Perspektive

Ölpreisverfall erschüttert Weltwirtschaft

Die Schockwellen, die am Donnerstag die Entscheidung des Ölkartells OPEC ausgelöst hatte, die Produktion nicht zu drosseln, haben die globale Wirtschaft in Mitleidenschaft gezogen. Betroffen sind neben Energie- und Bergbauunternehmen auch Finanzmärkte; ganzen Wirtschaften droht der Bankrott. Das von den Saudis angeführte Kartell reagierte auf das Überangebot auf den Weltmärkten.

Die unmittelbarste Folge dieser Entscheidung wurde am Montag in Russland sichtbar, wo der Rubel auf einen Rekordtiefstand gegenüber dem Dollar herabsank, der seit der Währungsreform 1998 nicht mehr erreicht wurde. Diese fand nach Russlands Zahlungsunfähigkeit statt, welche der Finanzkrise in Asien 1997/98 gefolgt war.

Die russische Wirtschaft, deren Exporteinkommen zu 60 Prozent und deren Haushaltseinnahmen zu 50 Prozent vom Öl abhängen, wurde von dem 40-prozentigen Ölpreissturz schwer getroffen, der seit Juni andauert. Die Sanktionen der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union, mit denen Russlands Zugang zu den globalen Finanzmärkten eingeschränkt wurde und die zu einem Wegfall von Investitionszuflüssen führten, verschärften noch den Rückgang der Öleinnahmen.

Der Ölpreis ist von etwa 100 Dollar pro Barrel, wo er vor nur fünf Monaten stand, auf unter 70 Dollar gefallen und ein weiterer Sturz wird erwartet. Am Montag sagte die stellvertretende Vorsitzende der russischen Zentralbank, Xenija Judajewa, die Bank gehe bei ihrer Arbeit von der Annahme aus, dass der Ölpreis auf 60 Dollar absinken werde. Doch niemand weiß, ob der Sturz dort stoppen wird.

Unter den weiteren am direktesten betroffenen Ländern sind Venezuela, der Iran und Nigeria, die alle in hohem Maße auf Öleinnahmen angewiesen sind, um ihre staatlichen Programme fortzuführen.

Ein weiterer Ausdruck der weltweiten Auswirkungen der Entscheidung der OPEC ist die Tatsache, dass gestern über 30 Milliarden Dollar im australischen Aktienmarkt vernichtet wurden, da Bergbau- und Energieaktien fielen. Der Gigant BHP Billiton, ein globales Bergbauunternehmen, erlebte seine tiefsten Aktienpreise sei fünf Jahren.

Obwohl der Auslöser für den Sturz die saudische Entscheidung war, weist der Ölpreisverfall auf einen tiefergehenden Prozess hin. Das Jahr 2014 markiert das Ende verschiedener stimulierender Maßnahmen, die die Aktienpreise in die Höhe trieben, vor allen Dingen das Programm der „Quantitativen Lockerung“, das von der amerikanischen Fed und anderen großen Zentralbanken aufgelegt wurde.

In der zugrundeliegenden Realökonomie ist indessen fortgesetzte wirtschaftliche Stagnation und pure Rezession die vorherrschende Tendenz. Die Bewegung der Finanzmärkte gleicht gegenüber der Realökonomie dem Öffnen zweier gigantischer Scherenklingen, um eine Analogie zu gebrauchen, die Leo Trotzki einmal verwendete.

Ungefähr sechs Jahre nach dem Ausbruch der globalen Finanzkrise im Jahr 2008 hat die Eurozone nicht einmal das Niveau der Wirtschaftsleistung von 2007 wieder erreicht und die Investitionen liegen um 25 Prozent niedriger, während die Inflationsrate weiterhin sinkt.

Trotz der massiven Finanzanreize, die die sogenannten Abenomics der japanischen Wirtschaft zugeführt haben, ist diese in eine weitere Rezession gefallen. Dies ist ihre vierte in den letzten sechs Jahren. Inzwischen nehmen Zweifel zu, dass der Staat in der Lage ist, die öffentliche Verschuldung auszugleichen, die momentan auf über 250 Prozent des Bruttoinlandprodukts geschätzt wird. Am Montag stufte die Ratingagentur Moody’s Japans Kreditrating herab. Die drittgrößte Wirtschaft der Welt steht auf der Liste jetzt unter China und Nordkorea, auf einer Stufe mit Bermuda, dem Oman und Estland.

In den letzten sechs Jahren wurde die Weltwirtschaft stark vom fortgesetzten Wachstum Chinas gestützt, das größtenteils das Ergebnis von Konjunkturprogrammen der chinesischen Regierung und der enormen Ausweitung der Kreditmenge war, die in ihrer Höhe als gleichbedeutend mit dem Umfang des gesamten amerikanischen Bankensystems geschätzt werden. Doch es wurde dieses Jahr zunehmend deutlicher, dass die chinesische Wirtschaft von einem deflationären Wirbel erfasst worden ist. Die sogenannten „Erzeugerpreise“, die den Wert der Waren bezeichnen, wenn diese die Fabriktore verlassen, fallen seit drei Jahren. Die Immobilienpreise fielen beachtlich, seitdem der Immobilienboom endete.

