Frankreich: Regierung setzt Sparpolitik ohne Zustimmung des Parlaments durch

Die Regierung des französischen Premierministers Manuel Valls drückte am Dienstag ein unpopuläres Gesetz ohne Abstimmung im Parlament durch. Das Gesetz sieht eine weitgehende Liberalisierung der französischen Wirtschaft vor. Valls nutzte den antidemokratischen Paragraphen 49-3 der französischen Verfassung, der es der Exekutive erlaubt, die Nationalversammlung zu zwingen, ein Gesetz entweder anzunehmen, oder die Regierung zu stürzen.

Ein Misstrauensvotum zum Sturz der Valls-Regierung, einer Koalition aus der Sozialistischen Partei und der kleinen Radikalen Linkspartei (PRG), wird am Donnerstag zur Abstimmung gestellt. Seine Autoren, die rechte UMP, die UDI und die Linksfront, hegen keine Erwartung, dabei erfolgreich zu sein. Die Koalition aus PS und PRG verfügt in der Nationalversammlung über 306 von 577 Sitzen, 288 davon von der PS und 18 von der PRG.

Valls griff zu diesem Mittel als nach Beratungen mit Präsident Francois Hollande klar wurde, dass es selbst in der PS-Fraktion starke Widerstände gegen das Gesetz gab, das nach dem Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, einem ehemaligen Investmentbanker, benannt ist. Dem Elysée-Palast nahestehende Quellen ließen gegenüber Reuters verlauten, dass „die Exekutive nicht das Risiko eingehen will, dass das Gesetz scheitert, weil es von großer Bedeutung für unsere Wirtschaft ist.“

Das Macron-Gesetz ist ein scharfer Angriff auf die Arbeiterklasse. Seine mehr als 200 Bestimmungen machen es für Arbeiter schwerer gegen ungerechtfertigte Entlassungen zu klagen, dagegen für Unternehmer leichter, von Beschäftigten Überstunden an Sonntagen ohne Überstundenzuschläge zu verlangen. Außerdem werden juristische und medizinische Gebühren grundlegend neu geregelt und zahlreiche staatliche Unternehmen sollen privatisiert werden.

Das geplante Gesetz führte letztes Jahr zu zahlreichen Protesten von Beschäftigten im Dienstleistungsbereich gegen Sonntagsarbeit ohne Überstundenzuschläge sowie von Juristen und Ärzten, die sich gegen die ökonomische Liberalisierung ihrer Berufe wehrten

Valls sagte, die Entscheidung sei getroffen worden, um Hollande nicht endgültig zu einer lahmen Ente zu machen. Seine Kriege und Austeritätsmaßnahmen haben ihn schon zum unpopulärsten Präsidenten Frankreichs seit dem zweiten Weltkrieg gemacht. „Im Moment sieht es so aus, dass das Gesetz nicht durchkäme“, sagte Valls vor Abgeordneten der Nationalversammlung. „Wir befinden uns in einer Lage, in der wir den Staats- und Regierungschef nicht mit gutem Gewissen schwächen können.“

Der Rückgriff der Regierung auf den Paragraphen 49-3 unterstreicht die Tatsache, dass das Austeritätsprogramm der PS und der Europäischen Union (EU) keinerlei politische Legitimation hat. Eine Umfrage im letzten Jahr ergab, dass Hollandes Wirtschaftspolitik nur eine Unterstützung von drei Prozent der Bevölkerung genießt. Darin drück sich die Wut der Arbeiterklasse über die Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Stagnation aus. Die PS setzt ihre reaktionäre Politik mit totaler Verachtung für die Bevölkerung und ohne auch nur das Feigenblatt von parlamentarischer Unterstützung durch.

