Gesetzentwurf zum „jüdischen Nationalstaat“

Israels Premier Netanjahu schafft Apartheid-Verfassung

Der Beschluss des Kabinetts von Premierminister Benjamin Netanjahu, der Knesset Anfang Dezember einen Gesetzentwurf für einen jüdischen Nationalstaat vorzulegen, hat zu einer scharfen politischen Krise geführt.

Der Gesetzentwurf soll Israel im Grundgesetz ausdrücklich als jüdischen Staat definieren. Während die Bürgerrechte theoretisch „entsprechend dem Gesetz“ immer noch allen Bürgern gewährt werden sollen, werden kommunale oder nationale Rechte nur noch jüdischen Israelis zustehen. Es bedeutet das faktische Ende der demokratischen Verfassung des Staates und der Gleichheit aller Bürger. Nichtjuden – das sind alles in allem anderthalb Millionen oder fast zwanzig Prozent der 8,2 Millionen Einwohner Israels – werden dadurch zu Bürgern zweiter Klasse degradiert. Betroffen sind die Palästinenser, Drusen, Beduinen und die 300.000 russischen Einwanderer, die nach Rabbiner-Recht keine Juden sind.

Der Gesetzentwurf fordert die Justiz auf, jüdisches Recht, d.h. Rabbiner-Recht, „als Quelle der Inspiration“ zu nehmen, und schreibt die Nationalhymne, jüdische Feiertage und das Recht jedes Juden, nach Israel einzuwandern, im Grundgesetz fest.

Der zionistische Staat ist jetzt dabei, verfassungsmäßige Vorbereitungen für ein Apartheidsystem zu schaffen, das die Vorherrschaft der Juden zu einer Zeit festschreibt, in der Israel, Ostjerusalem, die Westbank und die syrischen Golanhöhen zusammengenommen schon bald eine palästinensische Mehrheit haben werden. Diese Initiative folgt zwingend aus der Gründung des zionistischen Staates als „Heimstatt“ der Juden mittels der Enteignung und Vertreibung der Palästinenser und der expansionistischen Politik des israelischen Staates.

Netanjahu behauptete, das neue Gesetz sei notwendig, weil “viele das Konzept von Israel als Heimstatt der Juden in Frage stellen. Die Palästinenser weigern sich, das zu akzeptieren, aber es gibt auch Opposition aus den eigenen Reihen.“ Während, wie er sagte, alle gleiche Bürgerrechte haben sollten, werde es „nationale Rechte nur für die Juden geben: Eine Nationalflagge, Nationalhymne, das Recht jedes Juden nach Israel einzuwandern und andere nationale Symbole“.

Die Pläne bevorzugen auch das jüdische Erbe und die jüdische Geschichte. Es heißt: „Der Staat wird sich bemühen, das Erbe und die kulturellen und historischen Traditionen des jüdischen Volkes zu bewahren und sie in Israel und in der Diaspora lebendig zu halten.“

Das Kabinett stimmte mit einer Mehrheit von vierzehn zu sechs zu, mehrere Initiativanträge von Abgeordneten in der Knesset zu unterstützen, solange die endgültige Version des Gesetzes Netanjahus vierzehn Bedingungen erfülle. Diese sind um ein Geringes weniger extrem als die anderen Entwürfe. Jene Entwürfe stufen die arabische Sprache als offizielle Amtssprache noch weiter als bisher herab und enthalten Regelungen für den Bau neuer jüdischer Wohnviertel, ohne ähnliche Maßnahmen für palästinensische Israelis vorzusehen.

Die Pläne führten im Kabinett zu einer wüsten Debatte. Sie wurde so laut, dass sie noch vor dem Kabinettssaal zu hören war. Aber kein Minister, auch nicht Justizministerin Tzipi Livni von der Partei Tenua und Finanzminister Yair Lapid von der Partei Yesh Yatid, wandten sich aus grundsätzlichen Erwägungen gegen die Gesetzentwürfe. Lapid bezeichnete die geplanten Änderungen als ein „schlechtes Gesetz, das schlecht formuliert ist“.

Ihre Hauptsorge ist eine Übereinkunft, auf deren Grundlage sie in der Knesset gegen das Gesetz stimmen, gleichzeitig aber in Netanjahus Regierung bleiben können.

Generalstaatsanwalt Jehuda Weinstein behauptete, Netanjahus Vorschlag bewahre das Prinzip der Gleichheit. Aber er lehnte den Entwurf dennoch ab, weil er ein Verfassungszusatz sei, der von der Regierung eingebracht werden müsse, und nicht von einzelnen Abgeordneten.

Sowohl in Israel als auch in den besetzten Gebieten verurteilten Palästinenser den Entwurf als rassistisch. In der Tat setzt er den ganzen diskriminierenden Gesetzen, die über das letzte Jahrzehnt beschlossen wurden, die Krone auf.

