Deutsche Medien befürworten Konfrontation mit Russland

Der massive Druck der USA, das Regime in Kiew mit Waffen zu beliefern und damit den Krieg in der Ukraine zu verschärfen, hat in den deutschen Medien hektische Reaktionen ausgelöst. Während einige Kommentare die Aufrüstung der Ukraine befürworten, stellt sich die Mehrheit hinter die Linie der Bundesregierung, die das bisher ablehnt.

Keine einzige größere Zeitung lehnt den Konfrontationskurs mit Russland aber ab, obwohl er – wie viele offen zugeben – sich zu einem nuklearen Weltkrieg auszuweiten droht. Die Meinungsverschiedenheiten drehen sich vielmehr um taktische Fragen. Im Mittelpunkt steht dabei das Verhältnis Deutschlands zu den USA. Während eine Reihe von Kommentaren am engen Bündnis mit der transatlantischen Großmacht festhalten, werden Stimmen lauter, die für eine eigenständigere Wahrnehmung deutscher imperialistischer Interessen werben.

Es gibt die Befürchtung, die ukrainische Armee und Regierung seien einer verschärften militärischen Konfrontation selbst bei massiver Aufrüstung nicht gewachsen. Die Folge wären ein militärisches Debakel des Kiewer Regimes oder eine direkte militärische Konfrontation zwischen Russland und der Nato, die vor allem für Europa verheerende Folgen hätte.

Am offensten sprach dies der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzende des Nato-Militärausschusses Harald Kujat aus. In der Talkshow von Günther Jauch nannte er es „idiotisch“, wenn der Westen eine militärische Lösung überhaupt in Erwägung ziehe. Wenn Russland wolle, könne es den Krieg in der Ukraine binnen 48 Stunden beenden, indem es reguläre Einheiten einmarschieren lasse.

Andere Kommentare warnen, eine Eskalation des Konflikts mit Russland könnte die EU sprengen. Schon die bisher verhängten Wirtschaftsanktionen wurden von einigen EU-Mitgliedern nur widerwillig akzeptiert.

Einig sind sich alle Kommentare in ihren heftigen Attacken auf Russland und Präsident Putin. Soweit sie Waffenlieferungen an die Ukraine zum gegenwärtigen Zeitpunkt ablehnen, treten sie für eine Verschärfung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland ein, um das Land vor einer militärischen Konfrontation zu schwächen.

Die Welt

Das Flaggschiff des rechtslastigen Springer-Verlags, Die Welt, lässt keinen Zweifel daran, dass Europa am Vorabend einer Katastrophe steht. Sascha Lehnartz vergleicht die Lage mit den Tagen vor dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg: „Möglicherweise wird man von diesen Februartagen einst sprechen, wie man heute den Juli 1914 oder den September 1938 beschreibt: als eine Zeit, in der die Welt bereits am Abgrund stand, dies aber kaum jemand wahrhaben wollte.“

Während „ein sorglos-konsumfreudiges Publikum“ durch die Münchner Innenstadt schlendere, sei „einige Hundert Meter weiter in den Sälen eines Luxushotels das Ende einer 25 Jahre währenden Phase relativer Entspannung in den Ost-West-Beziehungen endgültig aktenkundig“ geworden.

Seine dramatische Einschätzung hindert Lehnartz nicht daran, Öl ins Feuer zu gießen. Er attackiert heftig die russische Regierung und wirft ihr vor, sie lebe „in einem Paralleluniversum“, in einer „Welt, in der gekränkter Großmachtstolz in Eroberungslust umgeschlagen ist“ und „in der man nicht daran interessiert ist, Konflikte friedlich zu schlichten“.

Daraus folgert er: „Je deutlicher das wird, desto matter klingt Merkels Credo, der Konflikt sei nicht militärisch zu lösen.“ Scheitere Merkels Krisendiplomatie, werde die Ukraine Waffen erhalten. „Wie hoch die Kosten dann für uns alle werden, weiß niemand.“

Süddeutsche Zeitung

Stefan Kornelius unterstützt in der Süddeutschen Zeitung Merkels Kurs und fällt heftig über die US-Delegation auf der Münchner Sicherheitskonferenz her, die Merkel scharf kritisiert hatte. Er vergleicht sie mit einer Schulklasse auf Klassenfahrt, die Victoria Nuland, die Europa-Abteilungsleiterin im US-Außenministerium, in einem Vortrag, „der jedem Football-Coach kurz vor dem Anpfiff als Kabinenpredigt gut zu Gesicht gestanden hätte“, aufgehetzt habe.

Um Waffenlieferungen an die Ukraine sei es dabei nur vordergründig gegangen. Hinter der Waffendebatte stecke das Thema: „Wie stark ist Amerika?“, wobei das sicherheitspolitische Establishment mit Stärke dreierlei verbinde: „Präsenz in aller Welt, Dominanz und militärische Einsatzbereitschaft“, schreibt Kornelius. Im Klima des heraufziehenden Präsidentenwahlkampfs sei „der Ideologiekampf aus Washington über den Atlantik“ geschwappt; die deutsche Bundeskanzlerin habe dafür ein gutes Opfer abgegeben.

