Warum wollen die deutschen Eliten wieder Krieg?

Gut besuchte Versammlung in Frankfurt am Main

„Warum wollen die deutschen Eliten wieder Krieg? Die historischen und politischen Gründe für den erneuten Griff nach der Weltmacht“ lautete der Titel einer gut besuchten Versammlung am Samstagabend, den 11. Oktober 2014, im Frankfurter Haus Gallus. Weitere Versammlungen zum selben Thema finden in den nächsten Tagen in Bochum und Berlin statt.

Die Versammlung im Haus Gallus

Zur Versammlung in Frankfurt hatten die Partei für Soziale Gleichheit (PSG) und die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) geladen. Sie ist Bestandteil einer Kampagne gegen die Wiederkehr des deutschen Militarismus.

Die PSG und die IYSSE hatten mit Plakaten und Handzetteln an Unis und Fachhochschulen, in den Frankfurter Stadtvierteln, vor dem Opel-Werk in Rüsselsheim und an der Frankfurter Buchmesse für die Veranstaltung geworben und hunderte Exemplare der PSG-Erklärung Die Rückkehr des deutschen Imperialismus“ verkauft.

Sie stießen überall auf großes Interesse. An Straßenhaltestellen entwickelten sich teilweise spontane Diskussionen über die Veranstaltungsplakate, die mit einem kurzen Text auf die wachsende Kriegsgefahr hinwiesen. Schließlich kamen über vierzig Teilnehmer zum Haus Gallus. Der Veranstaltungsraum war bis zum letzten Platz besetzt.

Parallelen zum Ersten Weltkrieg

Peter Schwarz, Mitglied der internationalen Redaktion der World Socialist Web Site, begann seinen Beitrag mit einem Rückblick auf den Ersten Weltkrieg, der vor hundert Jahren begann.

Die Großmächte seien damals nicht, wie oft behauptet werde, unbewusst und gegen ihren Willen in den Krieg „hineingeschlittert“ oder „geschlafwandelt“, sagte Schwarz. „Es gab ausgearbeitete Kriegspläne wie den Schlieffen-Plan, ausformulierte Kriegsziele wie das Septemberprogramm des damaligen Reichskanzlers Bethmann Hollweg und eine intensive Kriegspropaganda.“ Dann ging er auf die Parallelen zu heute ein.

Vor einem Jahr habe Bundespräsident Gauck in seiner Rede zum Tag der Deutschen Einheit verkündet, dass Deutschland wieder nach der Stellung einer Weltmacht strebe. Es müsse „in Europa und der Welt“ wieder eine Rolle spielen, die seiner Größe und seinem Einfluss tatsächlich entspreche und brauche eine aktive und militärische Außenpolitik.

Ein Jahr danach bestimme dieser Anspruch die deutsche Außenpolitik. „Berlin spielt in den beiden bedeutendsten internationalen Konflikten – in der Ukraine und im Nahen Osten – eine aktive politische und militärische Rolle“, sagte Schwarz.

Mit dem Versuch, die Ukraine in den Einflussbereich der EU zu ziehen, knüpfe Außenminister Steinmeier direkt an die Politik von Bethmann Hollweg und Hitlers Außenminister Ribbentrop an. „Ging es im Ersten und im Zweiten Weltkrieg darum, durch die Beherrschung ‚Mitteleuropas‘ die Grundlage für Deutschlands Aufstieg zur Weltmacht zu legen, verfolgt Berlin heute dasselbe Ziel mit der Eingliederung der Ukraine in eine von ihm dominierte Europäische Union.“

Schwarz warnte, dass die Konfrontation mit Russland, die von Berlin und Washington systematisch geschürt werde, die Gefahr eines Atomkriegs in sich berge.

