Französisch-deutscher Reformplan sieht tiefe Sozialkürzungen und Nullrunden in Frankreich vor

Die Regierungen Deutschlands und Frankreichs werden heute in Paris einen gemeinsamen Plan für Wirtschaftsreformen, die sogenannte "Roadmap" vorstellen. Der Spiegel berichtete am Sonntag über wichtige Maßnahmen des Planes der beiden größten Wirtschaften der Eurozone.

Laut Spiegel wird Frankreich seinen Arbeitsmarkt durch Reformen in vielen Sektoren flexibler machen, unter anderem durch eine weitere Korrektur am Gesetz über die 35-Stunden-Woche, und drei Jahre lang keine Lohnerhöhungen durchführen, um die Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen. Deutschland wird dafür die Ausgaben für Infrastruktur bis 2018 um zwanzig Milliarden Euro erhöhen, seine Einwanderungsgesetze ändern und Frauen ermutigen eine Arbeit aufzunehmen.

Der Plan wird zwar als Mittel zur Stimulierung der schwächelnden europäischen Wirtschaft dargestellt, in Wirklichkeit planen Paris und Berlin jedoch weitgehende Angriffe auf die sozialen Rechte der Arbeiter, die die Rezession und die steigende Arbeitslosigkeit in der Eurozone weiter verschlimmern werden.

Der Spiegel äußerte sich zwar nicht im Detail über den Plan, allerdings bedeutet er eine Beschleunigung der reaktionären Politik der bürgerlichen "linken" französischen Regierung der Sozialistischen Partei (PS), die alle sozialen Zugeständnisse abschaffen will, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges an die Arbeiterklasse gemacht wurden. Nachdem die PS eine Nullrunde für die fünf Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst durchgesetzt hat, forciert sie ihre Maßnahmen durch eine beispiellose Kombination aus Provokationen und Brutalität, wobei sie für die öffentliche Meinung nur Verachtung übrig hat.

Der Wirtschaftsbericht wurde von Henrik Enderlein entworfen, dem Chef des Delors-Instituts in Berlin, und von Jean Pisani-Ferry, dem Chef des Regierungsinstituts France Strategy und Wirtschaftsstrategen des französischen Premierministers Manuel Valls. Sie werden der Regierung den Bericht am heutigen Donnerstag vorlegen. Anfang nächsten Monats werden der französische Wirtschaftsminister Emmanuel Macron und sein deutscher Amtskollege Sigmar Gabriel die konkreten Maßnahmen des Plans ausführen.

Vor der Ankündigung der Maßnahmen hatte sich die EU bereit erklärt, Frankreichs Haushalt für 2015 zu genehmigen, darunter die einundzwanzig Milliarden Euro Kürzung der öffentlichen Ausgaben, im Gegenzug hatte sie gefordert, dass sich Paris mit der Umsetzung von Kürzungen der Sozialausgaben beeilt, um wirtschaftsfreundliche "Strukturreformen" durchzusetzen.

Bevor der französische Präsident Francois Hollande im September den Haushalt für 2015 präsentierte, hatte er den Finanzmärkten und der EU zugesichert, dass seine Regierung die verhassten Sparmaßnahmen fortsetzen würde. "Die Einsparungen sind unweigerlich schmerzhaft. Wir müssen Einsparungen durchführen. Was wir 2015 tun werden, wird notwendigerweise Folgen haben," erklärte Hollande.

Letzten Monat hatte die Regierung Pläne angekündigt, den "Universalitätsanspruch" auf Familien- und Gesundheitsleistungen abzuschaffen, sowie massive Kürzungen der kommunalen Regierungsausgaben. Valls schlug außerdem vor, die traditionellen langfristigen Arbeitsverträge abzuschaffen, von denen er behauptet, sie würden die Arbeiter "zu sehr schützen."

Die französisch-deutsche "Roadmap" ist eine Reaktion auf die Forderungen des Großkapitals nach tiefen Einschnitten bei den Sozialausgaben, drastischen Arbeitsmarktreformen zur Flexibilisierung der Arbeitsverträge und der Senkung des Mindestlohnes.

Im September hatte der Chef des Arbeitgeberverbandes Medef, Pierre Gattaz zynisch vorgeschlagen, durch eine wirtschaftsfreundliche "Schocktherapie" in fünf Jahren eine Million Arbeitsplätze zu schaffen. Gattaz forderte die Regierung auf, die 35-Stunden-Woche abzuschaffen, dazu zwei der elf staatlichen Feiertage, das Renteneintrittsalter zu erhöhen und den Mindestlohn zu senken. Er forderte außerdem die Lockerung arbeitsrechtlicher Bestimmungen und eine Reform des Systems der Arbeitslosenunterstützung.

