Griechenland und die Forderung nach deutschen Reparationen

Forderungen der griechischen Regierung nach deutschen Entschädigungszahlungen für die Verbrechen der Nazis im Zweiten Weltkrieg haben in Berlin wütende Reaktionen ausgelöst.

Finanzminister Wolfgang Schäuble sagte am Montag auf einer Veranstaltung der Konrad Adenauer Stiftung: „Sie werden die griechischen Schulden nicht durch wie immer zu konstruierende deutsche Verpflichtungen aus dem Zweiten Weltkrieg bezahlt bekommen.“ Griechenland lebe seit Jahrzehnten weit über seine Verhältnisse und müsse sich langsam an die Realität annähern. Sein Gesprächspartner, der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann, stimmte ihm zu.

Auch die Fraktionsvorsitzenden von Union und SPD griffen die Entschädigungsforderungen der griechischen Regierung an. „Das ist ausgestanden. Es gibt keinen Anspruch“, erklärte Volker Kauder (CDU). „Die Griechen sollen sich mal mit ihrer Hausaufgabe beschäftigen und nicht immer woanders Schuldige suchen.“ Thomas Oppermann (SPD) schloss sich dem an.

Dabei sind die griechischen Forderungen weder neu noch unberechtigt. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben griechische Regierungen immer wieder eine Entschädigung für die Gräuel und die Verwüstung gefordert, die die SS und die Wehrmacht in Griechenland angerichtet haben. Doch sie wurden stets brüsk zurückgewiesen, erpresst oder mit haarsträubenden juristischen Tricks ausmanövriert.

Die Nazis hatten Griechenland von 1941 bis 1944 besetzt, geplündert und dabei bestialisch gewütet. Hunderttausende Zivilisten starben an Hunger. Rund 90 Dörfer wurden zerstört und ihre Einwohner ermordet, um den Widerstand gegen die Besatzer zu brechen. Zehntausende Juden wurden in Vernichtungslager deportiert. Die griechische Notenbank wurde gezwungen, mit einer Zwangsanleihe von 476 Millionen Reichsmark Rommels Nordafrika-Feldzug zu finanzieren.

Entschädigt wurde Griechenland für diese Verbrechen nie. Die Zwangsanleihe, deren Rückzahlung die Nazis nach Kriegsende zugesagt hatten, ist bis heute nicht zurückbezahlt worden.

Nach Kriegsende forderte Griechenland 1946 auf der Pariser Reparationskonferenz 7,2 Milliarden Dollar für Kriegs- und Besatzungsschäden. Es erhielt Güter- und Anlagenlieferungen im Wert von 25 Millionen Dollar.

Im Londoner Schuldenabkommen von 1953 wurden dann sämtliche Reparationsforderungen an Deutschland bis zum Abschluss eines Friedenvertrags – und damit für immer – vertagt. Man brauchte die Bundesrepublik im Kalten Krieg als Bollwerk gegen die Sowjetunion.

Viele Länder wollten sich aber nicht damit abfinden, dass weder sie noch ihre Bürger für das Unrecht entschädigt wurden, das ihnen im Krieg widerfahren war. Unter starkem internationalem Druck schloss die Bonner Republik deshalb 1960 ein Globalabkommen mit Griechenland, in dessen Rahmen seither 115 Millionen D-Mark (57,5 Millionen Euro) nach Athen geflossen sind. Diese bescheidene Summe diente ausschließlich der Entschädigung individueller, insbesondere jüdischer Opfer, und nicht der Wiedergutmachung „allgemeiner Kriegsschäden“, zu denen auch die Leiden von Zwangsarbeitern und der Angehörigen von Massakern gehören.

1990 wurde die Reparationsfrage mit der deutschen Wiedervereinigung wieder akut. Der Zwei-plus-Vier-Vertrag, mit dem die Bundesrepublik und die DDR auf der einen, sowie die USA, die Sowjetunion, Frankreich und Großbritannien auf der anderen Seite die deutsche Wiedervereinigung und Souveränität regelten, hatte die Funktion eines abschließenden Friedensvertrags.

Die deutsche Regierung weigerte sich aber, wie 1953 vorgesehen über die Reparationsfrage zu verhandeln. Stattdessen vertritt sie seither den Standpunkt, mit dem Vertrag hätten sich alle Reparationsfragen erledigt. Die griechische Regierung, die den Vertrag weder mit ausgehandelt noch unterzeichnet hat, bestreitet das entschieden.

Seither haben zahlreiche zivile Opfer und deren Angehörige Deutschland auf Schadenersatz verklagt und vor griechischen Gerichten stets Recht bekommen. So entschied der oberste Gerichtshof des Landes im Jahr 2000, Deutschland müsse den Familien der 218 Opfer des Massakers von Distomo 28 Millionen Euro zahlen.

Deutschland weigerte sich, dieses und ähnliche Urteile anzuerkennen, und berief sich dabei auf den Grundsatz der Staatenimmunität. Danach kann ein Staat nicht vor dem Gericht eines anderen Staates verklagt werden. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag bestätigte 2012 diese Auffassung mit der Begründung, die Staatenimmunität gelte auch bei Kriegsverbrechen.

Die Vollstreckung des Distomo-Urteils scheiterte 2000 am Einspruch des griechischen Justizministers, der es ablehnte, die Zustimmung zur Pfändung deutscher Liegenschaften, wie des Goethe-Instituts in Athen, zu geben. Kurz danach wurde Griechenland mit deutscher Zustimmung in die Eurozone aufgenommen.