Zur Kriegsentwicklung im Nahen Osten sagte er, die Bundesregierung sei im Gegensatz zum Irakkrieg 2003 und zum Libyenkrieg 2011 diesmal entschlossen, mit dabei zu sein. „Mit den Waffenlieferungen an die kurdischen Peschmerga hat sie ihren ersten Einsatz im Roulette um die rohstoffreiche Region geleistet.“

Die aggressive Kriegspolitik in der Ukraine und im Nahen Osten seien nur der Anfang, fuhr Schwarz fort. „Am Donnerstag hat der SPD-Vorsitzende und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel eine Grundsatzrede zur deutschen Rüstungsexportpolitik gehalten, die in der Forderung gipfelte: ‚Die Außen- und Sicherheitspolitik muss Ausgangs- und Zielpunkt einer rüstungspolitischen Strategie Deutschlands werden.‘“

Gabriel wolle die Rüstungsindustrie, die er als „Schlüsselbranche von nationalem Interesse“ bezeichnete, ganz in den Dienst der Außenpolitik und des Militarismus stellen und zu diesem Zweck „den bisher stark zersplitterten europäischen Verteidigungsmarkt neu gestalten und die europäische wehrtechnische industrielle Basis stärken“. Der letzte deutsche Politiker, der ein solches Projekt verfolgt habe, sei Adolf Hitler gewesen, sagte Schwarz.

Ein wichtiger Bestandteil der Wiederkehr des deutschen Imperialismus sei wie 1914 die Gleichschaltung der Medien, der politischen Parteien und die Einschüchterung und Unterdrückung aller Kriegsgegner, fuhr Schwarz fort. Der Militarismus könne keine Opposition dulden und sei untrennbar mit diktatorischen Maßnahmen im Innern verbunden.

Er beschrieb die Verwandlung der tagesthemen und des heute journals in „allabendliche Propagandashows“. Das Außenministerium veröffentliche eine spezielle Propaganda-Website, auf der gefordert werde: „Deutschlands Bestimmung: Europa führen, um die Welt zu führen.“ Journalisten mit engen Beziehungen zu transatlantischen Thinktanks hetzten unermüdlich gegen Russland.

Als besonders krasses Beispiel von Zensur nannte Schwarz den Versuch der Berliner Humboldt Universität, die dort geplante Anti-Kriegs-Veranstaltung der IYSSE mit inhaltlichen Auflagen zu verbinden. Die HU habe den Veranstaltungsraum nur unter der Bedingung genehmigt, „dass im Vorfeld, während und nach der Veranstaltung“ keine Mitglieder der Universität „geschmäht“ oder „beschimpft“ würden, wie es angeblich Mitte Juli bei einer IYSSE-Veranstaltung der Fall gewesen sei.

Weiter heiße es in dem Schreiben: „Solche Formen der Auseinandersetzung widersprechen den akademischen Grundregeln einer Universität, die Kontroversen ausschließlich wissenschaftlich austrägt. Verstöße gegen diesen Grundsatz wird die Universitätsleitung nicht dulden.“

Schwarz betonte, dass die IYSSE nie Mitglieder der Universität geschmäht oder beschimpft, wohl aber rechte politische Standpunkte, die Mitglieder der Universität öffentlich vertreten, scharf kritisiert und zurückgewiesen haben. So habe der Inhaber des Lehrstuhls für Geschichte Osteuropas, Jörg Baberowski, im Spiegel erklärt: „Hitler war nicht grausam“. Wenn die IYSSE dies zurückwiesen, bezeichne es die Universität als Verstoß gegen den wissenschaftlichen Diskurs. Die sei nicht anderes als Zensur, was die IYSSE niemals akzeptieren würden.

Weshalb wieder Krieg?

