ThyssenKrupp Stahl: Arbeiter zwingen IG-Metall-dominierten Betriebsrat zum Rücktritt

Im Beschwerdeverfahren von ThyssenKrupp Stahl (TKS) und dem von der IG Metall dominierten Betriebsrat gegen die Anfechtung der Betriebsratswahl des letzten Jahres haben sich die Arbeiter um die oppositionelle Liste 5 durchgesetzt. Die Betriebsratswahl muss wiederholt werden. Der Betriebsrat kündigte an, am 26. März zurückzutreten.

Wie wir berichteten, hatten Konzernvertreter im Zusammenspiel mit IGM-Betriebsräten versucht, die oppositionelle Liste „Interessengemeinschaft 35-Stundenwoche“ vor der Betriebsratswahl im letzten Jahr einzuschüchtern. Mehrere Teamleiter im Werk führten kurz vor der Wahl Einzelgespräche mit Listenmitgliedern. Darin drohten die Vorgesetzten mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen und dem Verlust des Arbeitsplatzes, angeblich wegen einer Strafanzeige aufgrund rassistischer Äußerungen gegen eines der Listenmitglieder. Diese Anzeige hat es nie gegeben.

Der herbeigerufene IGM-Betriebsrat Wolfgang Klein wiederholte dann sinngemäß die Version der Teamleiter. Er zog mehrere vorgefertigte Erklärungen zum Rücktritt von der Liste 5 aus der Tasche und forderte Arbeiter auf, diese zu unterschreiben.

Vier Mitglieder der Liste 5, darunter der Listenführer Fred Wans, hatten daraufhin die Betriebsratswahl vor dem Arbeitsgericht in Duisburg angefochten und Recht bekommen. Dagegen legten sowohl die Konzernleitung als auch der Betriebsrat Beschwerde bei der nächsten Instanz ein. Am letzten Freitag folgte das Landesarbeitsgericht in Düsseldorf der Entscheidung des Arbeitsgerichtes in Duisburg und wies die Beschwerde zurück.

Zu Beginn der Verhandlung ließ es sich der Vorsitzende Richter Uwe Mailänder nicht nehmen, seine Verwunderung über das sich ihm präsentierende Bild zu äußern. Auf der einen Seite saßen Vertreter von Betriebsrat und Unternehmen an einem Tisch, auf der anderen Seite Fred Wans.

In der Sache stellte der Richter zunächst den Sachverhalt dar. Er zitierte die Aussage eines Arbeiters, der vor dem Arbeitsgericht in Duisburg den genauen Hergang und Inhalt des Einzelgesprächs mit seinem Teamleiter Rainer Droese dargestellt hatte. Der Richter hob hervor, dass in dieser Zeugenaussage klar die Verbindung zwischen Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen und des Rücktritts von der Kandidatenliste erkennbar sei.

Zur rechtlichen Bewertung des Falles zog er den Paragraphen 20 des Betriebsverfassungsgesetzes heran und zitierte daraus Absatz 2: „Niemand darf die Wahl des Betriebsrats durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung oder Versprechen von Vorteilen beeinflussen.“

Er verwies darauf, dass es nicht darauf ankomme, ob diese Drohung objektiv tatsächlich stattgefunden habe, sondern entscheidend sei alleine das subjektive Empfinden des Betroffenen, in diesem Fall, dass ihm bei Aufrechterhaltung der Kandidatur arbeitsrechtliche Konsequenzen drohten, ja, dass er sogar seinen Arbeitsplatz verlieren könnte. An der Art und Weise, wie der Richter dann auf den Vorgang mit Betriebsrat Klein und seinen vorgefertigten Rücktrittserklärungen einging, wurde deutlich, dass er die Beschwerde zurückweisen würde.

Die Anwälte von Betriebsrat und ThyssenKrupp schalteten sich daraufhin ein und versuchten, vor allem grundsätzliche Zweifel am Recht auf demokratische und von den Konzernen und ihren Betriebsräten unabhängige Betriebsratswahlen vorzubringen. Der Konzernanwalt ging so weit zu behaupten, dass mit dem Verweis auf „subjektives Empfinden jede Wahl im Nachhinein anfechtbar ist“. Der Richter wies dies zurück.

Der Vertreter der Personalabteilung von ThyssenKrupp Stahl sprach in der Verhandlungspause von „Anfechteritis“, da auch im Werk in Bochum die Wahl angefochten worden sei.

