Kursanstieg des Schweizer Franken ruiniert Kreditnehmer in Osteuropa

Die Freigabe des Wechselkurses des Schweizer Franken treibt in Osteuropa Tausende Menschen in den Ruin.

Mitte Januar hatte die Schweizer Nationalbank überraschend bekannt gegeben, sie werde nicht länger dafür sorgen, dass der Wechselkurs zum Euro nicht unter 1,20 Franken fällt. Als Folge verteuerte sich der Franken schlagartig. Zeitweilig war er mehr wert als der Euro. Derzeit erhält man für einen Euro nur 1,06 Franken.

Frankenkredite waren bis zur Finanzkrise in ganz Osteuropa weit verbreitet. In Polen sind rund 550.000 Hypothekenkredite an die Schweizer Währung gekoppelt. Durch den Kurssprung verteuerte sich die Rückzahlung dieser Kredite über Nacht um 15 Prozent. In Rumänien sind 150.000, in Kroatien 60.000 und in Serbien 22.000 Kredite betroffen. Die Schweizer Nationalbank schätzt, dass derzeit ausstehende Frankenkredite im Wert von 220 Milliarden Euro in Osteuropa im Umlauf sind.

Die Banken hatten bei Frankenkrediten mit Zinsen gelockt, die weit niedriger lagen als die der jeweiligen Lokalwährungen. Das Währungsrisiko verheimlichten sie gezielt. Das zeigen Zahlen aus Österreich, wo Frankenkredite bis 2008 etwa ein Drittel aller vergebenen Privatdarlehen ausmachten. Nach Warnungen und Verboten der Bankenaufsicht halbierte sich die Zahl auf 150.000.

Selbst wenn Kreditnehmer Sicherungsmaßnahmen vereinbarten, versagten diese oft. Um im Extremfall gegen Verluste gewappnet zu sein, hatten viele sogenannte Stopp-Loss-Limits gesetzt: Fiel der Kurs unter 1,20 Franken, sollten die Kredite automatisch in Euro umgewandelt werden. Doch der Kursrutsch erfolgte derart schnell, dass die Banken nicht rechtzeitig reagieren konnten oder wollten. Viele Darlehen wurden erst beim Kurs von einem Franken pro Euro umgewandelt. Von staatlicher Seite wurde diese fragwürdige Praxis gedeckt.

Die Betroffenen stehen in vielen Fällen vor einer Katastrophe. Die Deutsche Welle berichtete über Marko Vasić, der sich 2008 in der serbischen Hauptstadt Belgrad mithilfe eines Darlehens, das an den Schweizer Franken gekoppelt war, eine kleine Wohnung kaufte. Die vereinbarte monatliche Rate von umgerechnet 350 Euro konnte er verkraften. Doch jetzt soll Vasić jeden Monat 560 Euro bezahlen. „Wir Kunden sind keine Glücksspieler – und trotzdem werden wir lebendig begraben. Ich weiß nicht mehr, ob ich auf die Banken oder den Staat wütend sein soll. Deswegen bin ich auf beide sauer“, sagte der Elektrotechniker aus Belgrad.

Euronews berichtete von einem Ehepaar, das sich in der rumänischen Hauptstadt Bukarest eine Dreiraumwohnung mit einem Frankenkredit kaufte. Nun muss es mit einem monatlichen Einkommen von 1000 Lei eine monatliche Rate von 3700 Lei (rund 830 Euro) begleichen.

Swissinfo.ch schilderte den Fall von Agnieszka Gagala, die 2009 in Polen einen Kredit in Schweizer Franken aufnahm. Damals beliefen sich ihre Schulden auf 260.000 Zloty (64.000 CHF). Nach der Entscheidung der Schweizer Nationalbank muss sie nun 500.000 Zloty zurückzahlen. Die monatlichen Raten der 32-Jährigen belaufen sich jetzt auf 2.000 Zloty im Monat, 600 bleiben ihr zum Leben. „Ich kann gar nicht sagen wie erschüttert und wütend ich jetzt bin,“ klagte sie. „Viele Menschen, die sich entschlossen haben, Kredite in Franken aufzunehmen, waren sich über die Risiken nicht im Klaren und es wurde ihnen nicht erklärt. Niemand kann erwarten, dass Kunden die gleichen Kenntnisse haben wie Ökonomen.“

Robery Grausam-Onyszkiewicz aus Krakau berichtete TVN24, er müsse für einen Kredit über 150.000 Zloty, den er 2008 aufgenommen hatte, 500.000 Zloty zurückzahlen. Aufgrund der Belastungen sei er gesundheitlich schwer angeschlagen.

