Massensterben im Mittelmeer: EU und Washington planen neue Militärintervention in Libyen

Die Europäischen Mächte und die USA reagieren auf das Massensterben im Mittelmeer mit einer Verschärfung ihrer Kriegspolitik in Nordafrika.

Mit dem Sondertreffen der EU-Außen- und Innenminister am Montag in Luxemburg wurden die Pläne für ein neues imperialistisches Eingreifen in Libyen konkreter. Die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten streben nach einem UN-Mandat für den Einsatz von Kriegsschiffen vor und an der libyschen Küste, um gezielt Flüchtlingsboote zu zerstören und gegen Schleusergruppen vorzugehen. Tatsächlich liegen aber auch noch weit massivere Militäroptionen auf dem Tisch, die unter anderem die Eroberung der Ölförderanlagen und Raffinerien in Libyen vorsehen.

Das Ministertreffen wurde einberufen, nachdem innerhalb einer Woche bei zwei Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer mindestens 1200 Flüchtlinge ertrunken waren. Die Zahl der in diesem Jahr auf dem Weg nach Europa ums Leben gekommenen Flüchtlinge stieg damit auf fast 2000, annähernd 50 mal so viele wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

„Ich hoffe, dass wir heute im europäischen Bewusstsein an einem Wendepunkt stehen und nicht zu Versprechen zurückkehren, die kein Handeln nach sich ziehen“, sagte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, die das Treffen leitete.

Der Zehn-Punkte-Plan, auf den sich die Minister einigten und der am kommenden Donnerstag von den EU-Staats- und Regierungschefs abgesegnet werden soll, bedeutet im Kern eine Ausweitung der Polizei- und Militäroperationen gegen Flüchtlinge. So soll die Mission „Triton“ der europäischen Grenzschutzagentur Frontex doppelt so viele Boote und finanzielle Mittel erhalten wie bisher und das Operationsgebiet über die Küsten Italiens auch auf offene Gewässer vor der libyschen und tunesischen Küste ausweiten.

Die wichtigste Aufgabe der Operation ist dabei nicht die Suche und Rettung von Flüchtlingen, sondern die Sicherung der „Festung Europa“.

Die Minister ließen keinen Zweifel daran, dass der Hauptzweck darin besteht, noch effektiver gegen Flüchtlingsboote vorzugehen. „Seenotrettung alleine ist keine Wunderwaffe“, erklärte der deutsche Innenminister Thomas de Maizière (CDU) am Rande des Treffens. „Durch die alleinige Organisation der Seenotrettung würden Kriminelle nur noch mehr Flüchtlinge auf die Boote schicken.“

Der zentrale Punkt, den der EU-Kommissar für Migration, Justiz und Inneres, Dimitris Avramopoulos, am Montag vorstellte, beinhaltet eine „systematische Anstrengung zum Aufspüren und Zerstören der von Schmugglern benutzten Boote“. Vorbild dafür soll die Mission „Atalanta“ der Kriegsmarine vor Somalia sein, die Jagd auf Piratenschlauchboote gemacht und auch an Land Piratenlager zerstört hat.

Obwohl noch keine Details über die geplante Militäroperation bekannt gegeben wurden, bemüht sich die EU um ein Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, um an libyschen Stränden und Häfen Flüchtlingsboote zu zerstören, wie Mogherini erklärte.

Führende europäische Politiker wie der britische Premierminister David Cameron, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi begrüßten die Entscheidung, den Kampf gegen Schleuser an die Spitze der europäischen Agenda zu setzen und sich in ein neues imperialistisches Abenteuer zu stürzen.

Während die britische Regierung bislang jede Unterstützung zur Rettung von Flüchtlingen strikt ablehnte, signalisierte Cameron, dass London einen Militäreinsatz gegen Schleuser unterstützen werde: „Wir müssen hart durchgreifen gegen die schrecklichen Schleuser und Menschenschmuggler, die der Kern dieses Problems sind.“

Der englische Guardian zitierte Militärs, die einen Einblick in die Planspiele geben, die auf höchster Ebene diskutiert werden. So brachte der britische Commander Graham Edmonds, der zwischen 1966 und 2007 auf zehn Kriegsschiffen der Royal Navy gedient hat, eine gemeinsame Seeblockade der europäischen Marineverbände und der US Navy ins Spiel.