Gattaz erklärte: "Angesichts der sozialen und wirtschaftlichen Lage im Land und der Periode und der Gefahren, mit der wir konfrontiert sind, ist die Zeit des Zögerns und der halben Sachen vorbei." Er erklärte rundheraus, die Entwicklung der französischen Wirtschaft seit der Befreiung von der Besetzung durch Deutschland und der faschistischen Vichy-Regierung stecke völlig in der Sackgasse: "Unser Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell, das wir von der Befreiung und den dreißig goldenen Jahren [dem Wirtschaftsboom 1945-1975] geerbt haben, ist tot."

Gemäß der steuerlichen Hilfen für Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung und ihrem Pakt für Verantwortung hat die PS-Regierung der Wirtschaft 41 Milliarden Euro zugesteckt. Allerdings fordert die Wirtschaft Nullrunden, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Die PS hat sich auch dieses auf die Fahnen geschrieben. "Im Dienstleistungsbereich ist Mäßigung beim Lohn notwendig," hieß es in einem Bericht des staatlichen France Strategy Institute.

Le Monde gab zu, dass die französisch-deutsche "Roadmap" keine Rechtsgrundlage hat. Die Zeitung schrieb: "Was die Nullrunde angeht, so wirft der Vorschlag die Frage der Lohnmäßigung und der Senkung der Betriebskosten auf, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Er ist zudem schwer durchzusetzen, da schwer zu erkennen ist, wie in der Privatwirtschaft ein Einfrieren der Löhne dekretiert werden kann".

Obwohl französische Regierungsvertreter den Bericht des Spiegel herunterspielten, genießt er innerhalb der herrschenden Klasse und dem politischen Establishment große Unterstützung. Laut einem Sprecher des Wirtschaftsministeriums handelt es "nicht um Vorschläge... sondern um einen Bericht von zwei Ökonomen, [der] nicht abgeschlossen ist, sodass wir ihn noch nicht kommentieren können." Allerdings erklärte er, der Bericht liefere "die Grundlage für weitere Arbeit an Strukturreformen und Investitionen."

Jean Pisani-Ferry erklärte, der Spiegel habe keinen Zugang zu dem Bericht gehabt und die Elemente, die er veröffentlicht, reflektierten nicht seinen Inhalt.

Die Hauptverantwortung für die Vorbereitung und Umsetzung dieser Angriffe liegt bei den pseudolinken Verbündeten der PS und der Gewerkschaftsbürokratie. Die französischen Gewerkschaften, die zusammen mit Unternehmergruppen am France Strategy-Institute unter Führung von Pisani-Ferry beteiligt waren, äußerten sich nicht zu dem Bericht und zeigten damit ihre Unterstützung. Sie haben die früheren reaktionären Maßnahmen der PS unterstützt und arbeiten mit Unternehmergruppen und PS-Funktionären zusammen, um weitere Angriffe auf die Arbeiter vorzubereiten.

Diese historischen Angriffe zu Gunsten der Finanzaristokratie zeigen den völlig reaktionären Charakter der PS, ihrer pseudolinken Verbündeten wie der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA und der stalinistischen Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF), die Hollandes Wahl unterstützt hatten. Sie hatten zwar begrenzte und hohle taktische Kritik an der diskreditierten Politik der PS geübt, allerdings ging es ihnen vor allem darum, den Widerstand der Arbeiterklasse zu blockieren.

Aufgrund der langjährigen Unterstützung der Pseudolinken für die PS profitiert derzeit die neofaschistische Front National am meisten von Hollandes reaktionärer Politik. Sie entwickelt sich zur wichtigsten politischen Kraft, die die PS für ihre Sparmaßnahmen kritisiert.

Die KPF bezeichnete den Bericht scheinheilig als "schweren wirtschaftlichen Fehler, eine soziale Provokation, der die Wut und die Verzweiflung, die Rechten und die FN stärken könnte." Die KPF kennt die Details des Berichtes zweifellos gut und hat durch ihre Kontakte zu Gewerkschaftsfunktionären auch dabei geholfen, sie im France Strategy Institute auszuarbeiten.

Die weitreichenden sozialen Angriffe der PS werden so verheerende soziale Auswirkungen haben wie die strengen Sparmaßnahmen in Griechenland, die die sozialdemokratische Regierung von Giorgos Papandreou durchgesetzt hat.

Große Teile der griechischen Arbeiterklasse wurden in Armut gestürzt. Am 24. November veröffentlichte die International Labour Organization (ILO) einen Bericht, in dem sie warnte, Griechenland drohe eine lange soziale Krise, wenn nicht schnellstmöglich Maßnahmen dagegen ergriffen würden. Sie kam zu dem Ergebnis, dass über 70 Prozent der fast 1,3 Millionen Arbeitslosen im Land seit mehr als einem Jahr arbeitslos sind. Seit Beginn der Wirtschaftskrise im Jahr 2008 gingen ein Viertel aller Arbeitsplätze verloren.

Zeitgleich hat sich laut des Berichts die Zahl der von Armut gefährdeten Griechen in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt, von knapp über zwanzig Prozent im Jahr 2008 auf über 44 Prozent im Jahr 2013.

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