WSWS-Reporter sprachen nach Streikbeginn mit Fahrgästen und Beschäftigten

„Wenn wir das Grundrecht auf Streik aufgeben sind wir nur noch Sklaven“

Gestern begann der Streik der Lokführer. Ab 15 Uhr wurden große Teile des Güterverkehrs lahmgelegt. Seit 2 Uhr heute Morgen werden auch S-Bahnen sowie Regional- und Fernverkehrszüge bestreikt. Der Arbeitskampf soll am Montag um 4 Uhr enden. 

Der Vorsitzende der Lokführergewerkschaft GDL, Claus Weselsky, erklärte aber, dass die Kampfmaßnahmen auch darüber hinaus fortgesetzt werden könnten, wenn die Bahn nicht bereit sei, einzulenken. Die Streikkasse sei ausreichend gefüllt, sagte der GDL-Chef.

Die Gewerkschaft fordert eine moderate Lohnerhöhung von fünf Prozent und eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit. Vor allem aber kämpft die GDL für das Recht, ihre Mitglieder unabhängig von anderen Gewerkschaften im Betrieb in Tarifverhandlungen zu vertreten.

Die Bahn lehnt dies strikt ab. Sie will mithilfe der Eisenbahn und Verkehrsgewerkschaft (EVG), die als „gelbe Gewerkschaft“ aufs engste mit dem Management kooperiert, die Löhne und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten diktieren sowie Streiks verbieten. Die GDL rief daher neben den Lokführern auch die Lokrangierführer, Zugbegleiter, Bordgastronomen, Disponenten, Ausbilder, Instruktoren und Trainer der Bahn zum Streik auf.

Ein WSWS-Reporterteam sprach unmittelbar nach Streikbeginn mit Pendlern und Reisenden, die vom Streik betroffen waren. Viele reagierten mit Sympathie für die Lokführer, fühlten sich aber auch schlecht informiert. Am Berliner Ostbahnhof berichtet Susanne, eine Studentin aus Potsdam, über ihr Misstrauen gegenüber den Medien. Sie hat das Gefühl, an Hand der Medienberichte nicht objektiv über die Verhandlungen informiert zu werden. „Dass die GDL für den Streik verantwortlich gemacht wird und nicht das Bahn-Management finde ich nicht nachvollziehbar.“ Ihr Begleiter Ron fügte hinzu, dass die Lokführer gar keine andere Wahl hätten als zu streiken, um ihre Forderungen durchzusetzen.

Ein anderer Fahrgast erklärt sich ebenfalls solidarisch mit den Streikenden. „In Deutschland wird viel zu wenig gestreikt“, sagt Paul, der im Großhandel arbeitet. „Arbeiter müssen für ihre Rechte eintreten. Wenn eine Gruppe von Arbeitnehmern streikt und ihr Recht durchsetzt, ist das gut für alle.“

Peter arbeitet bei der Bahn in der Leitungs- und Sicherheitstechnik. Er ist nicht bei der GDL, sondern Mitglied in der EVG, die dem DGB angegliedert ist. Trotzdem unterstützt er den Streik der Lokführer. „Die Kollegen haben doch gar kein anderes Mittel, ihre Interessen durchzusetzen, außer zu streiken“, sagt er.

„Wenn der Staat alles schnell und billig haben will, dann muss er mit Streik rechnen.“ Das gelte nicht nur für die Eisenbahn. „Morgen können es die Metaller sein. Dann wird dort gestreikt. Heute fahren eben die Züge nicht mehr. Das ist die Verantwortung der Regierung, die alles privatisiert hat.“

Dann ging er auf den Kernpunkt des Streiks ein. „Wenn sich die Kollegen von der EVG nicht mehr vertreten fühlen, müssen sie das Recht haben, in eine andere Gewerkschaft zu wechseln und für ihre Interessen zu streiken. Streik ist ein Grundrecht. Wenn wir dieses Recht verlieren, sind wir nichts weiter als Sklaven, dann kann der Arbeitgeber uns alles diktieren.“

Auch Wolfgang, der für die Bahn als Reinigungskraft arbeitet, unterstützt den Streik. „Wenn die GDL gewinnt, ist das gut für uns alle.“

