Frankreich

Nach Umbesetzung der SP-Regierung bieten Neofaschisten an, die Regierung zu übernehmen

Eine Woche nach dem Zusammenbruch von Frankreichs sozialistischer Regierung und ihrer Neuformierung durch Präsident François Hollande hat die Vorsitzende des neofaschistischen Front National (FN) Marine Le Pen der konservativen französischen Zeitung Le Figaro ein langes Interview gegeben, in welchem sie das Angebot unterbreitet, die Regierung in Frankreich zu übernehmen.

Hollande, dessen Zustimmungswerte unter zwanzig Prozent liegen, und sein Premierminister Manuel Valls haben Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg und Bildungsminister Benoît Hamon entlassen. Letztgenannte hatten öffentlich Hollands Politik als von Berlin diktiert bezeichnet. Die neue Valls-Regierung versprach nach dem Rauswurf ihrer internen Kritiker, ihre Austeritätspläne gegen den überwältigenden Widerstand der Bevölkerung durchsetzen zu wollen.

Le Pen sagte dem Figaro: “Dieses letzte Aufgebot François Hollandes ist eine Regierung der reinen Provokation.“

Sie prophezeite, dass Hollande schon bald vor einer neuen Regierungskrise stehen und gezwungen sein werde, Neuwahlen auszurufen. „Die politische Krise, die wir gerade durchmachen, ist äußerst schwerwiegend und kann nur zu Neuwahlen führen“, sagte sie. „Sollten wir bei diesen Wahlen eine Mehrheit erringen, dann werden wir uns der Verantwortung stellen, die uns das französische Volk übertragen würde.“

Es ist natürlich unmöglich vorherzusagen, wann der FN eine solche Mehrheit erringen oder eine Regierung stellen kann. Obwohl der Front National im Frühjahr bei den Europawahlen auf 25 Prozent kam und damit Spitzenreiter wurde, ist er immer noch zutiefst unpopulär. Unter den französischen und europäischen Arbeitern besteht eine tiefe Abneigung gegenüber den historischen Verbrechen des Faschismus. Gemäß einer jüngeren IFOP-Umfrage [Institut français d'opinion publique – führendes französisches Meinungsforschungsinstitut] liegt die Ablehnungsrate des FN (74 Prozent) nur knapp unter derjenigen der Sozialistischen Partei (75 Prozent) und über derjenigen der rechten Union für eine Volksbewegung (UMP) (67 Prozent).

Der beherrschende Faktor der französischen Politik ist indessen nicht in der parlamentarischen Arithmetik oder den großen bürgerlichen Parteien zu finden, sondern in der weltweiten kapitalistischen Krise und dem sich vergrößernden Abgrund zwischen der internationalen Arbeiterklasse und der herrschenden Elite. Der wirtschaftliche Zusammenbruch, die Diskreditierung der Austeritätsagenda der Europäischen Union (EU) und der drohende Krieg zwischen Russland und der Ukraine, für den Berlin und Washington verantwortlich sind (und den Le Pen bei ihren Moskaubesuchen öffentlich kritisiert hatte), haben den französischen Kapitalismus in seinen Grundfesten erschüttert.

Die Entscheidung, ob sein zunehmender Einfluss dem FN den Eintritt in eine Regierung ermöglicht, wird nicht in erster Linie von den Wählern abhängen, sondern von den strategischen Bedürfnissen des französischen Imperialismus. Le Pens Interview im Figaro war im Prinzip an dessen Strategen gerichtet. Sie legte eine Strategie der konkurrierenden Abwertung der französischen Währung vor, die implizit den Austritt Frankreichs sowohl aus dem Euro als auch aus der EU erfordern würde, um sich dem Klassenkampf im Inneren und dem Handelskrieg im Ausland zu widmen. Letztgenannter würde vor allem gegen Deutschland geführt werden.

Le Pen schlug drei mögliche Strategien vor, um die Arbeiterklasse anzugreifen und die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Bourgeoisie wiederherzustellen. „Eine besteht in Lohnkürzungen“, erläuterte sie. „Das wird Deflation der Löhne genannt. Sie wird von [dem Wirtschaftsminister der Sozialistischen Partei Emmanuel] Macron vorgeschlagen, wenn er den Arbeitern 35-Stunden-Löhne für 39 Wochenarbeitsstunden zahlen will. Dies ist außerdem genau das, was in anderen europäischen Ländern gemacht wurde und es ist ein Hauptinstrument der Austeritätspolitik. Die zweite Lösung ware, die Sozialausgaben radikal zusammenzustreichen.“

Im Zusammenhang mit ihrer bisherigen Forderung, dass Frankreich den Euro verlassen und zu einer nationalen Währung zurückkehren solle, brachte sie eine dritte Strategie vor: Preisinflation mittels Abwertung der Währung, um die Kaufkraft der Arbeiter zu beschneiden. Sie sagte: „Schließlich kann man die Währung abwerten. Ich möchte das Werkzeug der Geldpolitik nutzen, um die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen, die uns nottut.“

Die Bedeutung solcher reaktionären Strategien für die Arbeiterklasse erklärte am Besten der große marxistische Revolutionär Leo Trotzki während der letzten großen Depression des Kapitalismus.