„Es gibt die Pflicht, Menschen in Not zu helfen. Das ist internationales Seerecht“, sagte er und fügte hinzu: „Eine Seeblockade ist möglich, um diese Boote zu stoppen... Es wäre nicht schwierig, das zu koordinieren.“ Dann erklärte er, dass alles davon abhänge, ob die US Navy dazu bereit sei. Die USA seien „bislang sehr still“ gewesen. „Aber wenn sie in internationalen Gewässern ist, kann die Sechste Flotte das Problem lösen.“

Der frühere Vorsitzende der Liberaldemokraten Paddy Ashdown forderte eine „neue Strategie“, um gewaltsam gegen Schleuser vorzugehen. Unter anderem sprach er von „Spezialkräften, welche die Boote zerstören noch bevor sie den Hafen verlassen.“

Renzi behauptete zwar, dass ein direktes militärisches Eingreifen in Libyen selbst derzeit nicht auf dem Tisch liege, erklärte aber im gleichen Atemzug: „Attacken gegen die Banden des Todes, Attacken gegen Menschenschmuggler gehören zu den Überlegungen.“

Tatsächlich drängen die herrschenden Eliten in Italien seit längerem auf einen Militäreinsatz in ihrer ehemaligen Kolonie Libyen. Laut Reuters werden im Stab von Federica Mogherini bereits detaillierte Pläne für eine viel umfassendere Militärintervention ausgearbeitet. Eine Sprecherin von Mogherini sagte, den EU-Mitgliedsstaaten würden Vorschläge unterbreitet, eine libysche Einheitsregierung mit militärischen Mitteln der Europäischen Union zu unterstützen.

Eine andere diskutierte Möglichkeit beinhaltet die Sicherung der Ölanlagen Libyens durch europäische Soldaten, damit internationale Konzerne die Ausbeutung der Erdölressourcen wieder aufnehmen können. Eine EU-Operation würde sich zwar auf Tripolis konzentrieren, aber könnte laut einem Reuters vorliegenden Dokument, „auch Anlagen im ‚Ölbogen‘ betreffen, damit internationale Konzerne ihre Geschäfte wieder aufnehmen können“.

Seit dem Nato-Krieg gegen Libyen und der Ermordung von Staatschef Gaddafi im Jahr 2011 ist die Ölförderung in Libyen um 50 Prozent eingebrochen. Im letzten Dezember mussten die größten Ölterminals des Landes, Es Sider and Ras Lanuf, aufgrund der Kämpfe zwischen rivalisierenden Milizen geschlossen werden.

Die Politik der imperialistischen Mächte ist so kriminell wie durchschaubar. Die Vorschläge zur „Lösung des Flüchtlingsproblems“ zielen in Wirklichkeit nicht nur darauf ab, die „Festung Europa“ weiter auszubauen, sondern auch die Rohstoffreserven in Nordafrika und im Nahen und Mittleren Osten unter Kontrolle zu bringen.

Nachdem die von Washington und der EU geführten und unterstützten Kriege in Afrika und im Nahen Osten zunächst die gesamte Region zerstört und Millionen zu Flüchtlingen gemacht haben, nutzten die imperialistischen Mächte nun die selbst verursachte Katastrophe, um neue Militäroperation mit „humanitären“ Argumente vorzubereiten!

Die deutschen Eliten, die sich beim Nato-Krieg 2011 gegen Libyen noch enthalten hatten, aber seitdem aggressiv für Krieg und Militarismus trommeln, preschen dabei vor, um sich ihren Teil am Kuchen zu sichern. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) forderte in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“, vor Ort gegen Schlepper anzugehen. Man müsse „mehr Stabilität nach Libyen bringen“ und den „Schlepperorganisationen das Handwerk legen“.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel forderte, dass „alle europäischen Polizei- und Grenzbehörden den Kampf gegen kriminelle Schleuserbanden“ aufnehmen: „Wir brauchen einen internationalen Einsatz gegen Schlepperbanden. Und wir müssen den Ländern – zurzeit vor allem Libyen – helfen, stabile Strukturen aufzubauen und mit dem Flüchtlingsstrom fertig zu werden.“

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