Großbritannien:

Nächster Schritt im Krieg der Tories gegen die Arbeiterklasse

Die regierenden Konservativen in Großbritannien stützen ihre Wiederwahlkampagne für die Unterhauswahl im Mai 2015 auf ein Klassenkriegsprogramm und kündigen eine verschärfte Kürzungspolitik an.

Ihre Botschaft richtet sich ausschließlich an die Wohlhabenden und die Wirtschaftselite. Schatzkanzler George Osborne erläuterte in seiner Rede auf dem Jahresparteitag der britischen Konservativen eine neue Runde verheerender Ausgabenkürzungen und Angriffe auf den Lebensstandard von Millionen Arbeitern.

Wie zu erwarten war, kündigte er ein Einfrieren der Leistungen für Menschen in arbeitsfähigem Alter für zwei Jahre an. Das würde 3,2 Milliarden Pfund einsparen und wäre Bestandteil der geplanten Sozialkürzungen in Höhe von zwölf Milliarden Pfund, die Osborne schon früher als Regierungsprogramm der Tories für die nächste Legislaturperiode angekündigt hatte. Von diesem Einfrieren werden zehn Millionen Haushalte betroffen sein, von denen die Hälfte zu den arbeitenden Armen gehört. Leistungen, die eingefroren werden sollen, umfassen das Arbeitslosengeld, Einkommenszuschüsse, Kinderfreibeträge, Lohnsteuerfreibeträge, Kindergeld und Lohnzuschüsse.

Beschäftigte, die zusätzlich Sozialleistungen beziehen, verdienen so wenig, das man davon nicht leben kann. Viele arbeiten für den nationalen Mindestlohn von nur 6,31 Pfund die Stunde. Das Einfrieren würde bedeuten, dass ein Paar, bei denen beide 13.000 Pfund im Jahr verdienen, im Jahr um 354 Pfund schlechter gestellt würde, weil sie Kindergeld verlieren und weil ihre Steuerfreibeträge wegfallen. Eine Person mit einem Jahreseinkommen von 25.000 Pfund und zwei Kindern würde 495 Pfund verlieren.

Alison Garnham, Leiterin der Child Poverty Action Group, einer Lobby-Gruppe für Kinder, erklärte zu Osbornes Ankündigungen: “Wenn bei einem Paar beide Partner Vollzeit arbeiten, aber beide für den Mindestlohn, dann fehlen ihnen fast zwanzig Prozent der Mittel, um über die Runden zu kommen. Ein zusätzliches Einfrieren der Bezüge wird ihre Situation deutlich erschweren.“

Die Entscheidung, die Leistungen einzufrieren, zeigt die Entschlossenheit der herrschenden Klasse, die Sparpolitik zu verewigen. Die Regelungen würden 2016 wirksam werden, falls die Tories die Wahl 2015 gewinnen. Ein zweijähriges Einfrieren bis 2018 würde bis zum zehnjährigen Jubiläum des globalen Finanzkrachs von 2008 dauern. Damals wurden infolge der Finanzkrise die öffentlichen Kassen geplündert, und die Banken wurden mit über einer Billion Pfund gerettet.

Außerdem wurde noch eine weitere Kürzung angekündigt: die Verringerung der maximalen Gesamtsumme, die ein Haushalt an staatlichen Leistungen erhalten kann, von derzeit 26.000 Pfund auf 23.000 Pfund. Da ein beträchtlicher Anteil davon auf das Wohngeld entfällt, werden viele Menschen nicht mehr in der Lage sein, ihre Miete zu bezahlen.

Osborne krönte seine Rede mit der Ankündigung, die er schon am Vortag gemacht hatte, dass Jugendliche ihr Anrecht auf Arbeitslosengeld verlieren sollen. Die Job Seeker’s Allowance, die für 16- bis 24-Jährige nur 51 Pfund beträgt, soll entfallen und durch einen “Jugendzuschuss” für 18- bis 21-Jährige ersetzt werden. Dieser wird nur sechs Monate gezahlt. Wer in der Zeit keine Arbeit oder Ausbildungsmaßnahme gefunden hat, muss künftig „Gemeinschaftsarbeiten“ verrichten, um die neue Beihilfe zu bekommen.

Der Angriff auf die “arbeitenden Armen“ ist politisch von Bedeutung. In der ersten Phase der Sparpolitik von 2008 bis 2010 wurden die Sozialhilfeempfänger unter der Labour-Regierung als „Skivers“ (Drückeberger) verleumdet und als unerträgliche Belastung für die hart arbeitenden „Strivers“ (Fleißigen) bezeichnet. Inzwischen (und während die konservativ-liberaldemokratische Koalition die Labour-Politik fortgesetzte), sind die Strivers selbst zu Skivers geworden. Alle Arbeiter sollen an ein Leben mit stark verringertem Lebensstandard gewöhnt werden.

