Das Wahlmanifest der Scottish Socialist Party: Nationalismus und Klassenzusammenarbeit

Das Wahlmanifest der Scottish Socialist Party (SSP) zu den Unterhauswahlen am 7. Mai markiert einen neuen Tiefpunkt beim allgemeinen Versinken der pseudolinken Gruppen in den Sumpf des schottischen Nationalismus und den Dunstkreis der Scottish National Party (SNP).

Friedrich Engels, Mitbegründer des wissenschaftlichen Sozialismus, nannte den parlamentarischen Kretinismus eine „unheilbare Krankheit“. Die SSP befindet sich bereits im Endstadium dieser Krankheit. Ihr Manifest steht nicht in der Tradition des Sozialismus, dem sie vor langer Zeit den Rücken kehrte, sondern des kleinbürgerlichen Nationalismus der übelsten Sorte.

Alle Fragen, mit denen die arbeitende Bevölkerung konfrontiert ist, betrachtet sie nur unter dem Gesichtspunkt, wie die schottische Bourgeoisie der Zentralregierung in Westminster weitere Befugnisse abringen könnte. Holyrood, das schottische Parlament, wird nicht weniger als 27-mal genannt und als „unser Regionalparlament“ bejubelt (Hervorhebung hinzugefügt).

Vergebens sucht man in ihrem Manifest ein Wort über die Gefahr eines dritten Weltkriegs, und die brutalen Angriffe auf die Arbeiterklasse in ganz Europa sind ihnen gerade mal eine Zeile wert.

Selbst wenn sie sich zur Lage der Arbeiterklasse in Schottland äußert (und die SSP interessiert sich für nichts anderes als Schottland), sind ihre Aussagen von Selbstzufriedenheit geprägt. Nach dem 7. Mai wird sich praktisch nichts ändern, und die SSP wird die bürgerlichen Parteien, wenn überhaupt, für ihren Mangel an „Vertrauen“ bei ihren „halbherzigen Bemühungen“ kritisieren, die „Situation umzukehren“.

Die SSP propagiert den Mythos eines unabhängigen Schottland, in dem alle Klassen gemeinsam für das nationale Interesse eintreten, um die Arbeiterklasse dem Kapitalismus unterzuordnen und sich selbst Zugang zum Kreis der Mächtigen zu verschaffen.

Im ersten Teil des Manifests lamentiert die SSP ausgiebig über die Weigerung der Scottish National Party und der schottischen Grünen, ihren Vorschlag einer gemeinsamen Kandidatenliste der „Independence Alliance“ für die Unterhauswahl in allen 59 schottischen Wahlkreisen aufzugreifen.

Der Vorschlag einer gemeinsamen Kandidatenliste ergab sich folgerichtig daraus, dass die SSP behauptete, die Unabhängigkeit Schottlands sei ein Weg aus der Austerität, und die Wirtschaftspartei SNP stelle eine progressive Alternative zur „Elite in Westminster“ dar.

So sehr ist die SSP Bestandteil des bürgerlichen Politikbetriebs in Schottland geworden, dass ihr Führer Colin Fox dem Beirat (advisory board) der „Yes Scotland“-Kampagne angehörte, der beim Referendum zur schottischen Unabhängigkeit letzten September zu einem „Ja“ aufrief. Mit ihm am Tisch saßen Nicola Sturgeon, Führerin der SNP, und Hedgefonds-Besitzer George Mathewson, der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Royal Bank of Scotland. Die SSP-Karawane ins Holyrood-Parlament wurde ausgebremst, als eine Mehrheit von 55 zu 45 Prozent sich gegen die Unabhängigkeit Schottlands entschied.

Die Hoffnungen der SSP wurden allerdings nicht völlig zerstört, da Premierminister David Cameron von den Konservativen nach dem Referendum die Smith Commission einsetzte, um einige Veränderungen an der Verfassung des Vereinigten Königreichs vorzunehmen. Die Kommission, die von Baron Smith of Kelvin geleitet wird, soll den selbständigen Regionen neue „finanzielle, sozial- und steuerpolitische Befugnisse“ anbieten, im Sinne der Bemühungen der herrschenden Elite, die sozialen Rechte von Arbeitern weiter abzubauen.

Um an den Beratungen der Smith Commission beteiligt zu werden, legte die SSP ihre „vollständig durchkalkulierten“ Vorschläge für erweiterte Befugnisse der schottischen Bourgeoisie vor, die sogenannte „Devo Max“ („maximale Regionalisierung“). Zu ihrem Entsetzen wurde ihre „Bewerbung“ allerdings abgelehnt.