Auf dem Frankfurter Hauptbahnhof überwiegt ebenfalls die Unterstützung für den Streik der Lokführer. Ein jüngerer Büroangestellter bekundet nach kurzem Zögern seine Sympathie mit dem Streik. „Ich habe gehört, dass sie zwei Stunden Arbeitszeitverkürzung fordern. Das kann ich nachvollziehen“, sagt er. „Natürlich ist es ein bisschen lästig, vor allem, wenn man auf die Bahn angewiesen ist. Aber diese vier Tage kriegen wir auch noch rum. Wenn die Lokführer ihre Forderungen durchsetzen können, dann ist das schon in Ordnung. Manchmal geht es eben nicht anders. Ich kann das schon verstehen. Die Profite stehen meistens an erster Stelle, und bei der Bahn werden nicht gerade Top-Löhne bezahlt.“

Duygu

Duygu treffen wir in der Raucherecke vor dem Haupteingang. Sie arbeitet als Betreuerin in der DB-Lounge. Duygu kann aus eigener Erfahrung ein Lied von der Überlastung des Bahnpersonals singen: „Wir arbeiten in der Regel fünfzig bis sechzig Stunden im Monat und bräuchten dringend mehr Personal.“ Sie musste wegen eines Burnouts ihre Tätigkeit als Zugbegleiterin im ICE aufgeben und zu ihrer jetzigen Tätigkeit wechseln. Im ICE war sie oft gezwungen, zwölf Stunden am Stück zu arbeiten. Ordentliche Pausen waren auf dem Zug in der Regel nicht möglich. Die ganze Situation war auf Dauer unerträglich, berichtet sie.

Dass eine Arbeitszeitverkürzung die Situation verbessert, glaubt sie allerdings nicht. Die Bahn werde trotzdem kein neues Personal einstellen, sagt sie. „Dann wird die Arbeitshetze noch verschlimmert, weil die Arbeit ja nicht weniger wird.“ Dabei herrscht auch an in ihrem jetzigen Einsatzgebiet eklatanter Personalmangel. Neben zwei ausgebildeten Kräften gibt es noch vier Auszubildende, die den ganzen praktischen Bereich erst lernen müssen.

Duygu ist vor kurzem von der EVG zur GDL gewechselt. „Aber bis jetzt hat sich das noch nicht ausgewirkt“, sagt sie. Dabei verdiene sie ja noch weniger als die Lokführer: „Für eine Arbeitswoche mit bis zu sechzig Stunden ist das Grundgehalt netto 1.100 Euro. Sie sagt: „Wenn es nicht die eine oder andere Zulage gäbe, könnte man damit überhaupt nicht leben.“

In der Kantine für Bahnbeschäftigte treffen wir eine Gruppe von S-Bahnführern. Interessiert vertiefen sie sich in den aktuellen WSWS-Artikel zum Lokführer-Streik. „Ihr habt wenigstens mal die richtigen Zahlen über den Personalabbau“, kommentiert einer von ihnen. „Das weiß nur keiner, unter welchen Bedingungen wir arbeiten, wieviel Personal hier fehlt und wie wir Überstunden klopfen müssen.“ Er berichtet, dass „bei uns jeden Tag zehn bis zwanzig Leute fehlen. Weil andere dafür übernehmen müssen, kommen jede Menge Überstunden zusammen.“

Ein anderer S-Bahner meint sarkastisch: „Die schaffen es auch ohne Streik, dass alle Räder stillstehen.“ Damit spielt er auf einen Weichenschaden am selben Tag in Frankfurt an, der schon seit dem Morgen zwei S-Bahnlinien komplett stilllegte. Dann bricht es aus ihm heraus: „Das geht alles auf die Privatisierung seit 1994 zurück. Die Schienenmeisterei ist schon seit Jahren ausgelagert, Gleisbau, Instandhaltung, überall arbeiten sie mit wenig Personal so billig wie möglich. Da muss man sich nicht wundern, wenn es irgendwann nicht mehr weitergeht.“

Niklas

Niklas arbeitet in einem kleinen Privatunternehmen, „wo wir nicht einmal von Personalvertretung träumen können“. Zu seiner Meinung zum Lokführerstreik befragt, sagt er: „Ich habe mir sogar die Mühe gemacht, die Stellungnahmen beider Seiten anzusehen, und ich muss sagen, das gibt wenig her.“ Bei der Bahn habe er „nur Propaganda pur in eigener Sache“ gefunden. Aber auch die GDL sollte mehr über die konkrete Situation der Lokführer berichten. „Wer erfährt, dass jemand mit einer Verantwortung für viele hunderte Passagiere so wenig verdient wie die deutschen Lokführer, der kann die Bedeutung des Streiks doch besser verstehen.“

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