Rechte Proteste in Brasilien

Hunderttausende fordern Sturz der Präsidentin

In ganz Brasilien nahmen Hunderttausende an Protestmärschen teil. Sie richteten sich gegen die Korruption der Regierung und forderten deren Rücktritt oder Amtsenthebung. Die Präsidentin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei (Partido dos Trabalhadores – PT) ist erst vor kurzem wiedergewählt worden.

Zu den Demonstrationen hatten mehrere rechte Organisationen aufgerufen. Was die Massen auf die Straße treibt, ist jedoch der wachsende Zorn über ausufernde Korruptionsskandale im brasilianischen staatlichen Ölkonzern Petrobras und über die immer schlechteren Lebensbedingungen.

Die mit Abstand größten Demonstrationen fanden in Sao Paulo statt, wo sich die Schätzungen zwischen 200.000 und einer Million Teilnehmern bewegten. Aber Demonstrationen und Kundgebungen gab es in allen 22 brasilianischen Landeshauptstädten, der Bundeshauptstadt Brasilia und einer Reihe von kleineren Städten.

Am häufigsten hörte man Slogans wie "Fora Dilma" und "Fora PT" (Dilma raus, PT raus). Kleinere Gruppen trugen jedoch auch Transparente und Plakate mit der Aufforderung an das brasilianische Militär, gegen die Regierung vorzugehen. Das Datum der Proteste fiel auf den 30. Jahrestag der Wiederherstellung der Zivilregierung nach zwanzigjähriger Militärdiktatur. Der 15. März war außerdem der Tag, an dem sich die Militärführer an der Spitze der regierenden Junta jeweils ablösten.

Manche Demonstranten trugen Transparente gegen eine Verwandlung Brasiliens „in ein zweites Venezuela“. Dies war unbeabsichtigt ironisch, denn das aktuelle Vorgehen der Rechten entspricht genau jenem der rechten Opposition in Venezuela, die versucht hat, Wahlresultate durch Straßenproteste zu kippen.

Eine Reihe von deutlich kleineren Demonstrationen fand am Freitag, den 13. März, statt. Aufgerufen hatten die CUT-Gewerkschaftsbürokratie, soziale Netzwerke, Studentengruppen und andere Tendenzen, die der regierenden PT nahe stehen. Deren Slogans verteidigten Dilma (wie die Präsidentin allgemein genannt wird) und Petrobras. Einige von ihnen verglichen die Rücktritts- und Amtsenthebungs-Forderung mit einem Putsch.

Doch auch die Organisatoren jener Kundgebungen waren gezwungen, Forderungen zu erheben, die sich gegen den wirtschaftlichen Sparkurs der PT-Regierung richteten. Die Regierung versucht momentan, die volle Last der Wirtschaftskrise auf den Rücken der Arbeiterklasse abzuwälzen.

Während die Anti-Dilma-Proteste von besser gestellten Mittelschichten dominiert sind, bringt die Wirtschaftspolitik der PT-Regierung zweifellos auch immer größere Teile der Arbeiterklasse gegen sich auf. Zur steigenden Inflation und dem sinkenden Lebensstandard gesellt sich der Korruptionsskandal um Petrobras. Umfragen haben gezeigt, dass sich der Beliebtheitsgrad der Präsidentin in den letzten Monaten fast halbiert hat und nur noch bei knapp 23 Prozent liegt.

Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die im Juni 2013 Millionen auf die Straßen trieben, haben sich seither nur verschlechtert. Damals hatten spontane Proteste gegen die hohen Buspreise zu gewaltigen Demonstrationen geführt. Sie richteten sich gegen den Mangel an menschenwürdiger Gesundheitsversorgung, Bildung und Sozialleistungen und gegen die Geldverschwendung im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft.

Im Gegensatz zu diesen Demonstrationen kam es bei den Kundgebungen am Sonntag zu keiner gewaltsamen Konfrontation mit den Sicherheitskräften, und die sozialen Forderungen der brasilianischen Arbeiterklasse kamen kaum zum Ausdruck. Schon damals hatte es Versuche gegeben, die Proteste in eine rechte Richtung zu lenken, doch heute sind diese Versuche viel deutlicher sichtbar.

Nach einer zwölfjährigen Regierungszeit der PT, die sich anfangs „links“ und sogar sozialistisch nannte, verschafft die gegenwärtige Entwicklung der brasilianischen Rechten Auftrieb, die ihre größten Chancen seit dem Sturz der Militärdiktatur wittert.

Natürlich ist es äußerst zynisch, wenn die Rechten den Korruptionsskandal aufgreifen, um die PT zu stürzen. Deren Parteien und Politiker waren sämtlich schon in ähnliche Skandale verwickelt. Sie wollen die Enthüllungen um Petrobras nutzen, um den Konzern vollständig zu privatisieren und den Weg für eine noch weit umfangreichere Bereicherungsorgie zu ebnen.