Osborne gab bekannt, dass die Löhne der Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes weiter bis 2017 eingefroren werden. Seit dem Beginn der Finanzkrise haben die öffentlichen Beschäftigten keine einzige Lohnerhöhung mehr erhalten. Die Lohnsteigerungen liegen jetzt das siebente Jahr unterhalb der Inflationsrate.

Diese Kürzungen sind nur die Spitze eines riesigen Eisbergs. Weitere Milliardenkürzungen werden vorbereitet. Osborne sagte vor der Konferenz: „Das Haushaltsdefizit ist fast nur noch halb so groß wie damals, als wir die Regierung übernehmen, aber es ist noch immer viel zu hoch. Also werden wir unsere Pläne, es zu eliminieren, weiter durchziehen.“

Schätzungen des Schatzamtes gehen davon aus, dass weitere fünfundzwanzig Milliarden Pfund dauerhafte Kürzungen notwendig sind, um das Haushaltsdefizit Großbritanniens zu beseitigen. „Dieses Parlament hat schon einhundert Milliarden Pfund gespart. Wir haben gezeigt, dass es geht, wenn man diszipliniert ist und entschlossen ans Werk geht“, sagte Osborne

Osbornes Rede ging harte Kritik von Teilen der Wirtschaft sowohl an Labour wie auch an den Tories voraus. Die Wirtschaftsbosse verlangten, die Austeritäts-Agenda zu beschleunigen.

Vor der Rede spielte der Daily Telegraph auf die politische Krise bei den Tories an. Ein weiterer ihrer Abgeordneten war zur rechten nationalistischen United Kingdom Independence Party übergelaufen, und ein Minister war nach einem Sexskandal zurückgetreten. Die Zeitung warnte: „Sie [die Tory-Partei] muss sich höhere Ziele setzen und sich aus dem Klein-Klein befreien, und sie muss dem Land sagen, was es nach 2015 zu erwarten hat. Osborne muss in seiner Rede am Montag große und genau benannte Einsparungen nennen und nicht bloß symbolische Gesten machen.“

Osborne versicherte den Superreichen, dass alle Einsparungen von der Arbeiterklasse aufgebracht werden müssten, und nicht etwa auf Kosten ihrer prallen Taschen gehen würden. „Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Die Option, das Defizit durch Steuererhöhungen aus der Welt zu schaffen, gibt es nicht mehr, wenn es sie denn je gegeben hat.“

“Großbritannien wird niedrigsten, konkurrenzfähigsten Unternehmenssteuern von allen großen Ländern haben”, versprach er und fügte hinzu: “Großbritannien muss das Land sein, wo Unternehmen investieren und wo Unternehmen blühen.“

Die Daily Mail schrieb in ihrem Leitartikel, Osbornes Rede sei zwar brutal offen gewesen. Er habe aber nicht gesagt, „wo er die alarmierenden 37,6 Billionen Pfund hernehmen will, die er benötigt, um das jährliche Minus bis 2017 oder -18 zu beseitigen (und dann hat die Rückzahlung unserer Schulden noch nicht einmal begonnen)“.

Carl Emmerson, stellvertretender Direktor des Institute of Fiscal Studies, betonte ebenfalls die Notwendigkeit weit schärferer Austeritätspolitik. Er wies darauf hin, dass die Regierung im nächsten März kaum mehr als die Hälfte des Defizits abgebaut habe. „Wir sind noch nicht einmal in der Nähe vom Abbau von Vierfünfteln des Defizits“, beklagte er.

Die Financial Times schrieb, Osborne wolle “die Wähler an die noch bevorstehenden harten Zeiten erinnern”. Sie wies auf jüngste Analysen des Rechnungshofes hin, die davon ausgehen, dass die aktuellen Kürzungspläne der Regierung eine Kürzung der Staatsausgaben um mindestens weiter vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts erfordere. Das wären nach heutigen Preisen fast siebzig Milliarden Pfund.

Nach mehr als einem halben Jahrzehnt beispielloser sozialer Angriffe, die ohne Mandat der Bevölkerung durchgesetzt werden, war Osbornes Rede ein Moment enormer Überheblichkeit. Die Ganzen bisherigen Kürzungen konnten nur wegen der Mitarbeit der Gewerkschaftsbürokratie und ihrer Stützen in den pseudolinken Gruppierungen wie der Socialist Workers Party und der Socialist Party durchgesetzt werden.

Das schottische Unabhängigkeitsreferendum im vergangenen Monat enthüllte die breite Unzufriedenheit mit allen drei Parteien der Wirtschaft. Nach dem Referendum fand eine Umfrage heraus, dass 74 Prozent von denen, die mit Ja abgestimmt hatten, ihre Stimme in erster Linie aus Unzufriedenheit mit der Politik in Westminster so abgegeben hatten. Auch die Nein-Stimmen wurden nicht gerade aus Liebe zu den großen Parteien abgegeben. Der Hass auf diese Parteien ist kein schottisches Phänomen. Es erstreckt sich von Land’s End [der südwestliche Spitze Englands in Cornwall] bis John o’Groats [dem nördlichsten Zipfel Schottlands].

Loading