Damit nahm das Interesse der SSP an einer Allianz mit der SNP noch zu. Mit einer gemeinsamen Kandidatenliste wollte sie „der Labour Party größtmöglichen Schaden zufügen“, heißt es im Manifest. Die Labour Party sollte nicht zur Verantwortung gezogen werden, weil sie die Interessen der Finanzelite vertritt, sondern weil sie das „schottische Volk“ durch ihre Ablehnung der Unabhängigkeit verraten habe.

Stimmengewinne der SNP in Schottland könnten, so spekulierte die SSP, den nationalistischen Block gegenüber der Zentralregierung so stärken, dass er Einfluss auf die Smith Commission ausüben könnte. Das Wahlbündnis würde dann 2016 zu den schottischen Parlamentswahlen antreten, die SSP würde jede Opposition von links gegen den Nationalismus abblocken, und die SNP würde ihren Einfluss im schottischen Parlament stärken und erneut für ein Unabhängigkeitsreferendum eintreten.

Erst im August prahlte Fox: „Wenn die SSP, die Grünen und die SNP 2016 eine Mehrheit erlangen, werden wir gleich am nächsten Tag alle zusammen mit dem ersten Zug von Edinburgh zu David Cameron fahren.“ Im Kampf der diversen Fraktionen der herrschenden Elite um einen Anteil am nationalen Reichtum wollte auch die SSP etwas abbekommen.

Doch leider „sollte es nicht sein“, bedauert das Manifest, „weil die SNP unser Angebot zurückwies.“

Die SNP hat die Pseudo-Linken ausgenutzt, um sich einen progressiven Anstrich zu geben; jetzt arbeitet sie daran, durch ein Bündnis mit der Labour Party eine Nische im Staats- und Regierungsapparat zu besetzen.

Die SSP war daher gezwungen, für den 7. Mai pro forma eine Liste mit vier Kandidaten in Glasgow und Edinburgh zu präsentieren. Sie entschied sich widerwillig dazu, allein um die SNP zu überzeugen, dass sie, die SSP, noch gebraucht wird. Die SSP-Kandidaten treten gegen vier Labour-Abgeordnete an. Jede Stimme für ihre Kandidaten soll zum Sieg eines SNP-Kandidaten beitragen.

Gleichzeitig ist ihre Kampagne ein respektvoller Appell an die Smith Commission, sie in die Kommission aufzunehmen. Es ist beachtlich, dass ihr 23-seitiges Wahlmanifest weitgehend eine Neuauflage ihrer Eingabe an die Kommission darstellt und fast wie ein Bittbrief daherkommt.

Da heißt es, der Ausschluss der SSP von diesen „multilateralen Beratungen“ sei „nicht nur eine Abkehr vom Geist dieser Debatte, sondern auch von der vom Premierminister definierten Vorgabe, dass diese Diskussionen 'parteiübergreifende Gespräche beinhalten und einen Prozess allseitiger Beteiligung in ganz Schottland' erleichtern sollte“.

Die SSP beschreibt das Referendum als „einzigartiges nationales Plebiszit“, als bringe der negative Ausgang des Referendums den Wunsch des „schottischen Volkes“ nach größeren nationalen Befugnissen zum Ausdruck! Auf dieser Basis appelliert die SSP an die Smith Commission, die Entwicklung von „Bürgerbeteiligung“ zu unterstützen, für die es nach ihren Worten „zwischen allen Parteien weitgehende Übereinstimmung geben wird, dass sie Schottlands Demokratie gut bekommen würde.“

Die Aushöhlung der bürgerlichen Demokratie in Großbritannien – die Angriffe auf demokratische Rechte unter dem Vorwand des „Kampfs gegen den Terror“ und der Ausbau der repressiven Befugnisse des Staates, den Edward Snowden entlarvt hat – wird totgeschwiegen. Die SSP behauptet vielmehr, dass die Demokratie durch die „parteiübergreifenden Fortschritte“ bei den Beratungen der Smith Commission erstarken kann. Anscheinend reicht es aus, Holyrood das Recht zu geben, „eine Verfassung für Schottland auszuarbeiten, die die Werte, auf denen wir unsere moderne Nation gründen wollen, darlegt und festschreibt“.

Die SSP hält sich dermaßen sklavisch an die vom Premierminister genannten Aufgaben der Smith Commission, dass ihr Manifest den Themen Krieg und Militarismus nur ganze sieben Zeilen widmet – Verteidigungspolitik zählt nicht zu den Befugnissen, die an Holyrood abgegeben werden sollen.