Kornelius, der eng mit transatlantischen Thinktanks vernetzt ist, zählte vor einem Jahr noch zu jenen Alpha-Journalisten, die eifrig für den Putsch in der Ukraine warben und sich für eine schärfere Konfrontation mit Russland stark machten.

Bereits im vergangenen Sommer griff er dann allerdings die US-Geheimdienste wegen ihrer Spionagetätigkeit in Deutschland an. Wir kommentierten damals: „Im Moment hat Kornelius zusammen mit den meisten bürgerlichen Schreiberlingen und führenden Politikern entschieden, einen schärferen Ton gegenüber den USA anzuschlagen. Seine zukünftige Orientierung wird letztlich davon abhängen, welchen Kurs die herrschende Klasse bei ihrer Rückkehr zu einer aggressiven Außen- und Großmachtpolitik einschlägt.“

Diese Einschätzung hat sich bestätigt. Während sich Kornelius über die Angriffe amerikanischer Politiker auf Merkel und die Großmachtansprüche der USA empört, tritt er in einem anderen Kommentar im Namen der „Realpolitik“ für einen aggressivere Außenpolitik Deutschlands und Europas ein.

Für Deutschland und den Rest Europas halte „dieser Krieg ein paar bittere Lehren bereit“, schreibt er. „Die europäische Friedensordnung ist an ihre Grenzen gestoßen. Die friedensstiftende Kraft von Recht und das Prosperitätsversprechen der EU sind offenbar nicht stark genug, um gegen die nackte Gewalt und eine seit Jahrhunderten in Europa verwurzelte Vorstellung vom Gleichgewicht der Mächte bestehen zu können.“

Die „politische Postmoderne“, die Deutschland „ein paar harte Entscheidungen erspart hätte, zerschellt an uralten russischen Ängsten vor Einkreisung und Fremdherrschaft“, folgert er. „Diese realpolitischen Lektionen werden die Vorstellungskraft der EU schärfen.“

Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Neben Kornelius zählt auch Klaus-Dieter Frankenberger von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu den Alpha-Journalisten, die vor einem Jahr im Einklang mit den USA für den Putsch in der Ukraine und eine Konfrontation mit Russland warben. Auch er ist sich über den Ernst der Lage klar. „Kein Wunder, dass viele den Eindruck haben, Europa stehe am Wendepunkt, und Russland und der Westen steuerten auf eine direkte Konfrontation zu“, schreibt er in der F.A.Z..

Doch während Kornelius US-Politiker wegen ihren Angriffen auf Merkel kritisiert, sorgt sich Frankenberger um das Bündnis mit den USA. „Die Diskussion darüber, mit welchen Mitteln die Ukraine am besten zu unterstützen ist, jetzt und auf lange Zeit, darf Amerikaner und Europäer nicht auseinandertreiben“, betont er. Merkels diplomatische Bemühungen seien zwar „einen Versuch wert“, zugleich müsse die Bundesregierung aber „zur Kenntnis nehmen, dass Teile der amerikanischen Politik die Geduld verlieren“.

Taz und Zeit

Als uneingeschränkte Befürworterin einer harten militärischen Konfrontation erweist sich erneut die den Grünen nahestehende taz. Sie stellt sich ohne Wenn und Aber hinter die Bewaffnung der Ukraine. Unter der Überschrift „Ein Recht auf Waffen“ begründet dies Dominic Johnson mit abstrakten Grundsätzen: „Ein souveräner, international anerkannter Staat hat die Pflicht, gegen Gewaltakteure vorzugehen. Wer dieses Recht abspricht, unterstützt Straflosigkeit. Das Gewaltmonopol des Staates gehört zu den Grundlagen jeder rechtsstaatlichen Ordnung.“

Die „Sorge vor einer Eskalations- und Aufrüstungsspirale“ bezeichnet der taz-Redakteur als unbegründet. Die Gewaltspirale entstehe „aus dem aktuellen militärischen Ungleichgewicht“. Eine politische Lösung in der Ostukraine werde erst möglich, „wenn die Streitkräfte der Ukraine stark genug sind, jeden Angriff im Keim abzuwehren“.

Die Zeit warnt dagegen: „Man darf in das Wettrüsten nicht hineinstolpern.“ Ihr geht es dabei aber nur um das richtige Timing. „Die Möglichkeiten der Ukraine, sich selbst zu rüsten, sind übrigens so schlecht nicht“, schreibt Michael Thumann. Die wichtigste Frage sei „die nach dem richtigen Zeitpunkt. Waffenlieferungen und Training haben schon Kriege entschieden. In Bosnien zum Beispiel.“

Im Fall der Ukraine seien Waffenlieferungen dagegen zu früh. „Der Preis für die Zerrüttung der Ukraine für Putin muss weiter hochgetrieben werden.“ Der Druck sollte nicht militärisch, sondern diplomatisch, wirtschaftlich und weltpolitisch sein.

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