Rekordhoch der weltweiten Aktienkurse verdeutlicht wachsenden Finanzparasitismus

Die weltweiten Aktienkurse erreichten letzte Woche Rekordstände, während die deutsche Bundesregierung erstmals Staatsanleihen mit negativer Rendite ausgab. Die beiden Entwicklungen sind miteinander verknüpft und zeigen das explosionsartige Anwachsen des Finanzparasitismus.

Die Kapitalmärkte der Welt stehen laut dem FTSE All-World-Index kurz vor den höchsten Werten der Geschichte. Der britische Leitindex FTSE 100 überschritt den bisherigen Höchststand von Ende 1999, kurz vor dem Platzen der Dotcom-Blase; auch der amerikanische Dow Jones und der deutsche DAX erreichten Rekordwerte.

Angesichts der Tatsache, dass sich große Teile der der Weltwirtschaft, vor allem Europa und Japan, entweder in Stagnation oder Rezession befinden, die Wirtschaft in China und die sogenannten "Schwellenmärkte," von denen zuletzt die stärksten Wachstumsimpulse ausgingen, nachlassen und das hochgejubelte amerikanische Wachstum noch unterhalb historischer Trends liegt, ist dies ein ungewöhnliches Phänomen.

Alle wichtigen Berichte über den Zustand der Weltwirtschaft in der jüngeren Zeit - von der Weltbank über den Internationalen Währungsfonds bis zur Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - haben die vorherigen Wachstumsprognosen nach unten korrigiert und gewarnt, die Wirtschaft sei zunehmend von einem Teufelskreis charakterisiert.

Die Investitionen sind aufgrund fehlender Nachfrage und Gewinnmöglichkeiten auf einen historischen Tiefstand gesunken. Der Rückgang der Investitionen führt im Gegenzug zu einem weiteren Rückgang der Nachfrage und der Gewinnerwartungen.

Trotz dieser starken Trends steigen die Aktienkurse weiter und zeigen so deutlich, wie sehr die Anhäufung des Reichtums der Finanzeliten vom tatsächlichen Produktionsprozess abgekoppelt ist.

Einer der wichtigsten Faktoren, die die Wall Street in den letzten Tagen stimuliert haben, war die Erwartung nach der Aussage der Vorsitzenden der Federal Reserve, Janet Yellen, vor dem amerikanischen Kongress, dass die Zentralbank sich Zeit lassen werde, die offiziellen Zinssätze anzuheben. Das bedeutet, dass weiterhin billiges Geld in die Finanzmärkte fließen wird.

Auch die europäischen Märkte nahmen sich Yellens Äußerungen zu Herzen und wurden außerdem von dem Gelddruckprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB), der "quantitativen Lockerung" (QL), angekurbelt, das nächste Woche beginnen soll.

Zudem nahmen sie zur Kennznis, dass die Europäische Union und die Finanzoligarchie die Syriza-geführte griechische Regierung zu einer erniedrigenden Kapitulation gezwungen haben. Die pseudolinke Partei musste unter anderem ihre Wahlversprechen aufgeben, gegen das Sparprogramm der EU zu kämpfen. Die Entwicklungen in Griechenland, die die weitere Verarmung der griechischen Arbeiterklasse sicherstellen, waren nicht nur wegen ihrer Folgen für Griechenland befriedigend, sondern auch, weil sie ganz Europa deutlich gemacht haben, dass jede Forderung nach einem Ende der Austerität zu dem gleichen Ergebnis führen würde.

Das Auftauchen negativer Kapitalmarktzinsen, unterstrichen von der Ausgabe von Anleihen mit einer Laufzeit von fünf Jahren mit negativem Zinssatz durch die deutsche Regierung, zeigt, dass sich der Anleihenmarkt in ein riesiges Schneeballsysten verwandelt, in dem die Fähigkeit, Geld zu machen, von dem andauernden Zufluss von neuem Geld - hauptsächlich von den Zentralbanken - in das Finanzsystem abhängt. Er funktioniert zunehmend nach dem Prinzip des "größeren Dummkopfes." Es mag zwar dumm sein, in eine teure Anleihe zu investieren, die negative Erträge abwirft, aber die Spekulanten bauen darauf, dass ein noch größerer Dummkopf die Anleihe kauft, wenn der Preis noch weiter steigt.

Als negative Ertragsraten erstmals auftauchten, galten sie als vorübergehendes Phänomen, als Folge der Suche nach einer sicheren Geldanlage. Mittlerweile entwickeln sie sich jedoch zu einem dauerhaften Phänomen in der Finanzlandschaft.

Abgesehen von Deutschland haben auch Dänemark, Finnland, die Niederlande und Österreich Fünfjahresanleihen mit negativer Ertragsrate begeben; zudem haben Nestle und Shell Unternehmensanleihen mit negativer Ertragsrate angeboten.

