Politischer Konflikt zwischen argentinischer Präsidentin und Geheimdiensten verschärft sich

Die Folgen des mysteriösen Todes eines Staatsanwalts in Argentinien im Januar haben vor der Öffentlichkeit einen Machtkampf auf den höchsten Ebenen des Staates enthüllt.

Am 1. Februar berichtete eine Zeitung in Buenos Aires, dass der Staatsanwalt Alberto Nisman - der am 18. Januar tot und mit einer verdächtigen Schusswunde im Kopf aufgefunden wurde - kurz vor seinem Tod Haftbefehle für Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner, Außenminister Hector Timmerman und den Abgeordneten Andres Larroque ausgefertigt hatte.

Behörden hatten Nismans Tod zuvor als Selbstmord eingestuft, obwohl der Autopsiebericht darauf hindeutete, dass er erschossen wurde. Präsidentin Fernandez wies in einer Fernsehansprache am 26. Januar die Verantwortung für Nismans Tod von sich und machte abtrünnige Geheimdienstler dafür verantwortlich. Daraufhin forderte sie die Auflösung des argentinischen Nachrichtendienstes SIDE (Secretaría de Inteligencia de Estado).

Nisman wurde vor seinem Tod beauftragt, wegen Vorwürfen zu ermitteln, die argentinische Regierung verheimliche die Beteiligung des Iran an dem Bombenanschlag auf ein jüdisches Zentrum in Buenos Aires mit 85 Todesopfern im Jahr 1994. Kurz vor seinem Tod hatte er dem Gericht 300 Seiten Dokumente vorgelegt, in denen Präsidentin Fernandez und Außenminister Timmerman im Zusammenhang mit der Vertuschung belastet wurden. Laut Nisman hatte Fernandez' Regierung den iranischen Verdächtigen im Austausch für Öl- und Getreidelieferungen Immunität angeboten. Am 19. Januar sollte Nisman der argentinischen Justiz die Beweise präsentieren - einen Tag nach seinem Tod.

Wie es bei den meisten derartigen Machtkämpfen innerhalb des kapitalistischen Staates in Argentinien und anderen Ländern üblich ist, werden die Tatsachen über Nismans Tod und die angeblichen Geschäfte der Regierung mit dem Iran vor der Öffentlichkeit geheim gehalten.

Allerdings hat die Krise einen erbitterten Machtkampf um die Kontrolle über den argentinischen Staat zwischen einer zunehmend unpopulären Präsidentin und einem Polizei- und Geheimdienstapparat mit engen Verbindungen zur CIA enthüllt.

Die Wurzeln von SIDE liegen in den brutalen Polizeistaatsdiktaturen, die nach dem Zweiten Weltkrieg an der Macht waren. Die Geschichte seiner Dienste für die argentinische Bourgeoisie und den amerikanischen Imperialismus ist lang und schmutzig. Unter der Ongania-Diktatur von 1966-1969 entwickelte sich die Organisation zu einem stramm geführten Korps von jungen, rechtsradikalen Universitätsabsolventen, die ausgebildet und getestet wurden, indem sie Informationen über politische Gegner des Regimes sammelten.

Während der Diktatur von Videla von 1976-1983 übernahm SIDE viele der Funktionen der ehemaligen argentinischen Antikommunistischen Allianz, mit der SIDE während der zweiten peronistischen Regierung von 1972-1976 zusammenarbeitete. SIDE war für die Erstellung von Listen von Gegnern des Regimes verantwortlich, die entführt, gefoltert und ermordet wurden. Es beteiligte sich an der berüchtigten, von den USA unterstützten "Operation Condor" - der koordinierten Entführung und Ermordung von Gegnern der Diktaturen im ganzen Südkegel (Uruguay, Chile, Brasilien, Argentinien) und der Enteignung von Bankkonten und anderen Vermögenswerten verschwundener uruguayanischer Exilanten.

Es operierte in Zusammenarbeit mit der CIA außerhalb der juristischen Kontrolle, hatte sein eigenes Netzwerk von Geheimgefängnissen und fast unbegrenzte Gelder.

SIDE pflegt bis heute enge Beziehungen zur CIA. Im Jahr 2002 traf sich SIDE-Chef Miguel Angel Tome in New York mit CIA-Funktionären und erklärte, SIDE werde mit der CIA im "Krieg gegen den Terror" sowie im Kampf gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und den Drogenhandel zusammenarbeiten.

SIDE steht an der Spitze des argentinischen Geheimdienst- und Militärapparates. Nach der Wiederherstellung der zivilen Herrschaft blieb es ein Bollwerk der Gesellschaftsschicht, die die engsten materiellen und politischen Verbindungen zu den alten Diktaturen hatten.

Angesichts der langen und immer noch andauernden Geschichte des CIA-Engagements in Argentinien wäre es naiv, anzunehmen, dass die CIA nicht an der aktuellen Krise interessiert sei.

Nisman scheint als wichtiger SIDE-Beamter eine wichtige Rolle in der Beziehung zwischen SIDE und der CIA gespielt zu haben. WikiLeaks-Telegramme, die von dem argentinischen Journalisten Santiago O'Donnel in den Jahren 2011 und 2014 ausgegraben wurden, zeigen, dass die CIA mehr als nur eine Quelle für Nisman war, und dass die amerikanische Behörde seine Ermittlung gelenkt hat.

Präsidentin Fernandez versucht, den verbreiteten Widerstand gegen den ­Polizei- und Geheimdienstapparat auszunutzen, um ihrem Vorschlag, den SIDE aufzulösen, einen "linken" Anschein zu verleihen. Ihr Manöver ist jedoch kein ernst gemeinter Versuch, die Macht des Militär- und Geheimdienstapparates zu beschneiden, sondern ein Versuch, die Macht in der Hand zu behalten. Der neue Geheimdienst, den Fernandez als Ersatz für SIDE gründen will, wird eine ähnliche Rolle bei der Verteidigung des argentinischen Staates gegen den sozialen Widerstand von unten spielen.

Ob das argentinische Militär und der Geheimdienst, die einen "Staat im Staate" bilden, nennenswerte Veränderungen erlauben werden, ist eine andere Angelegenheit. In Argentinien hat dieser Apparat, ebenso wie in den USA, immense Macht und ist zu schweren Verbrechen bereit, um sie zu behalten.

Die Krise, die sich in den höchsten Ebenen des Staates entwickelt, betrifft die Arbeiter in Argentinien und der ganzen Welt. Unabhängig vom unmittelbaren Ergebnis des Machtkampfes gibt die Krise einen Einblick, zu welcher Kriminalität die herrschende Elite bereit ist, um die Kontrolle über die Schalthebel der staatlichen Macht zu halten.

Und unabhängig davon, wie sich diese Ereignisse weiterentwickeln, muss eine wichtige Lehre aus ihnen gezogen werden: ohne die Befreiung der Gesellschaft vom Kapitalismus ist es nicht möglich, den Militär- und Geheimdienstapparat der Regierung aufzulösen. Für diese Aufgabe ist die Arbeiterklasse in Argentinien und weltweit zuständig.

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