erklären.

Die Terroranschläge vom 11. September wurden von einer Gruppe überwiegend saudischer Terroristen ausgeführt, von denen einige den US-Geheimdiensten wohl bekannt waren. Nach den Anschlägen rief die Bush-Regierung den “Krieg gegen den Terror” gegen die einstmaligen Verbündeten aus. Das bedeutete aber keineswegs einen Bruch mit den islamischen Fundamentalisten, von denen viele, wie sich zeigen sollte, fortan unter dem Dach von al-Qaida operierten.

Die amerikanische Außenpolitik hielt ihre dubiosen Beziehungen zu radikalen Islamisten aufrecht, besonders im Irak, in Libyen und in Syrien. In diesen drei Ländern herrschten säkulare Regimes, die fundamentalistische Gruppen weitgehend im Zaum hielten. Die amerikanische Invasion und Besetzung des Irak legte das Land in Schutt und Asche, tötete Hunderttausende Iraker und zerstörte die gesellschaftliche und physische Infrastruktur des Landes. Mit der Strategie des Teile und Herrsche provozierte das amerikanische Besatzungsregime absichtlich sektiererische Spaltungen zwischen Sunniten und Schiiten, was zur Entstehung der sunnitisch dominierten al-Qaida im Irak führte, dem Vorläufer von Isis.

Die Intervention der USA und der Nato in Libyen 2011 stützte sich für ihre Bodenkämpfe auf Truppen, die mit al-Qaida verbündet waren. Das hat inzwischen in diesem Land zu einem Zustand politischer Desintegration und zum Bürgerkrieg geführt.

In Syrien haben die CIA und US-Verbündete wie Katar und Saudi-Arabien islamistische Extremisten bewaffnet, finanziert und ausgebildet. Dies richtete sich gegen die Regierung von Präsident Bashar al-Assad, die mit dem Iran und Russland verbündet ist. Empfänger amerikanischer Hilfe waren die al-Nusra Front (al-Qaida-Ableger in Syrien) und Isis. Letztere vertritt eine noch extremere Form von islamistischem Terrorismus als al-Qaida und strebt die unmittelbare Errichtung eines „Kalifats“ auf den Gebieten an, die sie im Osten Syriens und im Westen des Irak erobert.

Als Barack Obama letzte Woche davon sprach, er habe “keine Pläne für eine US-Intervention in Syrien”, gestand er unbeabsichtigt die Ungereimtheiten in der amerikanischen Außenpolitik ein. In Bagdad bedroht Isis das amerikanische Marionettenregime. Aber in Syrien ist die Organisation de facto weiterhin ein Verbündeter der USA im Kampf für den Sturz des Assad-Regimes.

Die Regierung in Washington zerbricht sich gegenwärtig den Kopf, wie sie aus dieser Falle herauskommen kann: Einerseits Krieg gegen Isis zu führen, ohne andererseits das Ziel, Assad zu stürzen, aus den Augen zu verlieren. Letzteres rückt durch die Ukraine-Krise, wo der US-Imperialismus Russland entgegensteht, wieder in den Vordergrund.

In seiner Pressekonferenz in Estland verurteilte Präsident Obama die Verbrechen der Isis, besonders die Enthauptung zweier US-Journalisten und das Abschlachten von Zivilisten und gefangenen Soldaten im Nordirak. Als jedoch Isis die gleichen Verbrechen an syrischen Soldaten und Zivilisten beging, war von Obama nichts dergleichen zu hören.

Jetzt soll der alte Verbündete gegen Assad dem amerikanischen Imperialismus noch einen letzten Dienst erweisen: Die Verbrechen von Isis sollen als Vorwand für eine massive Ausweitung der US-Intervention im Nahen Osten herhalten. Die USA planen im Irak eine verstärkte Bombardierung und ihre spätere Ausweitung auf Syrien, und eine schrittweise Aufstockung der US-Truppen im Irak. Nur Stunden nach der Ermordung Steven Sotloffs gab Obama den Marschbefehl für weitere 350 amerikanische Soldaten nach Bagdad, vorgeblich um die Bewachung der US-Botschaft zu verstärken. Damit steigt die Gesamttruppenzahl der USA im Irak auf mehr als 1.100.

Im eigenen Land wird die US-Regierung ihre militärische Aggression im Nahen Osten mit verstärkten Angriffen auf demokratische Rechte verbinden. Der britische Premierminister David Cameron hat dafür schon den Ton vorgegeben. Er nutzt die Bedrohung durch Isis als Vorwand für weitgehende Sicherheitsgesetze in Großbritannien und die Unterdrückung von Einwanderern aus dem Nahen Osten.

Arbeiter in den Vereinigten Staaten und international müssen alle Versuche zurückweisen, die Verbrechen von Isis als Vorwand für Krieg und Unterdrückung zu nutzen. Erst hat der amerikanische Imperialismus den islamischen Terrorismus ausgebrütet, und jetzt will er ihn für seine eigenen Zwecke nutzen. Der Kampf gegen den islamistischen Fundamentalismus, wie der Kampf gegen kapitalistische Reaktion und Gewalt überhaupt, ist die Aufgabe der Arbeiterklasse. Sie muss auf der Grundlage eines sozialistischen und internationalistischen Programms mobilisiert werden.

Loading