Obamas Rede zur Lage der Nation: Betrug und Täuschung

Die World Socialist Web Site veröffentlichte vor zwei Wochen ihre erste Betrachtung der Ergebnisse des Jahres 2014 und der Perspektiven für 2015. Wir schrieben: "Bei einer Beurteilung der Strategie und Politik der herrschenden Eliten der verschiedenen Länder wäre es ein Fehler, ihre Rücksichtslosigkeit zu unterschätzen - ebenso wie es falsch wäre, ihre Intelligenz und Klugheit zu überschätzen."

Die Rede zur Lage der Nation, die US-Präsident Barack Obama am Dienstagabend hielt, bestätigt diese Einschätzung im Fall der USA. Die amerikanische herrschende Elite zeigt sowohl Entschlossenheit, bei der Verteidigung ihres Reichtums und ihrer Privilegien vor nichts halt zu machen, als auch gleichzeitig eine sture Blindheit und Dummheit von kolossalem Ausmaß.

Das auffallendste an Obamas einstündiger Rede voller abgedroschener Klischees und hohler Rhetorik war die schiere Irrealität des Bildes, das er von Amerika zeichnete - es ging völlig an den tatsächlichen Erfahrungen vorbei, die Millionen von Arbeitern machen: eine zunehmende soziale und wirtschaftliche Krise, immer weiter eskalierende Angriffe auf demokratische Rechte und die wachsende Gefahr eines Weltkrieges.

"Der Schatten der Krise ist gewichen," behauptete Obama und erklärte, die USA hätten die Rezession, die auf den Börsenkrach von 2008 und 2009 folgte, erfolgreich hinter sich gelassen. "In diesem Moment sind wir mit einer wachsenden Wirtschaft, einem sinkenden Defizit, einer florierenden Industrie und einer boomenden Energieproduktion aus der Rezession gekommen und sind freier, unsere eigene Zukunft zu formen, als jede andere Nation der Erde."

Wer nicht von den immer weiter steigenden Aktienkursen an der New Yorker Börse hypnotisiert ist, kann das unmöglich als eine ernsthafte Beschreibung der sozialen Realität in Amerika akzeptieren. Bereits ein paar Zahlen, die im Laufe des letzten Monats veröffentlicht wurden, machen das deutlich:

* Offiziell sind neun Millionen Menschen arbeitslos, weitere sechs Millionen sind aus der arbeitsfähigen Bevölkerung ausgeschieden, acht Millionen arbeiten Teilzeit, obwohl sie Vollzeit arbeiten wollen, zwölf Millionen sind über Zeitarbeitsfirmen beschäftigt.

* Die Reallöhne amerikanischer Arbeiter sinken seit 2007 stetig, im Dezember 2014 um weitere fünf Cent pro Stunde. Das reale Einkommen der durchschnittlichen Arbeiterfamilie liegt heute wieder auf dem Niveau von 2000 - das heißt, der Lebensstandard stagniert seit fünfzehn Jahren.

* Die Armutsquote ist von 12,6 Prozent im Jahr 2007 auf 14,5 Prozent im Jahr 2013 gestiegen. Fast die Hälfte aller Amerikaner und mehr als die Hälfte aller amerikanischen Schulkinder gelten als arm oder armutsgefährdet.

* Ein Fünftel aller amerikanischen Kinder hat nicht genug zu Essen, die Ernährungsunsicherheit insgesamt ist von elf Prozent im Jahr 2007 auf sechzehn Prozent im Jahr 2013 gestiegen. Eine Million Amerikaner werden dieses Jahr ihren Anspruch auf Lebensmittelmarken verlieren.

Obama vermied es, diese Zahlen zu erwähnen, und schlug stattdessen eine "Mittelschichtswirtschaft" vor - ein Begriff, der bewusst gewählt wurde, um den andauernden Angriff auf Arbeitsplätze und Lebensstandard der amerikanischen Arbeiter zu verschleiern. Es handelt sich dabei um das neueste Schlagwort, das sich seine Redenschreiber für die Politik der beiden kapitalistischen Parteien, Demokraten wie Republikaner, ausgedacht haben, die die Interessen der amerikanischen Konzerne und Banken gegen ihre ausländischen Rivalen und die eigene Arbeiterklasse fördern soll.

Mit der Aussage "nur einigen wenigen von uns geht es ganz besonders gut“, sprach Obama kurz das monströse Anwachsen von wirtschaftlicher Ungleichheit an, schwieg sich jedoch über den Zusammenhang zwischen dem Anwachsen der Vermögen der Superreichen und seiner eigenen Politik aus. Dass der Reichtum einiger weniger immer größer wird und bei der großen Mehrheit die Armut immer weiter zunimmt, ist kein Zufall. Es ist das Ergebnis einer bewusst betriebenen Politik der Obama-Regierung. Sie hat den Banken Billionen Dollar geschenkt und gleichzeitig einen koordinierten Angriff auf Arbeitsplätze, Lebensstandard und Sozialprogramme organisiert.

Genauso unwirklich war Obamas Darstellung des Zustandes der Demokratie in Amerika. "Als Amerikaner respektieren wir die Menschenwürde, obwohl wir bedroht werden“, erklärte er, "deshalb habe ich Folter verboten und sichergestellt, dass wir uns bei der Anwendung neuer Technologie wie der Drohnen angemessen mäßigen."

