Französische Presse äußert Bedenken über Deutschlands Remilitarisierung

Teile der französischen Presse brechen das Schweigen, das bisher in Frankreich über das Wiederaufleben des deutschen Militarismus vorgeherrscht hat, und enthüllen, dass die Spannungen zwischen den europäischen Großmächten zunehmen. Innerhalb der französischen Bourgeoisie herrschen schwerwiegende Bedenken, dass die deutsche Aufrüstung sich als eine grundlegende Bedrohung für die Interessen des französischen Imperialismus erweisen könnte.

Nachdem der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, am 8. März in der Welt am Sonntag die Schaffung einer gemeinsamen "EU-Armee" gefordert hatte, veröffentlichte Le Monde einen Artikel mit dem Titel "Deutsche in Uniform."

Ein Großteil der französischen Medien und viele im politischen Establishment äußern sich nicht zu Junckers Vorschlag einer von Deutschland dominierten EU-Armee. Le Monde schrieb: "Der Vorschlag hat zwar in Frankreich kaum Beachtung gefunden, auf der anderen Seite des Rheins ist er jedoch sehr populär." Die Zeitung zitierte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die Junckers Vorschlag begrüßte: "Unsere Zukunft als Europäer wird irgendwann eine europäische Armee sein."

Le Monde verglich die derzeitige Lage mit den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, als Washington Paris zwang, die gegen die Sowjetunion gerichtete Wiederbewaffnung Westdeutschlands zu akzeptieren. Die Zeitung schrieb: "Frankreich musste sich einer Entwicklung fügen, die es vermeiden wollte: der Wiederbewaffnung Deutschlands und seiner Einbindung in die Nato. 65 Jahre später scheint sich die Geschichte zu wiederholen. Wieder will Europa Deutsche in Uniform, weil es vom Islamischen Staat (IS) und Wladimir Putin bedroht wird." Allerdings - fügte Le Monde rundheraus hinzu - "hat Frankreich keine Eile, Deutsche in Uniform zu sehen."

Die Zeitung wies Berlins Versuche, seine alten imperialistischen Interessen unter dem Deckmantel eines gesamteuropäischen Projektes zu vertreten, pauschal zurück. Le Monde beschrieb Berlins Erwägungen mit den Worten: "Wir dürfen mit unserer Aufrüstung nicht unsere Nachbarn verängstigen. Es ist besser, unsere Remilitarisierung als europäisches Anliegen darzustellen."

Grundlegende Widersprüche des europäischen Kapitalismus kommen wieder zum Tragen. Berlin und Paris planen gemeinsame Projekte wie Kampfdrohnen und arbeiten zusammen, um einen Waffenstillstand in der Ukraine auszuhandeln und damit die USA daran zu hindern, sich in einen offenen Krieg mit Russland zu stürzen. Gleichzeitig verschärft die Aufrüstung in ganz Europa tief verwurzelte Spannungen zwischen Deutschland und Frankreich, die in den letzten eineinhalb Jahrhunderten drei Kriege gegeneinander geführt haben: den Deutsch-Französischen Krieg von 1870-71 und die beiden Weltkriege im zwanzigsten Jahrhundert.

Der "Eiserne Kanzler" Otto von Bismarck wurde an seinem 200. Geburtstag am 1. April von Politik und Medien hoch gelobt. Bismarck hatte die deutschen Staaten durch eine Reihe von Kriegen vereint und ein mächtiges Deutsches Reich unter der Führung von Preußen gegründet. Nach dem Sieg über Frankreich im Deutsch-Französischen Krieg baute er Deutschland als die führende Macht auf dem europäischen Kontinent auf.

Auf die Wiederkehr der deutschen Bismarck-Verehrung und die Darstellung des „Eisernen Kanzlers“ als Vorbild für die Gegenwart reagierten die französischen Medien vorwiegend mit eisigem Schweigen, denn seine Europapolitik basierte größtenteils auf der Strategie, Frankreich niederzuringen und anschließend diplomatisch zu isolieren. Allerdings gab es auch offene Kritik.

Die französische Wirtschaftszeitung Les Echos schrieb am 2. April in einem Artikel mit dem Titel "Deutschland unterwirft sich dem Bismarck-Kult": "Otto die Ehre zu erweisen, ist unweigerlich mit Komplikationen verbunden, da der Preuße viele Gesichter hatte. In Frankreich werden sein Name und seine Pickelhaube noch immer mit dem Deutsch-Französischen Krieg und der Annektierung von Elsaß-Lothringen in Verbindung gebracht. Einige griechische Minister könnten ihre Ansichten über Deutschland in Bismarcks Grundsätzen der Realpolitik bestätigt finden, die da lauteten: 'Große Krisen bilden das Klima, das Preußens Wachstum fördert, denn wir nutzen sie furchtlos und nach Möglichkeit auch sehr rücksichtslos aus.'"