Nicht nur Privathaushalte, sondern auch Kommunen sind von den plötzlich wachsenden Schulden betroffen. Die Schulden der österreichischen Hauptstadt Wien erhöhten sich schlagartig um 300 Millionen Euro. Die Pro-Kopf-Verschuldung in Wien stieg von 837 Euro im Jahr 2007 auf 2643 Euro 2013. Im letzten Monat überschritt die Verschuldung der Stadt die 5 Milliarden Euro-Marke. Auch andere österreichische Städte wie Salzburg und Linz sind betroffen.

Auch in Deutschland sind Kommunen von der „Neuen Seuche“, wie die Süddeutsche Zeitung die schlagartig ansteigende Verschuldung nannte, betroffen. In den vergangenen zwanzig Jahren hatten viele deutsche Kommunen wegen der niedrigen Zinsen ihre Verbindlichkeiten in die Schweiz verlagert. Allein in Nordrhein-Westfalen haben nach Angaben des Innenministeriums 26 Kommunen Fremdwährungskredite im Umfang von insgesamt 1,9 Milliarden Euro aufgenommen.

Die Ruhrgebietsstadt Essen hat offene Kredite in Höhe von 450 Millionen Franken, die sie Ende letzten Jahres für 374 Millionen Euro hätte ablösen können. Beim aktuellen Wechselkurs sind es nun fast 450 Millionen Euro.

Es steht außer Frage, dass die zusätzlichen Schulden durch massive Einsparungen im öffentlichen Haushalt kompensiert werden. Der teils ohnehin dramatische Zustand der sozialen Infrastruktur wird sich weiter verschärfen. Schwimmbäder, Bibliotheken, Jugendzentren und andere soziale Einrichtungen müssen Kürzungen hinnehmen oder schließen.

Bereits nach dem Ausbruch der weltweiten Finanzkrise 2008 waren Probleme mit Fremdwährungskredite entstanden, die Banken in den 1990er und Anfang der 2000er Jahre in Massen vergeben hatten und mit denen sie satte Gewinne verbucht hatten. In Ungarn waren 2009 97 Prozent der Immobilienkredite in Franken vergeben worden.

Während die Regierungen damals eng mit den Banken zusammengearbeitet und die Voraussetzungen für die Kreditvergaben geschaffen hatten, lassen sie nun die Kreditnehmer mit den Folgen weitgehend allein.

In Kroatien, wo nach den Präsidentschaftswahlen in diesem Jahr auch Parlamentswahlen anstehen, hat die Regierung den Wechselkurs des Kuna zum Franken fixiert. Den Kursunterschied müssen die Banken tragen. Ein ähnliches Vorgehen wird in Polen diskutiert, wo ebenfalls Wahlen anstehen, und auch in Rumänien. In Ungarn hatte die Fidesz-Regierung vor drei Jahren auf diese Weise die Verluste ungarischer Kreditnehmer etwas abgemildert. Dabei zog sie sich heftige Kritik der Finanzmärkte und der EU-Institutionen zu.

In Kroatien haben rund 75.000 Haushalte Kredite in Schweizer Franken aufgenommen. Die Kursbindung könnte die Regierung nach Schätzungen von Analysten 30 Prozent ihrer Währungsreserven kosten. Die Gefahr ist hoch, dass Exporte nach Deutschland, Frankreich oder Italien zu teuer werden und drastisch sinken. Aber die zutiefst diskreditierte Regierung in Zagreb fürchtet angesichts der angespannten wirtschaftlichen und sozialen Lage Unruhen.

Swissinfo äußerte, während „der Schock der Frankenaufwertung wahrscheinlich nicht die Zahlungsunfähigkeit der Länder oder Banken“ bedrohe, sei „das eigentliche Risiko für die Stabilität einiger Länder soziale Unruhen. Polen und Rumänien erlebten Demonstrationen, auf denen die Regierungen aufgefordert wurden den Menschen zu helfen.“

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