Im zweiten Teil seines Beitrags ging Schwarz auf die im Titel gestellte Frage ein: „Weshalb wollen die deutschen Eliten wieder Krieg?“

„Kriege haben – genau wie Revolutionen – tiefe Ursachen“, sagte er. „Sie sind nicht einfach das Ergebnis der Absichten oder der Fehler von Politikern. Die Gefahr eines neuen Weltkriegs ergibt sich aus dem grundlegenden Widerspruch des kapitalistischen Systems, dem Widerspruch zwischen der Globalisierung der Wirtschaft und ihrer Aufspaltung in antagonistische Nationalstaaten, die die Grundlage für das Privateigentum an den Produktionsmitteln bilden.“

„Schon der Erste Weltkrieg war ein imperialistischer Krieg“, betonte Schwarz. „Die alten imperialistischen Mächte Großbritannien und Frankreich und die jüngeren Deutschland und USA kämpften um die Neuaufteilung der Welt. Deutschland ging dabei besonders aggressiv vor, weil es zu spät gekommen war und über eine besonders dynamische Wirtschaft verfügte, die dringend Rohstoffe und Absatzmärkte brauchte.“

Deutschland habe den Krieg verloren und einen zweiten „Griff nach der Weltmacht“ versucht. „Diesmal benötigte es dazu Hitler. Er hat am 31. Januar 1933 die Macht nicht ‚übernommen‘, sie wurde ihm von den deutschen Eliten in Wirtschaft, Generalstab, Staat und bürgerlichen Parteien ‚übergeben‘. Sie brauchten ihn und seine Nazi-Bewegung, um die Arbeiterbewegung zu zerschlagen und die ganze Gesellschaft auf die Vorbereitung des Kriegs auszurichten. Das ging nur mit einer Diktatur.“

Letztliche sei dies nur möglich gewesen, weil die Führer der Arbeiterklasse – die SPD und die von Stalin beherrschte KPD – versagten, fügte Schwarz hinzu. „Aber das ist nicht Thema dieses Vortrags.“

Die alten Probleme brechen wieder auf

Deutschland habe auch den Zweiten Weltkrieg verloren, fuhr Schwarz fort. „Aber die Probleme, die zum Krieg geführt hatten, wurden nicht gelöst. Die Nachkriegszeit war nur eine Atempause.“ Bereits mit der deutschen Wiedervereinigung seien die alten Probleme wieder aufgebrochen.

In den 90er Jahren habe Deutschland wieder versucht, an der Spitze der EU zur Weltmacht aufzusteigen. Doch zu Beginn des 21. Jahrhunderts und insbesondere mit dem internationalen Finanzkrach 2008 sei die EU zunehmend in die Krise geraten. Sie sei von scharfen sozialen Gegensätzen geprägt und gleiche einem Pulverfass.

Zusammenfassend sagte Schwarz: „Die Wiederbelebung des Militarismus ist die Antwort der herrschenden Klasse auf die explosiven gesellschaftlichen Spannungen, auf die sich verschärfende ökonomische Krise und auf die wachsenden Konflikte zwischen den europäischen Mächten. Er dient der Eroberung neuer Einflusssphären, Absatzmärkte und Rohstoffe, auf die die exportabhängige deutsche Wirtschaft dringend angewiesen ist. Er soll einer sozialen Explosion vorbeugen, indem er die sozialen Spannungen auf einen äußeren Feind ablenkt. Und er zielt auf die Militarisierung der ganzen Gesellschaft: den Ausbau des staatlichen Überwachungs- und Repressionsapparats, die Unterdrückung von sozialer und politischer Opposition und die Gleichschaltung der Medien.“

Alle im Bundestag vertretenen Parteien stünden uneingeschränkt hinter der Rückkehr des deutschen Militarismus. „Die SPD und vor allem die Grünen gehören zu den schlimmsten Kriegshetzern. Auch Die Linke schwenkt uneingeschränkt auf den Kriegskurs ein. Nur wenige Tage vor dieser Veranstaltung haben vierzehn führende Politiker der Linkspartei eine massive Ausweitung der Militäraktion in Syrien und dem Nordirak, einschließlich des Einsatzes von Bodentruppen, gefordert.“