In dieser Woche veröffentlichten Wissenschaftler einen offiziellen Regierungsbericht, der Zahlen zu verschwenderischen Ausgaben nannte. Laut dem Bericht wurden seit 2009 etwa 6,8 Billionen Dollar für „ineffektive Investitionen“ ausgegeben, darunter für unnötige Stahlwerke, Geisterstädte und leeren Stadien, außerdem für staatliche Bemühungen, China von den Auswirkungen der globalen Finanzkrise zu isolieren.

Obgleich die amerikanischen Finanzmärkte bislang bloß marginal von dem Schritt der OPEC berührt scheinen, wird der fallende Ölpreis weitreichende langfristige Konsequenzen haben. Einer der motivierenden Faktoren der saudischen Entscheidung scheint ihre Entscheidung zu sein, die relativ kostenintensiven amerikanischen Schieferölproduzenten vom Markt zu drängen, indem die Preise nach unten getrieben werden. Dies ist eine Nachahmung der Strategie, die auf dem Eisenerzmarkt Anwendung findet, wo sich ein ähnlicher Preissturz ereignete wie in diesem Jahr beim Öl. Großproduzenten, insbesondere BHP Billiton und Rio Tinto, reagierten mit einer Ausweitung (und nicht Einschränkung) der Produktion, um ihre kostenintensiveren Konkurrenten an die Wand zu drücken.

Der fortgesetzte Fall des Ölpreises wird gewichtige Auswirkungen auf die Schrottpapier- und Fremdfinanzierungskreditmärkte (Leveraged-Loan-Märkte) in den Vereinigten Staaten haben. Als der Ölpreis 2011 auf etwa 100 Dollar pro Barrel gestiegen war, wurde die Schieferölproduktion profitabel, selbst bei Förderkosten von 60 bis 70 Dollar pro Barrel. Noch zu Jahresbeginn erwartete man, dass die Ölpreise bei 100 Dollar pro Barrel verharren würden und Schieferöl wurde zunehmend als neue Perspektive für die amerikanische Wirtschaftsexpansion wahrgenommen.

In den letzten fünf Jahren haben Banken und Finanzspekulanten ultrabilliges Geld, das die Fed zur Verfügung stellte, in Unternehmen gelenkt, die am Abbau des Schieferöls beteiligt sind. Im Ergebnis machen die Energieschulden jetzt 16 Prozent des amerikanischen Schrottpapiermarktes aus, der sich auf 1,3 Billionen Dollar beläuft. Vor einem Jahrzehnt waren es vier Prozent.

Anders als bei den traditionelleren Methoden der Ölproduktion, wo physisches Sachkapital ein relativ langes Leben führt, erfordert der Schieferölabbau fortgesetzte Zurverfügungstellung neuer Investitionsgüter. Das heißt, dass die Industrie stark von Finanzzuflüssen aus den Finanzmärkten abhängig ist. Beginnen diese zu versiegen, dann stehen Unternehmen vor dem Bankrott und das Finanzsystem als Ganzes steht vor schwerwiegenden weitergehenden Konsequenzen.

Wie der Fall Russlands klar verdeutlicht, hat die Verschärfung der geopolitischen Spannungen die grundlegenden Rezessionstendenzen weiter gesteigert.

Nun könnte ein negativer Rückkoppelungseffekt einsetzen, da die sich verstetigende Weltkrise Konflikte zwischen den Großmächten befördert. Korea und andere Länder der südostasiatischen Region sowie China wurden bereits von den Abenomics, die zu einer Abwertung des Yen führten und die Exportmärkte dieser Länder trafen, in Mitleidenschaft gezogen.

Dieses Jahr traten ebenso Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland zutage. Deutschlands politisches und außenpolitisches Establishment betonte, das Land müsse eine größere und unabhängigere Rolle auf der Weltbühne übernehmen, um die eigenen Interessen zu verfolgen. Da die Wirtschaft der Eurozone nicht zuletzt wegen einer signifikanten Schwächung der deutschen Wirtschaft kurz vor einer weiteren Rezession steht –und weitere Finanzturbulenzen zu erwarten sind, ist es gewiss, dass diese Spannungen sich vertiefen werden.

Der Ölpreisverfall ist ein weiterer Ausdruck der grundlegenden Triebkräfte des kapitalistischen Weltsystems, die auf einen Wirtschaftsrückgang hinsteuern, der von interimperialistischen Konflikten begleitet wird und schließlich in den Krieg führt.

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