Die gesamte brasilianische Politik ist durch und durch korrupt, und nicht erst seit der PT-Regierung. Dennoch hat der Petrobras-Skandal („Operation Waschstraße“) atemberaubende Ausmaße erreicht. Fast 57 Politiker, die meisten von der PT und deren verbündeten Parteien im nationalen Kongress, sind bisher in die Intrigen um Bestechung, Schmiergeld und Geldwäsche verwickelt. Diese Korruption hat Petrobras, Brasiliens größtes Unternehmen, Schätzungen zufolge um die vier Milliarden Dollar gekostet.

Auch wenn es bisher nicht zu einer Anklage gegen die Präsidentin kam, hatte sich doch die Korruption bei Petrobras hauptsächlich in der Zeit zwischen 2003 und 2010 entwickelt, als sie den Vorsitz des Konzerns inne hatte. Es wird vermutet, dass für die Präsidentschaftswahlkampagne 2010 große Summen aus dem Energieriesen abgeschöpft wurden.

Bauunternehmer und andere Vertragspartner hatten Gelder aufgebracht, um sich überteuerte Verträge mit Petrobras zu sichern. Diese Mittel wurden teilweise durch die Führungskräfte des Energiekonzerns unterschlagen, und zum größeren Teil verschwanden sie in der Wahlkampfkasse und in den Taschen der Politiker.

Der Skandal betrifft neben Petrobras und den Politikern etwa dreißig Unternehmen, darunter einige der größten brasilianischen Bauunternehmen. Seither sind Großaufträge ausgesetzt, Kreditlinien verringert und laufende Projekte gestoppt worden. Die brasilianische Wirtschaftswoche Exame titelte: „Wird der Petrobras Korruptionsskandal das Land lahmlegen?“

Die PT-Regierung reagierte auf die Verschärfung der Wirtschaftskrise des Landes mit einem Sparpaket, das die Arbeitnehmerrechte wie Arbeitslosenversicherung, Krankengeld, Renten und Leistungen im Todesfall angreift. Ebenso kürzte die Regierung die Mittel für Bildung und Gesundheit. Sie versuchte auf diese Weise, den Forderungen der Wall Street nachzukommen und einen Haushaltsüberschuss zu erzielen, obwohl rund 44 Prozent des Budgets in die Bedienung der ausländischen Schulden flossen.

Die Rechte fordert zwar Dilmas Rücktritt oder Amtsenthebung, aber sie hat nichts gegen diese Sparmaßnahmen einzuwenden. Auf Bundesebene und in den Staaten, in denen sie regiert, hat sie diese Politik immer unterstützt.

Auch die pseudolinken Kräfte sind in die aktuelle Krise tief verwickelt. Sie haben die PT immer als Vertreter des sozialen Fortschritts und sogar des Sozialismus angepriesen und weltweit als Modellregierung hingestellt.

Unter den Angeklagten des Petrobras-Skandals befindet sich Antonio Palocci, Finanzminister von Dilmas Vorgängerregierung, früherer Metallgewerkschaftsführer und erster PT-Präsident unter Luiz Inácio Lula da Silva. Palocci wurde im Jahr 2011 Rousseffs Stabschef. Er ist angeklagt, weil er 700.000 Dollar für Dilmas Präsidentschaftswahlkampf vom Bestechungsnetz bei Petrobras angenommen haben soll.

Palocci betrat die politische Bühne in den 1970er Jahren als selbsternannter „Trotzkist“. Er gehörte der brasilianischen Gruppe an, die mit der französischen revisionistischen Tendenz von Pierre Lambert verbündet war. Als Mitglied jener Gruppe trat er der PT bei und wurde später Kongressabgeordneter, Minister und Multimillionär.

Die Rousseff-Regierung hat inzwischen ihren Justizminister, Jose Eduardo Cardozo, und den Generalsekretär des Präsidentenamts, Miguel Rossetto, vor die Kameras geschickt, um gut Wetter zu machen. Auf die Proteste antwortet sie mit Versprechungen, sie werde die Korruption bekämpfen und „finanzpolitische Korrekturen“ durchführen. Der brasilianischen Rechten bot sie den „Dialog“ an.

Rossetto war langjähriger Führer der brasilianischen Gruppe, die dem pablistisch-revisionistischen Vereinigten Sekretariat angehörte. Unter der Lula-Regierung wurde er Minister für Agrarreform, wobei er den Interessen der Agrarindustrie und der ländlichen Oligarchie diente. Heute ist er das wichtigste Sprachrohr der Rousseff-Regierung.

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