Der unmittelbare Anlass für die Zunahme negativer Ertragsraten ist die Entscheidung der Europäischen Zentralbank, ab dem 1. März sechzehn Monate lang pro Monat Anleihen für 60 Milliarden Euro aufzukaufen.

Divyang Shah, ein globaler Stratege bei IFR Markets, sagte in einem Interview mit der Financial Times: "Man sollte nicht ausschließen, dass die Erträge für deutsche Zehnjahresanleihen nach Beginn des QL-Programms die Null unterschreiten und in den negativen Bereich gehen werden." Er erklärte, Schweizer Anleihen mit vierzehnjähriger Laufzeit würden bereits mit negativen Ertragsraten gehandelt, daher könne eine solche Entwicklung nicht ausgeschlossen werden und fügte hinzu: "Statt Nachfrage nach einer sicheren Anlage haben wir Nachfrage, die mit QL verbunden ist."

Die Erträge für deutsche Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit erreichten am Donnerstag einen Tiefststand von 0,28 Prozent, auch die Erträge für Zehnjahresanleihen in Frankreich, Portugal und Spanien sanken auf Rekordniveau.

JPMorgan Chase hat Daten zusammengetragen, die noch deutlicher machen, wie stark der Finanzparasitismus zugenommen hat, der sich in dem Phänomen negativer Ertragsraten ausdrückt. JPMorgan Chase schätzt, dass allein im letzten Jahr der Wert von Anleihen mit negativen Ertragsraten in Europa überdurchschnittlich angestiegen ist - von zwanzig Milliarden auf zwei Billionen, oder um das hundertfache. Es wird geschätzt, dass mindestens ein Drittel aller europäischen Anleihen mittlerweile negative Ertragsraten haben. In der Wirtschaftsgeschichte hat es bisher nichts auch nur ansatzweise Vergleichbares gegeben.

Eine der unmittelbaren Auswirkungen ist die Zerstörung des finanziellen Modus Operandi von Rentenfonds und Versicherungsfirmen. Sie haben in ihrer ganzen Geschichte in Staatsanleihen investiert, um sichere und dauerhafte langfristige Gewinnraten zu garantieren, oft war ihnen das gesetzlich vorgeschrieben. Allerdings ist diese Strategie zunehmend unrentabel, und sie sind gezwungen, riskantere Investitionen zu tätigen oder an den Anleihenmärkten zu spekulieren, um ihre Verpflichtungen zu erfüllen.

Das Wachstum des Finanzparasitismus hat entscheidende wirtschaftliche und politische Auswirkungen. Wie die ganze Wirtschaftsgeschichte zeigt, und wie die Ereignisse der letzten zehn Jahre nochmals gezeigt haben, kann dieses Kartenhaus nicht immer weiter aufrecht erhalten werden.

Ein großer Bankrott, verursacht beispielsweise durch eine plötzliche Veränderung des Wertes einer der wichtigsten Währungen (wie es Anfang des Jahres mit dem dramatischen Anstieg des Wertes des Schweizer Franken geschah), der Bankrott eines Unternehmens, eine plötzliche Änderung der Stimmung durch eine Zinserhöhung oder irgendein scheinbar zufälliges Ereignis könnte eine Kettenreaktion auslösen, die das ganze marode Gebäude der Finanz zum Einsturz bringt.

Da die Zentralbanken in den letzten sechs Jahren Billionen Dollar in das Finanzsystem gespritzt haben, wären die Folgen zudem möglicherweise viel schwerwiegender als die des Zusammenbruchs von Lehman Brothers im September 2008.

Die Schließungen, Entlassungen und Massenarbeitslosigkeit und die Verschärfung des Angriffs auf Sozialleistungen, die sich daraus ergeben, werden den Ausbruch von sozialen und politischen Kämpfen schüren, gegen die die Finanzoligarchie sofort und gnadenlos vorgehen wird. Das ist die Lehre aus Griechenland.

Die herrschenden Eliten aller Länder sind sich akut bewusst, dass sie keine wirtschaftliche Lösung für die Krise des Profitsystems haben. Daher haben sie in den letzten sechs Jahren ihre Polizei- und Sicherheitskräfte gestärkt, um auf den unvermeidlichen Ausbruch von Massenkämpfen reagieren zu können.

Die internationale Arbeiterklasse muss ebenso ihre Vorbereitungen treffen. Im Zentrum dieser Vorbereitungen steht der Kampf für ein unabhängiges sozialistisches und internationalistisches Programm, dessen Ziel der Sturz der Finanzoligarchie und der Aufbau einer revolutionären Partei zur Führung dieses Kampfes ist.

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