Hinter der Fassade von Integration und Solidarität in Europa verbergen sich ungelöste Konflikte, die in die blutige Geschichte des europäischen- und des Weltkapitalismus eingebettet sind und die internationale Arbeiterklasse bedrohen. Genau wie im kriegsgeschundenen zwanzigsten Jahrhundert, ist auch heute der einzige fortschrittliche Ausweg der gemeinsame Kampf der internationalen Arbeiterklasse gegen den Krieg.

Der französische Imperialismus ist genauso reaktionär wie der deutsche. Die deutsche Aufrüstung beunruhigt ihn vielleicht, aber er hat keine grundsätzlichen Probleme mit einer aggressiven Kriegspolitik. Er reagiert vielmehr aus Angst vor einem stärkeren Konkurrenten.

Le Monde erklärte in ihrem Artikel über die europäische Armee, die wachsende Krise in den amerikanisch-europäischen Beziehungen sei eine treibende Kraft für die deutsche Aufrüstung. Die Zeitung schrieb: "Deutschland misstraut Amerika, und Merkel hat Obama noch nicht verziehen, dass er ihr persönliches Handy abgehört hat... Amerika spielt in Russland ein gefährliches Spiel. Es drängt die Europäer in den Hintergrund, stiftet sie zu einer harten Haltung an und verschärft die Spannungen mit Putin."

Seit im Februar 2014 die prorussische ukrainische Regierung von Wiktor Janukowitsch durch einen von Faschisten angeführten Putsch gestürzt wurde, hat Washington den Konflikt mit Russland zur Eskalation getrieben. Paris und Berlin haben zwar den Putsch in Kiew unterstützt, allerdings haben sie harte Wirtschaftssanktionen gegen Russland und die Versuche der USA, das Kiewer Regime gegen Russland zu bewaffnen, abgelehnt.

Als Anfang Februar Berichte auftauchten, laut denen Fraktionen innerhalb der Obama-Regierung und des Militär- und Geheimdienstapparates Washington drängten, Kiew direkt mit Waffen zu beliefern, beeilten sich Deutschland und Frankreich, eine diplomatische Lösung für die Kämpfe in der Ukraine zu finden. Bevor ein Waffenstillstand in der Ukraine ausgehandelt wurde, warnte der französische Präsident Hollande, man sei mit Russland "in nur ein paar Monaten von Meinungsverschiedenheiten zum Konflikt und schließlich zum Krieg" gekommen. "Wir befinden uns im Kriegszustand, und dieser Krieg könnte ein totaler werden."

Bisher hat die Angst, Washington könnte einen Weltkrieg provozieren, Berlin und Paris enger zusammengebracht. Doch hinter der Fassade gemeinsamer Versuche, die Spannungen mit Russland zu entschärfen und eine gemeinsame europäische Verteidigung zu planen entwickelt sich ein Wettrüsten zwischen den imperialistischen Mächten Europas.

In den Monaten vor dem Krieg gegen Libyen hatte Frankreich ein militärisches Bündnis mit Großbritannien unterzeichnet, aus dem Deutschland ausdrücklich ausgeschlossen war. Paris hatte offensichtlich gehofft, es könne seine militärische Übermacht - unter anderem den Besitz von Atomwaffen - benutzen, um die wirtschaftliche Vorherrschaft Berlins auszugleichen. Diese Strategie ist für Frankreich nach hinten losgegangen.

Frankreich ist mit einem Wiederaufleben des deutschen Militarismus konfrontiert, der über einen langen Zeitraum vorbereitet wurde. Bundespräsident Joachim Gauck hatte sich in seiner Rede am Tag der Deutschen Einheit 2013 klar dazu geäußert. Er hatte erklärt, Deutschland sei "keine Insel“, die sich aus politischen, wirtschaftlichen und militärischen Konflikten heraushalten könne. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang 2014 kündigte er an, dass Deutschlands "Politik der militärischen Zurückhaltung" vorbei sei.

Deutschlands Militärausgaben liegen nach größeren Erhöhungen jetzt mit 32,4 Milliarden Euro etwas höher als die französischen, die nach einer leichten Senkung bei 31,4 Milliarden Euro liegen. Die Bedenken der französischen Medien über den deutschen Militarismus stehen in direktem Zusammenhang zur Ankündigung Frankreichs seine Militärausgaben wieder zu erhöhen und dem Beginn eines Wettrüstens in Europa.

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