Europäische Union verschärft trotz Rubel-Krise Sanktionen gegen Russland

Obwohl innerhalb der Europäischen Union zunehmend Spaltungen über die Auswirkungen des Zusammenbruchs der russischen Währung bestehen, wurde auf dem zweitägigen EU-Gipfel in Brüssel beschlossen, Europas Konfrontation mit Russland zu verschärfen und neue Sanktionen zu beschließen, um Unternehmen daran zu hindern, auf der Krim aktiv zu sein.

US-Präsident Obama unterzeichnete am Donnerstag, an dem der EU-Gipfel begann, ein neues Gesetz, das es Washington erlaubt, eine ganze Reihe weiterer Strafsanktionen gegen Russland zu verhängen. Die Folgen der bereits umgesetzten Sanktionen, durch die die russische Wirtschaft vom internationalen Kreditmarkt abgeschnitten wurde, waren verheerend. Die russische Währung hat in diesem Jahr fast die Hälfte ihres Wertes gegenüber dem US-Dollar verloren, laut Ökonomen könnte die russische Wirtschaft im nächsten Jahr um bis zu fünf Prozent schrumpfen.

Innerhalb der europäischen Bourgeoisie breiten sich Befürchtungen wegen der Folgen eines Zusammenbruchs des russischen Staates aus, der zu wirtschaftlichen Zusammenbrüchen in Europa und Krieg führen könnte. Die Wiener Zeitung schrieb: "Doch die wirtschaftlichen Turbulenzen in Russland geben der EU Anlass zu Sorge. Die Spitzenpolitiker stellen sich daher schon die Frage, ob von einem zusammengebrochenen Staat nicht noch größere Gefahr ausgeht. Schon seit einiger Zeit drängen einige Länder – unter anderen Italien – darauf, die Sanktionen zu lockern.“

Doch trotz der potenziell katastrophalen Folgen wurde auf dem EU-Gipfel beschlossen, sich auf die Seite der USA und ihrer Wirtschaftskriegspolitik zum Regimewechsel in Russland zu stellen, wenn sich der Kreml nicht der Hegemonie der USA und der Nato über Eurasien unterwirft. Die vorherrschenden Kräfte auf dem Gipfel forderten, die Sanktionen beizubehalten, bis Moskau jeglichen Widerstand gegen das rechtsextreme, prowestliche Regime in Kiew aufgegeben hat.

Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte, die Sanktionen, die nach dem von der Nato unterstützten Putsch in Kiew im Februar eingeführt wurden, müssten beibehalten werden. Sie betonte: "Sanktionen sind aus bestimmten Gründen erlassen worden, und sie können nur aufgehoben werden, wenn diese Gründe wegfallen."

Am Tag zuvor hatte sie sich im Bundestag ähnlich geäußert. Obwohl die Verbrechen der regierungstreuen faschistischen Milizen in der Ostukraine gut dokumentiert sind, betonte Merkel, den regierungstreuen Truppen müsse "es ermöglicht werden, eigene Hilfslieferungen ungefährdet auch in die von den Separatisten kontrollierten Gebiete im Osten des Landes zu bringen." Sie fügte hinzu, bis Russland mit der EU in dieser Frage zusammenarbeitet, seien Sanktionen "unvermeidlich."

Auch der britische Premierminister David Cameron drängte auf dem Gipfel auf eine harte Haltung. Er erklärte, wenn der Kreml "die russischen Truppen aus der Ukraine abzieht und sich an alle Vorgaben des Minsker Abkommens hält [des Waffenstillstands zwischen Kiew und den ostukrainischen Separatisten], können die Sanktionen aufgehoben werden."

Der EU-Präsident und ehemalige polnische Premier Donald Tusk erklärte: "Wir müssen mehr tun als reaktiv und defensiv zu sein. Wir als Europäer müssen unser Selbstvertrauen zurückgewinnen und uns unserer Stärke bewusst werden." Er bezeichnete Russland als "strategisches Problem" für Europa.