Gleichzeitig mit dem formellen Verbot der Folter wurde jedoch lange Zeit der Bericht des Geheimdienstausschusses des Senats über CIA-Folter verzögert. Unterdessen verhinderte Obama selbst jede Anklage gegen die Folterer. Das Weiße Haus ist direkt in illegale Aktivitäten verstrickt, darunter die Bespitzelung des amerikanischen Senats durch die CIA und ihre Versuche, Dokumente zu unterdrücken, die den höchsten Repräsentanten des Staates eindeutige Verstöße gegen nationales und internationales Recht nachweisen.

Was die "Einschränkung" des Einsatzes von Drohnen angeht, so existiert sie nicht. Die Obama-Regierung hat erklärt, der Präsident habe das uneingeschränkte Recht, ohne eine gerichtliche Überprüfung und ohne Rücksicht auf amerikanisches und internationales Recht die Ermordung jeder beliebigen Person auf der Welt durch Drohnenraketen anzuordnen, darunter auch amerikanische Staatsbürger.

Ähnlich äußerte sich Obama über "unsere Geheimdienste," die "hart daran gearbeitet haben.... ihre Transparenz zu erhöhen und Schutzmaßnahmen gegen möglichen Missbrauch einzuführen." Tatsächlich überwachen die NSA, die CIA, das FBI und andere Geheimdienste uneingeschränkt die gesamte Bevölkerung Amerikas und der Welt, indem sie alle elektronischen-, telefonischen- und Internetkommunikationen überwachen und riesige Datenbanken und politische Dossiers anlegen.

In den dreizehn Jahren seit den Anschlägen vom 11. September wurde die terroristische Bedrohung als Vorwand benutzt, um in Amerika das Grundgerüst eines Polizeistaates aufzubauen. Dieser Prozess wird sich angesichts der Entstehung des Islamischen Staates im Irak und in Syrien (Isis) und der Anschläge in Paris am 7. Januar noch weiter verschärfen. Obama erklärte: "Wir werden weiterhin Jagd auf Terroristen machen, ihre Netzwerke zerstören, und wir behalten uns das Recht vor, einseitig zu handeln, wie wir es getan haben, seit ich das Amt übernommen habe."

Das war nur einer von vielen Momenten in der Rede zur Lage der Nation in der Präsident Obama seine Bereitschaft betonte, das Primat des amerikanischen Imperialismus über alle seine Rivalen mit Gewalt durchzusetzen. Die Hälfte seiner Rede bestand aus solchen Drohungen unter anderem gegen die Atommacht Russland wegen der Ukraine und gegen den Iran, dem Obama zum zweiten Mal in nur fünf Tagen mit einem Krieg zur Zerstörung seines Atomtechnologieprogramms drohte.

Als Obama von Verhandlungen über Handelspraktiken im asiatisch-pazifischen Raum sprach (unter anderem mit China und Japan, der zweit- bzw. drittgrößten Wirtschaftsmacht der Welt), drückte er wohl am offensten den Anspruch Amerikas auf Vorherrschaft aus. Er erklärte: "Wir sollten diese Regeln aufstellen“, als sei kein anderes Land wichtig.

Obama behauptete zwar, er habe die amerikanischen Kriege im Irak und Afghanistan beendet und die Gesamtzahl der Truppen in den beiden Ländern von 180.000 auf 15.000 gesenkt, allerdings bedeutet dies nur einen Kurswechsel auf eine umfassendere imperialistische Intervention anstatt auf eine verringerte. Das amerikanische Special Operations Command (SOCOM) hat im Jahr 2014 Truppen in 133 Länder der Welt entsandt, d.h. in mehr als zwei Drittel der Erde.

Obama beendete seine Rede mit einem Appell an die Republikanische Partei, die über die Mehrheit der Sitze im Repräsentantenhaus und dem Senat verfügt, in den nächsten zwei Jahren mit den Demokraten zusammenzuarbeiten. Er warnte davor "sich immer umzudrehen und zu schauen, wie die Basis auf jede Entscheidung reagieren wird."

Diese Formulierungen sollten nicht so sehr die Republikaner drängen, dem Druck der rechtsradikalen Tea Party-Fraktion standzuhalten, sondern die Demokraten dazu drängen, weiterhin in Zusammenarbeit mit den Republikanern Angriffe auf die Arbeiterklasse auszuarbeiten, egal wie die arbeitende Bevölkerung - vor allem die Ärmsten und Unterdrücktesten, die bei Wahlen meistens überwiegend für die Demokraten stimmen - darauf reagieren wird.

Obama schlug eine handvoll Maßnahmen vor, die darauf abzielten, den brüchigen Schein zu wahren, die Demokraten würden noch immer eine liberale Reformpolitik vertreten: so z,B. kostenloses Studium an Fachhochschulen und eine Steuerleichterung für arbeitende Familien mit Kindern, die durch eine Steuererhöhung für Reiche und Banken finanziert werden soll. Aber niemand im Washingtoner Apparat nimmt diese Vorschläge auch nur eine Minute lang ernst. Sie sind Schönfärberei, die kaschieren soll, dass die Politik der herrschenden Elite Amerikas immer weiter nach rechts rückt.

Abgesehen von dem wahnhaften Charakter der Rede war das herausstechendste Merkmal der Äußerungen Obamas die Tatsache, dass sich die große Mehrheit der Bevölkerung für die Veranstaltung nicht im Geringsten interessierte. Obama steht an der Spitze eines Staatsapparates, der zunehmend zu sich selbst spricht.

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