Ukrainisches und EU-Parlament verabschieden Assoziierungsabkommen

Die Parlamente in Kiew und Straßburg haben am Dienstag das Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der Europäischen Union verabschiedet. Die Weigerung des damaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch, das Abkommen im November letzten Jahres zu unterzeichnen, hatte die Proteste auf dem Maidan und den vom Westen unterstützten Putsch gegen Janukowitsch ausgelöst.

Im Europaparlament stimmten 535 Abgeordnete für das Abkommen, 127 votierten dagegen und 35 enthielten sich. In Kiew stimmten alle 355 anwesenden Parlamentarier mit Ja. 95 blieben der Abstimmung fern. Die beiden Sitzungen waren durch Videoübertragung miteinander verbunden.

Es blieb dem Vorsitzenden des EU-Parlaments, dem deutschen Sozialdemokraten Martin Schulz, vorbehalten, die Verabschiedung des Abkommens als „Sternstunde der Demokratie“ zu preisen. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko sprach von einem „historischen Moment“ und verkündete pathetisch: „Wir werden den Weg hin zum Sieg beschreiten.“

Tatsächlich wird das Assoziierungsabkommen als schmutziger Deal in die Geschichte eingehen. Es handelt sich um eine Abmachung zwischen den imperialistischen Mächten Europas und den ukrainischen Oligarchen auf Kosten der Arbeiterklasse und des Weltfriedens.

Im Mittelpunkt stehen geopolitische Interessen. Letztlich gehe es „nicht um Handelsfragen oder die Frage, ob die Ukraine sowohl eine Zollunion mit der Europäischen Union als auch mit Russland eingehen kann. Es geht um Einflusssphären“, stellte die Frankfurter Allgemeine Zeitung fest. Und Poroschenko selbst erklärte im Parlament, mit der Ratifizierung des Abkommens habe die Ukraine „ihre geopolitische Wahl“ getroffen.

Die Oligarchen, die in der Ukraine die Macht ausüben, gliedern das Land in die Einflusssphäre der EU und der Nato ein und erhalten als Gegenleistung gesetzliche Garantien für den Schutz ihres illegitim erworbenen Eigentums. Die Herrschenden in Moskau, die seit der Auflösung der Sowjetunion erleben, wie das größte Militärbündnis der Welt sie immer enger einkreist, können dies nur als existentielle Bedrohung empfinden. Entsprechend wächst die Kriegsgefahr, die in eine nukleare Katastrophe zu münden droht.

Die Behauptung, die Unterzeichnung des Abkommen sei ein Akt der nationalen Selbstbestimmung oder ein Schritt in Richtung Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, erweist sich als absurd, wenn man seinen Inhalt genauer betrachtet. So tritt Kiew mit der Verpflichtung, das geltende EU-Recht zu übernehmen, die Gesetzgebungskompetenz weitgehend an die ungewählte Bürokratie in Brüssel ab, ohne selbst Mitglied der EU zu sein. Etwa 80 Prozent aller Gesetze und Verordnungen unterliegen den Vorschriften der EU.

Das Abkommen unterwirft das Land zudem dem Diktat des Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Union. Die Folgen werden für die bitterarme Bevölkerung noch verheerender sein als in Griechenland, wo das Durchschnittseinkommen aufgrund der Sparvorgaben der Troika um ein Drittel gesunken ist, das Sozial- und Bildungswesen zerfällt und große Teile der Bevölkerung in Arbeitslosigkeit und bitterer Armut leben.

Die ökonomischen Folgen des Assoziierungsabkommens sind derart verheerend, dass sein Kernstück, das Freihandelsabkommen, erst Anfang 2016 in Kraft tritt. Darauf einigten sich EU-Handelskommissar Karel De Gucht, der ukrainische Außenminister Pawel Klimkin und der russische Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew am letzten Freitag in Minsk. Russland hat eine lange Liste mit Einwänden vorgelegt, über die es vorher verhandeln will.

Ukrainische Nationalisten haben die Verzögerung des Freihandelsabkommens als unzulässiges Zugeständnis an Moskau verurteilt. Die Vorsitzende der Vaterlandspartei, Julia Timoschenko, sprach von „einem Verrat an den nationalen Interessen“. Auch die Fraktionsvorsitzender Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms, zeterte: „Herr Putin hat seinen Fuß in die Tür gestellt.“

Tatsächlich ist die Verschiebung des Freihandelsabkommens „ein kurzfristiger und dramatischer Schritt, um die ukrainische Wirtschaft zu schützen“, wie Die Zeit schreibt. Die sofortige Abschaffung der Zölle für Waren aus der EU würde nicht nur die Ukraine, sondern auch Russland, das keine Abgaben auf Einfuhren aus der Ukraine erhebt, mit Importen aus Europa überfluten. Russland hat deshalb gedroht, Zölle für Waren aus der Ukraine zu erheben.

Da Russland neben der EU der wichtigste Absatzmarkt für Produkte aus der Ukraine ist, hätte Einführung von Zollschranken verheerende Auswirkungen auf die Wirtschaft des Landes, die sich schon jetzt im freien Fall befindet. Die Landeswährung Hrywnja hat seit Jahresbeginn gegenüber dem US-Dollar 36 Prozent eingebüßt, die Inflationsrate liegt bei 25 Prozent und die Wirtschaftsleistung wird in diesem Jahr bis zu zehn Prozent schrumpfen.

Auch den Abzug russischer Investoren fürchtet die ukrainische Regierung. Die beiden Volkswirtschaften sind eng miteinander verflochten und die Ukraine ist abhängig von russischem Kapital. Ein Siebtel des Bankensektors gehört russischen Geldinstituten, große Teile des Energienetzes, Telefonleitungen, Mobilfunkprovider, Stahlwerke und Immobilien befinden sich in russischem Besitz. Ein plötzlicher Kapitalabzug würde schwere Erschütterungen auslösen.

Das Aussetzen des Freihandelsabkommens dient deshalb in erster Linie dazu, Zeit zu gewinnen. Denselben Zweck erfüllen auch zwei weitere Gesetze, die das ukrainische Parlament kurz vor der Verabschiedung des Assoziierungsabkommens beschlossen hat. Das eine gewährt den umstrittenen Regionen Donezk und Lugansk mehr Autonomie, einschließlich des Rechts auf eigene Wahlen und auf die Gründung einer eigenen Volksmiliz. Das andere gewährt Separatisten, die keine schweren Verbrechen begangen haben, eine Amnestie.

Auch diese Gesetze sind bei den ultrarechten Nationalisten, auf die sich das Kiewer Regime stützt, auf heftigen Widerstand gestoßen. Für die Amnestie stimmten nur 287, für das Autonomiegesetz 277 der 450 Abgeordneten. Vor dem Parlament kam es zu tumultartigen Szenen. Mindestens ein Abgeordneter wurde tätlich angegriffen und in einen Mülleimer geworfen.

Präsident Poroschenko hatte trotzdem auf der Verabschiedung der Gesetze bestanden. Die Abstimmung war geheim, weil sie sonst vermutlich keine Mehrheit gefunden hätte. Poroschenko braucht Zeit, um die ukrainische Armee mit Unterstützung der Nato neu aufzustellen. Sie hat in den vergangenen Wochen erhebliche Rückschläge erlitten und ist derzeit nicht in der Lage, die Separatisten militärisch zu besiegen.

Die Nato führt derweil in der Ukraine und im Schwarzen Meer Militärmanöver durch und demonstriert so, dass sie ihren militärischen Druck auf Russland weiter zuspitzen wird.

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