Als der Paragraph 49-3 zum letzten Mal zum Einsatz kam, hatte die SP das noch kritisiert. Das war 2006 unter UMP-Regierungschef Dominique de Villepin, als er versuchte seinen unpopulären Erstarbeitsvertrag (CPE) gegen Massenproteste der Jugend durchzusetzen. Damals erklärte Hollande: „Paragraph 49-3 ist ein Vorgehen mit der Brechstange, er untergräbt die Demokratie, 49-3- verhindert eine parlamentarische Debatte.“

Die Kritik der heutigen Oppositionsparteien in der Nationalversammlung, unter Führung der UMP und auch der Linksfront an der PS-Regierung ist nicht weniger heuchlerisch. Sie alle haben seit Jahrzehnten Sozialkürzungen gegen die Arbeiterklasse durchgesetzt. Ihre Entscheidung, nicht für das Macron-Gesetz zu stimmen, wie die gleiche Entscheidung von Teilen der PS selbst, ist nur ein feiger Versuch, ihre Unterstützung für unpopuläre Kürzungsmaßnahmen zu verschleiern.

Marine Le Pen, die Führerin des neofaschistischen Front National (FN), reagierte auf den Paragraphen mit der Forderung nach der Auflösung des Parlaments und Neuwahlen, bei Neuwahlen würde die PS schwere Verluste erleiden und die Macht verlieren, während der FN auf hohe Gewinne hoffen könnte. Valls „sollte seinen Rücktritt einreichen… Die Regierung gibt selbst zu, dass sie keine parlamentarische Mehrheit mehr hat“, sagte Le Pen.

Die PS-Regierung rechnet offensichtlich damit, durch das 49-3 Manöver ihre parlamentarische Mehrheit zu stabilisieren und den Fraktionen der PS, die enger mit den pseudolinken Organisationen zusammenarbeiten, einen besseren Deckmantel zu verpassen, darunter der Linksfront und der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA).

“Rebellische” Fraktionen der PS (frondeur) aus dem Umfeld des ehemaligen Industrieministers Arnaud Montebourg, der die Wirtschaftspolitik der PS letztes Jahr kritisierte, fürchten, dass sie politisch entlarvt werden könnten, wenn sie offen für das Macron-Gesetz stimmen würden. Sie können jetzt problemlos die Vertrauensabstimmung für die Regierung Valls unterstützen. Diese Abstimmung würde nicht nur die Regierung und ihre eigenen Sitze retten, sondern auch den „Rebellen“ ermöglichen ihre Stimmabgabe damit zu rechtfertigen, dass sie den Aufstieg des FN stoppen müssten.

“Der einzige Weg vorwärts für Arbeiter ist eine breite politische Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen die EU und die Hollande-Regierung. Ein solcher Kampf wird regelmäßig von der Linksfront, der NPA und den Gewerkschaften verhindert, die 2012 die Wahl Hollandes unterstützten und die PS-Regierung heute noch immer unterstützen. Sie haben Proteste von bestimmten Teilen der Arbeiterklasse und kleinbürgerlicher Schichten gegen das Macron-Gesetz isoliert und so verhindert, dass sie sich zu einem breiteren Kampf gegen die Regierung und das ganze kapitalistische System ausweiten.

Die Bourgeoisie arbeitet eine Strategie aus, mit der sie trotz breitem Widerstand der Bevölkerung ihre Austeritätspolitik fortsetzen kann. Dabei wird eine neue reaktionäre politische Arbeitsteilung sichtbar. Pseudolinke und PS-„Rebellen“ blocken einen gemeinsamen Kampf der Arbeiterklasse ab und schüren Illusionen in die parlamentarische Opposition gegen die PS. PS-Fraktionen, die Hollande und Valls näherstehen, arbeiten hingegen bei der Ausarbeitung und Rechtfertigung weiterer Angriffe auf die Arbeiterklasse direkt mit der EU zusammen.

EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moskovici, früher Hollandes Finanzminister, forderte von der französischen Regierung eine ambitioniertere Liberalisierung und Austeritätsagenda, die noch über das Macron-Gesetz hinausgeht. „Frankreich verträgt und braucht das“, erklärte er letzte Woche.

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