Tusk wies auf die wachsenden Spaltungen innerhalb Europas wegen der Konfrontation der Nato-Mächte mit Russland hin, die Frankreich und Italien auf dem Gipfel öffentlich kritisiert hatten. Er erklärte: "Es ist offensichtlich, dass wir keine langfristige Perspektive für die Ukraine finden werden, wenn wir keine angemessene, konsistente und gemeinsame europäische Strategie gegenüber Russland haben... Heute sind wir vielleicht nicht allzu optimistisch. Aber wir müssen nicht optimistisch, sondern realistisch sein."

Der französische Präsident Francois Hollande, der am 6. Dezember zu Gesprächen nach Moskau gereist war, erklärte, ein Abkommen mit Russland sei möglich und rief die EU dazu auf, die Lage zu beruhigen. "Ich glaube, wenn Russland tut, was wir von ihm erwarten, wird es heute keinen Grund für weitere Sanktionen geben... Es wird das Beste sein, zu untersuchen, wie wir auch mit einer Deeskalation beginnen können," erklärte er.

Italiens Premierminister Matteo Renzi erklärte, seine Haltung sei "ein klares Nein zu neuen Sanktionen."

Auch in der Bundesregierung zeigten sich am Freitag Spaltungen. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier kritisierte in einem Spiegel-Interview die Politik des finanziellen Würgegriffs um Russland. In dem Magazin hieß es: "Wer Russland wirtschaftlich in die Knie zwingen wolle, irre gewaltig, wenn er glaube, dass das zu mehr Sicherheit in Europa führen würde. "Ich kann davor nur warnen", sagte Steinmeier. Zugleich sprach er sich klar gegen eine Verschärfung der Sanktionen aus. "Deshalb bin ich gegen ein weiteres Drehen an der Sanktionsschraube", sagte der Außenminister."

Die Entscheidung der EU, dennoch die wirtschaftliche Schlinge um Russland zusammenzuziehen, zeigt den historischen Bankrott des europäischen Kapitalismus und die Verzweiflung und Rücksichtslosigkeit der herrschende Eliten. Vor einem Jahr begannen sie angesichts eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs und wachsendem Widerstand der Arbeiterklasse gegen ihre Sparpolitik eine Konfrontation mit Russland um die Ukraine. Jetzt steht Europa und die Welt wegen dieses Abenteuers am Rande einer noch größeren finanziellen und militärischen Konfrontation.

Aufgrund der explosiven Stimmung in der Arbeiterklasse wurde der EU-Gipfel am Freitagmorgen abgebrochen, die Teilnehmer mussten vor den sozialen Protesten gegen den Sparkurs in Brüssel fliehen.

Vier Tage nach dem letzten eintägigen Generalstreik in Belgien kam es in wieder zu Konfrontationen zwischen der Polizei und Bauern und Arbeitern aus der Landwirtschaft, die den Weg in die Brüsseler Innenstadt mit Traktoren versperrten. In der belgischen Bevölkerung wächst die Wut auf die Regierung wegen deren Sozialkürzungen und den Sympathiebekundungen hoher Funktionäre für das Kollaborationsregime im Zweiten Weltkrieg.

Die soziale und wirtschaftliche Krise wird sich noch verschärfen, wenn die Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland in der europäischen- und der Weltwirtschaft heftiger werden.

Volker Treier von der deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) prognostizierte in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung, dass die deutschen Exporte nach Russland im Jahr 2014 aufgrund des "dramatischen Rückgangs der Kaufkraft" in Russland um zwanzig Prozent zurückgehen könnten. Treier wies darauf hin, dass die Rubel-Krise kurzfristig den Konsum erhöhen könnte, da die Russen versuchen würden, Waren zu kaufen, bevor der Rubel noch weiter an Wert verliert, aber dies werde nur begrenzte und kurzfristige Auswirkungen haben.

Der Rückgang der Exporte wird zu weiteren Angriffen auf die deutschen Arbeiter führen. Treier erklärte, in deutschen Autofabriken sei bereits seit mehreren Wochen Kurzarbeit eingeführt, oder es würden Arbeiter entlassen.

Frankreich, mit 49 Milliarden Euro Krediten der größte Gläubiger Russlands, ist durch die Rubel-Krise besonders gefährdet. Der französische Ölkonzern Total und der Autobauer Renault machen einen großen Teil ihrer Geschäfte in Russland, und die Bank Société Générale besitzt 99,4 Prozent der Anteile an der Rosbank, Russlands größter privater Bank.

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