Die Entdeckung der "Khorasan-Gruppe" in Syrien

Nachdem die USA letzte Woche ihren Luftkrieg in Syrien begonnen hatten, wurde plötzlich die sogenannte Khorasan-Gruppe zur neuesten und größten Bedrohung für die USA und ihre europäischen Verbündeten erklärt - sogar zu einer größeren Bedrohung als der Islamische Staat im Irak und Syrien (ISIS). Laut amerikanischen Geheimdiensten besteht die Khorasan-Gruppe aus ranghohen ausländischen Al-Qaida-Mitgliedern in Syrien und versucht, einen Terroranschlag auf die USA oder europäische Verbündete zu organisieren.

Die angebliche Existenz der Khorasan-Gruppe wurde erst wenige Tage vor Beginn der amerikanischen Militäraktion in Syrien öffentlich gemacht. Eine Woche davor hatte niemand in der US-Regierung je öffentlich die Worte "Khorasan-Gruppe" ausgesprochen. US-Präsident Barack Obama sprach am Dienstag in der oberflächlichen Stellungnahme, mit der er die neue Militäraktion in Syrien bekanntgab, von der Gruppe.

Terrorismusexperten in den USA haben erklärt, die Khorasan-Gruppe sei nichts weiter als eine Erfindung der amerikanischen Geheimdienste. Was die US-Regierung als Khorasan-Gruppe bezeichnet, ist in Wirklichkeit eine kleine Gruppe von ausländischen Al Qaida-Mitgliedern, die an der Seite der al Nusra-Front, dem Al Qaida-Ableger in Syrien, gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad kämpfen.

Laut den amerikanischen Geheimdiensten besteht die Khorasan-Gruppe momentan aus mehreren Dutzend Al Qaida-Mitgliedern, die aus Pakistan, Afghanistan, Libyen und Tschetschenien ins Land gekommen sind. Die US-Regierung stellt sie als eine neue und gefährliche Gruppierung in Syrien dar. Aaron Zelin vom Washingtoner Institut für Nahostpolitik erklärte jedoch, die Kämpfer, die die amerikanischen Geheimdienste als Khorasan-Gruppe bezeichnen, nennen sich selbst nicht so.

Die Bezeichnung, die ihnen die Obama-Regierung gibt, basiert auf dem Spitznamen, den Kämpfer aus der als Khorasan bezeichneten Region tragen, die den Westen Afghanistans und den Osten des Irans sowie Teile von Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan umfasst.

Die angebliche Gefahr eines Anschlages der Khorasan-Gruppe wurde nicht nur genutzt, die Bevölkerung dazu zu bringen, den Krieg in Syrien zu unterstützen, sondern auch um weitere undemokratische Maßnahmen in den USA, Europa und Australien zu rechtfertigen. Die Mainstreammedien haben die angebliche Bedrohung durch die Khorasan-Gruppe - der erfundene Ausdruck wird bedrohlich wiederholt, als wäre er allgemein geläufig - ausgenutzt, um eine weitere Eskalation des Krieges in Syrien und dem Irak zu fordern.

Die plötzliche Entdeckung der Khorasan-Gruppe durch die Geheimdienste wird auch benutzt, um von der Tatsache abzulenken, dass die Elemente, gegen die sich die Angriffe richten, in Wirklichkeit an der Seite der al Nusra-Front kämpfen, die mit den sogenannten "Gemäßigten" in der Freien Syrischen Armee verbündet ist, die von Washington mit Ausrüstung, Waffen und Ausbildung im Wert von hunderten Millionen Dollar unterstützt wird.

Mitglieder der Freien Syrischen Armee haben sich letzte Woche gegen die Luftangriffe auf die ausländischen Kämpfer der al Nusra-Front ausgesprochen. Ali Bakran, ein Kommandant der FSA-Brigade in Idlib, drückte seine Frustration über die jüngsten Angriffe aus. "Wenn sie [ISIS] und das Regime angreifen, ist das in Ordnung, aber warum greifen sie Nusra an? Nusra rekrutiert sich aus dem Volk - sie sind das Volk."

Die Luftangriffe richteten sich zwar hauptsächlich gegen ISIS, allerdings wurden letzten Dienstag auch gegen angebliche Ziele der Khorasan-Gruppe Raketen abgefeuert. Amerikanische Regierungsvertreter behaupteten, die Angriffe seien notwendig gewesen, weil die zuvor unbekannte Gruppe "kurz davor" stand, einen Anschlag auf die USA oder Europa auszuführen. Angeblich kamen bei den Angriffen hohe Mitglieder der Gruppe ums Leben, darunter Musin al-Fadhli, der angebliche Drahtzieher dieser Pläne.

FBI-Direktor James Comey und Pentagon-Sprecher Konteradmiral John Kirby, die am Donnerstag mit Reportern sprachen, gaben zu, dass die US-Regierung keine genauen Geheimdienstinformationen darüber hat, ob die Khorasan-Gruppe Anschläge geplant hat.