„Dieselben Faktoren, die die herrschende Klasse in den Krieg treiben, schaffen auch die objektiven Voraussetzungen für die sozialistische Revolution“, schloss Schwarz. Die PSG stütze den Kampf gegen Militarismus und Krieg theoretisch, politisch und organisatorisch auf die Arbeiterklasse. „Sie ist als internationale Klasse die einzige Kraft, die einen Dritten Weltkrieg verhindern kann. Ihre Interessen bringen sie in Widerspruch zum kapitalistischen System.“

Aber die sozialistische Revolution sei kein automatischer Prozess. Sie hänge vom Aufbau einer neuen revolutionären Partei in der Arbeiterklasse ab. Die PSG kämpfe dafür, das Bewusstsein der Arbeiterklasse zu entwickeln. Sie trete den Fälschungen und Propagandalügen der Medien entgegen, impfe die Arbeiter gegen jede Form von Nationalismus und Chauvinismus und trete für die internationale Einheit der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms ein.

Lebhafte Diskussion

Im Anschluss an den Vortrag entwickelte sich eine lebhafte Diskussion. Es gab zahlreiche Fragen zu verschiedenen Aspekten des Vortrags.

Ein Teilnehmer fühlte sich durch die sozialistische Perspektive der PSG und ihre Orientierung auf die Arbeiterklasse provoziert. Er fragte gleich zu Anfang, was denn die PSG an „konkreten Lösungen“ gegen den Islamischen Staat vorschlage. Er befürwortete einen Bundeswehreinsatz und behauptete, die Politik der PSG laufe darauf hinaus, „dass wir gegen die Gefahr des radikalen Islamismus nichts Konkretes tun“. Die Vorstellung einer revolutionären Arbeiterpartei bezeichnete er als „idealisierten Wunschtraum“.

Dagegen sprachen mehrere Teilnehmer, einschließlich des Veranstaltungsredners selbst. Schwarz fragte: „Wer erinnert sich noch daran, wie 2003 der Irakkrieg und 2011 der Libyenkrieg begann?“

Damals seien erfundene und reale Berichte über Gräueltaten Saddam Husseins und Gaddafis von den Medien aufgebauscht worden, um imperialistische Kriege zu rechtfertigen, die Hunderttausenden das Leben kosteten. „Wer nach diesen Erfahrungen noch ernsthaft glaubt, amerikanische oder deutsche Truppen griffen im Nahen Osten ein, um den Jesiden, den Kurden oder anderen Minderheiten zu helfen, belügt sich selbst.“

Der Islamische Staat sei von den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten mit hunderten Millionen Dollar aufgebaut worden. „US-Vizepräsident Joe Biden selbst hat das kürzlich zugegeben. Nun wird der IS benutzt, um einen weiteren imperialistischen Krieg zu rechtfertigen, bei dem es um einen Regimewechsel in Syrien, die Isolierung Irans und die imperialistische Kontrolle über die Region geht.“

Den Vorwurf, die PSG habe „keine konkrete Antwort“ auf die Lage im Nahen Osten, wies Schwarz scharf zurück. „Wir kämpfen ‚konkret‘ dafür, die Arbeiterklasse zu vereinen und gegen Krieg zu mobilisieren, während Sie ‚konkret‘ die Kriegspropaganda der Imperialisten unterstützen und verhindern wollen, dass sich die Arbeiterklasse dem Militarismus entgegenstellt.“

„Die kommende Periode wird von enormen Erschütterungen geprägt sein“, schloss Schwarz. „Es gibt Millionen Menschen, die mit einem neuen Krieg nicht übereinstimmen. In die etablierten Parteien haben sie kein Vertrauen mehr. Aber um gegen Krieg zu kämpfen, müssen sie die Lehren aus der Geschichte verstehen.“

Der Applaus der Anwesenden und die erfolgreiche Sammlung für den Aufbaufonds der PSG signalisierte am Ende des Abends überwiegende Zustimmung.

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