Der Justizminister der Syriza-Regierung, Nikos Paraskevopoulos, hat nun gedroht, das Urteil zu vollstrecken, und damit in Berlin Unruhe ausgelöst. Ähnliche Urteile wegen deutscher Kriegsverbrechen stehen nämlich aus in Italien zur Vollstreckung an. Deutsche Politiker warnen deshalb, es werde eine Büchse der Pandora geöffnet, wenn solchen Forderungen in Griechenland nachgegeben werde.

Besonders heikel ist für Berlin die Frage des nie zurückbezahlten Zwangskredits von 1942. Bereits die konservative Regierung von Antonis Samaras hatte eine Expertenkommission eingesetzt, die den heutigen Wert des Darlehens auf elf Milliarden Euro taxierte und seine Rückzahlung forderte. Die Regierung Tsipras setzt dieses Projekt nun fort.

Während sich Deutschland bisher aufgrund seines politischen und wirtschaftlichen Gewichts vor internationalen Gerichten stets durchsetzen konnte, ist die Lage in diesem Fall nach Ansicht von Experten weniger klar.

Entsprechend zynisch ist die Argumentation, mit der die deutsche Regierung jede Verantwortung ablehnt. Während Athen argumentiert, es handle sich um ein echtes Darlehen, das man zurückfordere, hält Berlin dagegen, die Anleihe sei den Griechen aufgezwungen worden. Sie entstamme keinem echten Vertrag zweier souveräner Partner und sei daher genauso wie die anderen Kriegsschulden zu bewerten – also erledigt.

Hätte Athen nach dieser Logik Rommels Afrika-Feldzug damals freiwillig finanziert, sähe sich die Bundesregierung heute zur Rückzahlung gezwungen. Weil das Geld aber erpresst und gestohlen wurde, sieht sich Berlin jeder Verantwortung enthoben! Offener kann man die kriminelle Haltung der deutschen Regierung nicht formulieren.

Die griechischen Entschädigungsforderungen sind berechtigt. Das ist so offensichtlich, dass auch einige deutsche Politiker zum Entgegenkommen mahnen. So riefen die SPD-Politiker Ralf Stegner und Gesine Schwan sowie der Fraktionschef der Grünen, Anton Hofreiter, dazu auf, die „Entschädigungsdiskussion zu führen“ und zu einer „gütlichen Lösung“ zu kommen.

Was ihnen vorschwebt, ist bestenfalls eine symbolische Antwort. So plant Familienministerium Manuela Schwesig (SPD) die Einrichtung eines deutsch-griechischen Jugendwerks, für das im Jahr vielleicht eine Million Euro zur Verfügung stehen.

Die deutschen Kriegsverbrechen werfen grundlegende historische Fragen auf. Der Verzicht auf Reparationen hatte nach dem Zweiten Weltkrieg ebenso wie der Marshall-Plan dazu gedient, den deutschen und den europäischen Kapitalismus zu stabilisieren und eine sozialistische Revolution zu verhindern, wie sie nach dem Ersten Weltkrieg in zahlreichen europäischen Ländern ausgebrochen und in Russland erfolgreich gewesen war. Begleitet wurde diese Politik von der Behauptung, Deutschland und die anderen imperialistischen Mächte hätten aus ihren „Fehlern“ gelernt und seien friedliebend und demokratisch geworden.

Doch siebzig Jahre später kehrt die Geschichte zurück. Die Überheblichkeit mit der Finanzminister Schäuble gegen Griechenland vorgeht und die üble anti-griechische Hetze deutscher Medien wie der Bild-Zeitung erinnern an die Arroganz der Nazis. Sie zeigen, dass Deutschland wieder als aggressive imperialistische Macht auftritt, die die Vorherrschaft in Europa anstrebt. Keines der Probleme, die den Kontinent zwischen 1914 und 1945 in zwei Weltkriege und Faschismus gestürzt haben, ist gelöst.

Griechenland ist aus Sicht der deutschen und europäischen Eliten in erster Linie ein Pilotprojekt, um den Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung in ganz Europa, einschließlich Deutschlands immer weiter nach unten zu treiben. Deshalb geben sie bei ihren Forderungen nach Sozialkürzungen und Einsparungen keinen Zentimeter nach.

Die Regierung Tsipras will und kann dem nichts entgegensetzen. Sie fordert ein größeres Stück vom Kuchen für die griechischen Eliten und für die wohlhabenden Mittelschichten, für die sie spricht. Sie beteuert bei jeder Gelegenheit ihre Bereitschaft, den Sparkurs fortzusetzen und sämtliche Kredite an die internationalen Gläubiger zurückzuzahlen. Die Forderung nach Reparationen ist für sie lediglich ein Verhandlungspfand, das sie je nach Bedarf einsetzt und wieder fallen lässt.

Doch diese Forderung lässt sich, ebenso wie der Stopp des Spardiktats Berlins und Brüssels, nur durch die Mobilisierung der europäischen Arbeiterklasse durchsetzen. Das lehnt Syriza entschieden ab. Nichts läge ihr ferner, als die Arbeiterklasse in Deutschland und ganz Europa aufzurufen, sich gegen die eigenen Regierungen zu erheben und den Kapitalismus zu stürzen, der das Nazi-Regime und zwei Weltkriege hervorgebracht hat.

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