Comey erklärte vor der Presse, das FBI ermittle seit zwei Jahren gegen die Khorasan-Gruppe. Er erklärte, in Syrien hätte das FBI zwar nicht den vollständigen Überblick gehabt, aber "was ich sehen konnte, hat mir den Eindruck vermittelt, sie würden sich auf einen Anschlag vorbereiten." Obwohl er keine eindeutigen Beweise hatte, erklärte er, es sei richtig gewesen, Luftangriffe gegen die Gruppe in Syrien zu fliegen.

"Es ist schwer zu sagen, ob morgen, in drei Wochen oder in drei Monaten ein Anschlag erfolgen wird. Aber es ist die Art von Bedrohung, bei der man davon ausgehen muss, dass es morgen passieren wird“, fügte Comey hinzu.

Auf der täglichen Pressekonferenz des Pentagon erklärte Kirby, es sei irrelevant, dass die Regierung keine konkreten Details über die Anschläge hatte, die angeblich unmittelbar bevorstanden. "Wir können darüber debattieren, ob es richtig war, sie anzugreifen oder nicht, oder ob es zu früh oder zu spät war“, erklärte Kirby, "wir haben sie erwischt. Und ich glaube nicht, dass wir hier ein Dossier brauchen, um zu beweisen, dass sie Verbrecher sind."

Die "Verbrecher," darunter Fadhli, ein enger Vertrauter von Osama bin Laden in Afghanistan vor den Anschlägen vom 11. September, werden von der US-Regierung seit mehr als zehn Jahren streng überwacht.

Im Jahr 2005 identifizierte das Außenministerium Fadhli als "einen hochrangigen Unterstützer und Finanzierer von Al Qaida aus dem Iran" und setzten ein Kopfgeld in Höhe von sieben Millionen Dollar auf ihn aus. Ihm wurde damals vorgeworfen, Abu Musad Al-Zarqawi und Al Qaida im Irak zu unterstützen, die Gruppe, aus der später ISIS entstand. Fadhli wurde außerdem die Teilnahme an einem Anschlag auf einen französischen Öltanker im Jahr 2002 vorgeworfen, bei dem ein Mitglied der Besatzung getötet wurde und 50.000 Barrel Rohöl austraten.

Im Jahr 2012 nannte das Finanzministerium Fadhli als Führer von Al Qaida im Iran und warf der iranischen Regierung vor, ihm zu erlauben, Geld und Kämpfer nach Syrien und Südasien zu schleusen. Letztes Jahr wurde Fadhli laut amerikanischen Geheimdiensten vom aktuellen Al Qaida-Führer Ayman al-Zawahiri nach Syrien geschickt, um in der al Nusra-Front, dem syrischen Ableger von Al Qaida, eine Zelle aufzubauen, die Anschläge auf amerikanische und europäische Ziele planen sollte.

Weitere angebliche Mitglieder der Khorasan-Gruppe sind der führende Scharfschütze und Ausbilder von Al Qaida, Abu Yusef al-Turki, und Al Qaidas Hauptstratege und Entscheidungsträger Sanafi al-Nasr.

Amerikanische Regierungsvertreter behaupten, von amerikanischen Kriegsschiffen im Persischen Golf und dem Roten Meer abgefeuerte Marschflugkörper hätten Trainingslager, eine Bombenfabrik, ein Kommunikationsgebäude und eine Kommandozentrale getroffen. Laut dem amerikanischen Geheimdienst hat die Gruppe ihr Hauptquartier in Syrien für Tests mit nichtmetallischen Sprengstoffen benutzt, mit denen sie durch die Sicherheitskontrollen an Flughäfen gekommen wären. Diese angebliche Bedrohung durch die Khorasan-Gruppe war der Hintergrund für ein Verbot von nicht aufgeladenen Handys und Laptops auf Flügen aus Europa, Afrika und dem Nahen Osten, das im Juli erlassen wurde. Es wurde auch behauptet, die Gruppe arbeite an einer Bombe, die sich in einer Tube Zahnpasta verstecken lässt, daher wurde im Februar auf Flügen nach Russland das Mitführen von Zahnpastatuben verboten.

Genau wie der Name selbst, den der amerikanische Geheimdienstapparat erfunden hat, dürfen diese Vorwürfe und Behauptungen für bare Münze genommen werden. Die Öffentlichkeit erfährt über diese undurchsichtigen Gruppen nur das, was der amerikanischen Kriegspropaganda dient. Ihre Beziehungen zum US-Imperialismus und seinen Verbündeten in der Region werden sorgfältig verheimlicht.

Während Washington die Öffentlichkeit mit der angeblichen Existenz einer Al Qaida-Zelle in Syrien in Angst versetzt, versorgt es gleichzeitig mit Al Qaida verbündete "Rebellen" mit Waffen und Geld, um dem Ziel eines Regimewechsels in Syrien näher zu kommen.

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