1934 schrieb er im “Aktionsprogramm für Frankreich”: „Bei dem Versuch, sich aus dem Chaos zu erheben, in das sie das Land gestürzt hat, muss die französische Bourgeoisie zuerst das Geldproblem lösen. Eine Fraktion will das durch Inflation, d.h. Ausgabe von Papiergeld, Entwertung der Löhne, Anhebung der Lebenshaltungskosten, Verarmung der Kleinbourgeoisie, erreichen; eine andere durch Deflation, d.h. Einschränkung auf dem Rücken der Arbeiter (Senkung der Gehälter und Löhne), Ausdehnung der Arbeitslosigkeit, Ruin der kleinen bäuerlichen Produzenten und der Kleinbourgeoisie in den Städten.“

Achtzig Jahre später umgreift Trotzkis Analyse immer noch die wesentlichen Merkmale der Inflationsstrategie von Le Pen und der Deflationsstrategie, die Hollande anwendet.

„Zwischen diesen beiden kapitalistischen Methoden zu wählen, hieße, zwischen zwei Instrumenten zu wählen, mit denen die Ausbeuter sich darauf vorbereiten, die Kehle der Arbeiter durchzuschneiden“, schrieb Trotzki. Dem müssen die Arbeiter ihren Kampf für die sozialistische Revolution entgegensetzen sowie die „vollständige ‚Deflation‘ aller Privilegien und Profite“ der Kapitalisten.

Das Auftreten Le Pens als Bewerberin um die Regierungsverantwortung unterstreicht den Bankrott der politischen Elite Frankreichs sowie die Krise der kapitalistischen Herrschaft, die mit dem Wirtschaftszusammenbruch von 2008 entfacht wurde. Eine internationale Krise mit revolutionären Folgen entwickelt sich. Elemente innerhalb der französischen Bourgeoisie fühlen sich durch den wachsenden wirtschaftlichen Einfluss Deutschlands und seinen wachsenden Militarismus beunruhigt. Außerdem stört sie, dass die Kriegsvorbereitungen der Nato in der Ukraine das traditionelle imperialistische russisch-französische Gegengewicht zu Deutschland unterhöhlen könnten.

Die einzige politische Kraft, die sie in dem verzweifelten Bemühen, ihre Herrschaft zu stabilisieren, auftreiben konnten, ist indessen eine unpopuläre äußerst rechts stehende Partei, die vorschlägt, alle Vereinbarungen niederzureißen, die den europäischen Kapitalismus im vergangenen Vierteljahrhundert stützten. Sollte ihre Politik des Abwertungswettlaufs international auf Gegenwehr stoßen, dann würde auf diese Weise eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt werden, die den globalen Handel ins Chaos stürzte, da jedes Land versuchen würde, seine Währung abzuwerten, um auf den Weltmärkten konkurrieren zu können.

Innerhalb Frankreichs würden die erbitterten Angriffe einer FN-Regierung auf den Lebensstandard der Arbeiter und die demokratischen Rechte, die besonders die Einwanderer treffen würden, auf harten und explosiven Widerstand in den benachteiligten französischen Einwandererwohngebieten und in der gesamten Arbeiterklasse treffen.

Der FN kann sich nur deshalb als einzige Opposition zu Hollandes Austeritätspolitik gebärden, weil die Sozialistische Partei und ihre pseudo-linken Vasallen wie die Neue Antikapitalistische Partei und die Linksfront nichts anderes als wurmstichige Kadaver sind.

Auf die Frage des Figaro, ob ihre Politik nicht zu links sei, antwortete Le Pan demagogisch mit der Behauptung, dass ihr Hauptfeind die Politik der freien Marktwirtschaft sei und führte als Beispiel die Erfahrung der Sozialistischen Partei seit der Präsidentschaft von François Mitterrand der Jahre 1981-1995 an.

“Die radikale marktwirtschaftliche Politik,” bemerkte sie, “wurde von den Sozialisten in den 1980er Jahren mit der Deregulierung, mit der Verschmelzung von Geschäfts- und Investmentbanken eingeführt (…) Die Wahrheit ist, dass es niemals eine ‚Wende [der Sozialistischen Partei]‘ zur sozialen Marktwirtschaft gegeben hatte, weil die französischen Sozialisten jahrelang Anhänger der radikalen marktwirtschaftlichen Politik der Europäischen Union waren.“

Die Parteien der Pseudo-Linken haben sich jahrzehntelang dieser Politik angedient und bemühen sich jetzt, alle Opposition von links gegen die reaktionäre Hollande-Regierung abzublocken. Bei den Präsidentschaftswahlen 2012 riefen sie zur Stimmabgabe für Hollande auf und behaupteten zynisch, dass er eine Politik der „sozialen Marktwirtschaft“ betreiben werde. Jetzt versuchen sie verzweifelt, die Kämpfe der Arbeiter gegen Hollande zu unterdrücken und erzeugen damit ein politisches Vakuum auf der Linken, das es dem FN gestattet, weiter vorzurücken.

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