Die Regierung hat soeben die Maßnahme der Häuserzerstörung als kollektive Bestrafung wiederaufleben lassen. Sie will palästinensischen Angreifern das Wohnrecht im besetzten Ostjerusalem insgesamt verweigern. Netanjahu sagte: „Es kann nicht sein, dass jene, die Israel schaden wollen, die zur Zerstörung des Staates Israel aufrufen, noch Sozialleistungen von Israel beziehen.“

Andere lehnen den Gesetzentwurf ab, weil sie befürchten, er werde Israel international noch weiter isolieren. Der Führer der Arbeitspartei, Isaac Herzog, nannte ihn „eine unnötige, reaktionäre Provokation“. Israels Staatspräsident Reuven Rivlin, ein Rechter und Mitglied von Netanjahus Likud Partei, argumentiert, der Entwurf sei unnötig und liefere Israels internationalen Kritikern nur Munition.

Sie formulierten ihre Opposition erst, nachdem in den Vereinigten Staaten kritische Stimmen laut geworden waren. Am Montag sagte ein Sprecher des amerikanischen Außenministeriums, dieses erwarte von Israel, “dass es weiterhin demokratischen Prinzipien folgt“. Er fuhr fort: „Die Position der Vereinigten Staaten ist seit Jahren klar und unverändert, und der Präsident und der Außenminister haben das auch wieder bestätigt: Israel ist ein jüdischer und demokratischer Staat, in dem alle Bürger gleiche Rechte genießen.“

Der Entwurf bereitet der Washingtoner Regierung deshalb Sorge, weil er sichtbar macht, dass Israel den verfassungsmäßigen und juristischen Rahmen für einen Apartheidstaat zum großen Teil schon längst geschaffen hat. Schon die Sicherheitsmauer zwischen der besetzten Westbank und Israel sorgt für eine physische Trennung der beiden Bevölkerungsteile. Area C auf der Westbank, das bei weitem größte Gebiet, in dem es israelische Siedlungen gibt, wird systematisch militärisch überwacht. Die neuen Regelungen würden die Diskriminierung der palästinensischen Bevölkerung in Israel selbst noch deutlich verschärfen.

Außerdem schließt der Entwurf eine Vereinbarung mit dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, endgültig aus, denn die Anerkennung Israels als explizit jüdischen Staat geht für ihn einen Schritt zu weit. Ein Palästinenserstaat auf der Grundlage dieser Definition Israels wäre endgültig als das entlarvt, was er schon immer war: ein mit einem südafrikanischen Bantustan vergleichbares Gebilde.

Die angebliche Übereinkunft über einen palästinensischen Ministaat irgendwann in der Zukunft ist das notwendige Feigenblatt für die Unterstützung der arabischen Führer für die räuberischen amerikanischen Kriege in der Region um die Kontrolle der reichen Energievorkommen. Der Gesetzentwurf über einen jüdischen Nationalstaat droht nicht nur einen Aufstand in Israel/Palästina zu entfesseln, dessen Bedingungen schon weit entwickelt sind, sondern auch eine internationale Protestbewegung, die Washingtons Kriegsplänen für den Irak und Syrien in die Quere kommen.

Die amerikanische Intervention hat schon zu einer Verzögerung der Ratifizierung des Gesetzentwurfs geführt. Beide rechte Koalitionspartner Netanjahus, Unser Haus Israel und die Jüdische Heimatpartei, fordern eine Verschiebung der Abstimmung in der Knesset.

Trotzdem gibt der Entwurf den Ultranationalisten vor dem Hintergrund erhöhter Spannungen in Ostjerusalem und auf der Westbank praktisch grünes Licht für weitere Provokationen. Religiöse Eiferer versuchen verstärkten Zugang zur Al Aksa Moschee zu erzwingen. Prominente israelische Politiker führen unter dem Schutz bewaffneter Wachen Märsche durch, die an den Besuch von Ariel Scharon auf dem Tempelberg erinnern, der im Oktober 2000 die zweite Intifada auslöste. Die Sicherheitsbehörden prüfen, ob sie die palästinensischen Wachen auf dem Gelände verbieten können, die Juden den Zugang verwehren sollen. Das Gelände untersteht seit dem Vertrag Israels mit Jordanien von 1994 der Kontrolle Jordaniens.

Für Natanjahu ist der Gesetzentwurf vor allem ein Mittel, sich die Unterstützung der vehementesten nationalistischen Schichten weiter zu sichern. Seine wackelige Koalition, die an allen Fronten von wirtschaftlichen und politischen Krisen bedrängt ist, steht kurz vor dem Zusammenbruch. Sie könnten nächstes Jahr, nach nur zwei Jahren Amtszeit der Regierung, zu Neuwahlen führen. Netanjahu steht an der Spitze einer isolierten und demoralisierten herrschenden Klasse, die den Kopf verloren hat und keine Antwort auf ihre Krise findet, außer noch brutalerer Herrschaftsformen und Krieg.

Die Behauptung, der zionistische Staat vertrete alle Menschen jüdischen Glaubens, ist nationalistische Propaganda. Israel ist eine kapitalistische Gesellschaft, die von Klassengegensätzen zerrissen wird und von starken sozialen Gegensätzen geprägt ist. Sie steht im Dienste einer Handvoll Milliardären und ihren korrupten politischen Vertretern. Der Übergang zu Herrschaftsmethoden, die an das Apartheid-Südafrika und an Nazi-Deutschland erinnern, wird die Abscheu und Feindschaft gegen den Zionismus im ganzen Nahen Osten und weltweit, ebenso wie unter jüdischen Arbeitern und Jugendlichen in Israel selbst, nur noch verstärken.

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