Der Konzernbetriebsrats-Vorsitzende Wilhelm Segerath, der auch Mitglied im Vorstand der IG Metall ist, erklärte dann seinen undemokratischen Standpunkt. Es sei „unmöglich“, dass jede Wahl immer angefochten werden könne, echauffierte er sich.

Segerath geht als freigestellter Betriebsrat seit drei Jahrzehnten in den Chefetagen des Konzerns ein und aus. Seit 1999 sitzt er im Aufsichtsrat von ThyssenKrupp und kassiert dafür kräftig. Laut TKS-Geschäftsbericht 2013/14 steigerten sich seine Aufsichtsrats-Tantiemen von 99.000 Euro im Vorjahr auf 105.000 Euro. Sein Gewerkschaftsfreund Oliver Burkhard, der als ehemaliger NRW-Bezirksleiter der IG Metall vor zwei Jahren als Personalchef in den TKS-Vorstand wechselte, steigerte sein Jahreseinkommen auf – laut Geschäftsbericht – 2,3 Millionen Euro.

Der Anwalt von ThyssenKrupp griff während der Gerichtsverhandlung das Argument von Segerath auf und erklärte, dass die Frage der Wahlanfechtung wohl besser vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) geklärt werden müsse. Die Hürden für eine Anfechtung einer Betriebsratswahl seien viel zu niedrig, das subjektive Empfinden könne ja wohl nicht zum Maßstab gemacht werden.

Der Richter wies auch diese Ansinnen gestützt auf das Betriebsverfassungsgesetz zurück. Eine Revision vor dem Bundesarbeitsgericht werde nicht zugelassen. Gleichzeitig bot er aber einen Kompromiss an. Er wolle auf ein Urteil verzichten, wenn sich Betriebsrat, Konzern und Liste 5 einigten. Dem Listenführer Wans sagte er, dass anderenfalls mit dem Datum der Entscheidungsverkündung das TKS-Werk in Duisburg ohne Betriebsrat dastehen würde. Sollten sich alle Parteien einigen und der Betriebsrat innerhalb einer kurzen Frist zurücktreten, könnte schon der Gegenstand des ersten Verfahrens vor dem AG Duisburg hinfällig gemacht werden.

Nach Rücksprache mit einigen Mitgliedern der Liste 5 lehnte Wans das Angebot ab und erklärte, er bestehe auf einer gerichtlichen Entscheidung. Richter Mailänder war offensichtlich überrascht und auch wenig erfreut über diese Haltung. Wans stimmte aber zu, dem Betriebsrat die Gelegenheit zum Rücktritt zu geben, damit der Konzern mit seinen 13.400 Beschäftigten in der Zeit bis zur Neuwahl nicht ohne Betriebsrat dastehe. Er befürchtete in dieser Zeit Entscheidungen des Konzerns, die zu Lasten der Belegschaft gehen könnten.

Nachdem Segerath sichtlich widerwillig erklärte, der Betriebsrat könne am 26. März zurücktreten, terminierte der Richter die Entscheidungsverkündung auf den 22. Mai. Ende Juni finden dann die Neuwahlen statt.

Der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf gegen den IGM-Betriebsrat und den Konzern macht erneut deutlich, welche Rolle die IG Metall spielt. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die größte Einzelgewerkschaft der Welt, wie sie sich selbst gerne bezeichnet, zum engen Verbündeten der Konzernleitung entwickelt, nicht nur bei ThyssenKrupp, sondern in allen Betrieben.

Sie hat längst aufgehört, Arbeiterinteressen zu vertreten und fungiert stattdessen als Beratungsagentur der Unternehmen, um die Wettbewerbsfähigkeit und Rentabilität zu steigern. Sie preist sich selbst als „renditeorientiertes Unternehmen“ und steht den Interessen der Arbeiter abweisend und feindlich gegenüber.

Nach einem Bericht der Wirtschaftswoche verfügt die IG Metall über ein geschätztes Vermögen von über zwei Milliarden Euro, das sie zunehmend auch in Aktienanteilen von Unternehmen investiert.

Etwa 1.700 IG-Metall-Vertreter sitzen in den Aufsichtsräten von Unternehmen, wo sie fürstlich entlohnt werden und mit dem Management verschmelzen. Etwa 50.000 Betriebsräte und 80.000 Vertrauensleute in den Betrieben üben eine strikte Kontrolle über die Beschäftigten aus. Lohnkürzungen und Stellenabbau werden oft direkt in der Gewerkschaftszentrale ausgearbeitet und dann gegen die Arbeiter durchgesetzt, wie dies bei Opel in Bochum sehr klar wurde.

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