Das Manifest schweigt sich aus über die Rolle des britischen Imperialismus beim provokativen Auftreten der Nato in Osteuropa und den Aggressionen gegen Libyen, Syrien und den Irak. Die SSP steht diesen Verbrechen gleichgültig gegenüber. Sie beklagt, dass die momentane Verteidigungspolitik der „schottischen Wirtschaft“ abträglich sei, weil sie „zu sehr abhängig ist von Rüstungsfirmen und Aufträgen des Verteidigungsministeriums“. Die „Diversifizierung dieser Beschäftigungsmöglichkeiten und Branchen“ würde „Schottlands Friedensdividende für das Ende des Kalten Kriegs sein“.

Auch die Haltung der SSP zur Austeritätspolitik wird von nationalen, nicht von Klasseninteressen bestimmt. Die „Übertragung aller fiskalpolitischen und steuerpolitischen Befugnisse“ würde sicherstellen, dass „unsere Landsleute“ nicht daran gehindert würden, „ihr Potential auszuschöpfen“.

Ihre Forderung nach einem Mindestlohn von 10 Pfund sei notwendig, weil eine „wettbewerbsfähige, moderne schottische Wirtschaft nicht auf Sklavenlöhnen aufgebaut werden [kann]“. Diese Forderung, wie auch ihre weiteren mickrigen Vorschläge, seien Ausdruck von „Bescheidenheit“, versichert die SSP der Bourgeoisie.

Die Verteidigung von Immigranten gegen Schikanen ist ähnlich motiviert, denn schließlich „zahlen sie mehr Steuern, als sie den Staat kosten“.

Beim Thema Verschärfung der Ausbeutung der Arbeiterklasse tritt die SSP dafür ein, dass die Arbeitsgesetzgebung an Schottland abgetreten wird, damit „Arbeitnehmer und -geber in Schottland ihre Beziehungen auf Augenhöhe regeln können“.

Nur in einem Punkt durchbricht die SSP ihre unverhohlen nationalistische Haltung: Sie verteidigt die Europäische Union. Aber auch das entspricht ganz der Linie ihres arbeiterfeindlichen Programms.

Zwar räumt sie ein, dass die EU eine „neoliberale Falle“ sei, leitet daraus aber die unmittelbare Aufgabe ab, die EU durch ein „paneuropäisches sozialistisches Bündnis von innen heraus zu verändern“ Damit meint die SSP das europäische Bündnis bestehend aus der griechischen Syriza, Deutschlands Die Linke und Spaniens Podemos.

Die SSP ist sich völlig im Klaren darüber, dass diese Perspektive durch und durch bankrott und reaktionär ist. Syriza lud Fox im Januar nach Athen ein, wo er über die Wahl der ersten „antikapitalistischen“ Regierung in Europa seit Jahrzehnten ins Schwärmen geriet.

Doch in Wahrheit repräsentiert Syriza, wie ihre europäischen Gesinnungsgenossen, die sozialen Interessen einer privilegierten Schicht der oberen Mittelklasse. Ihren vollmundigen Versprechungen zum Trotz, sie werde die Austeritätspolitik durch Verhandlungen beenden, steht für Syriza die Verteidigung des kapitalistischen Profitsystems an erster Stelle. Das beweist sie eindrucksvoll durch ihre Unterstützung für die EU, die die soziale Katastrophe in Griechenland zu verantworten hat.

Innerhalb von wenigen Tagen brach Syriza ihre Wahlversprechen. Sie bildete eine Koalition mit den fremdenfeindlichen Unabhängigen Griechen und geht vor der EU und dem Internationalen Währungsfonds in die Knie, indem sie die öffentlichen Kassen plündert, um die Schulden des griechischen Kapitals gegenüber seinen internationalen Geldgebern zurückzuzahlen.

Davon erfährt man nichts im Wahlmanifest der SSP, obwohl Syriza-Führer Alexis Tsipras auf der Webseite der Partei groß herausgestellt wird. Kurz vor Erscheinen des Manifests schrieb Fox, dass Syriza „ihre Zusagen gegenüber dem griechischen Volk praktisch gebrochen“ habe. Trotzdem habe die Regierung damit nur einige Wochen Zeit gewonnen – die Frist, die die EU dem Land gesetzt hat, um Schulden in horrender Höhe zurückzuzahlen. Dann drohe ihr der Zusammenbruch, und die Faschisten der Goldenen Morgenröte könnten als „größter Gewinner“ dastehen.

Ungeachtet dieser vernichtenden Einschätzung unterstützte Fox Syrizas Entscheidungen mit der Begründung, „Politik ist ein ernstes Geschäft, in dem schwierige Entscheidungen oft unter enormem Druck getroffen werden müssen“.

Syriza blieb kaum eine andere Wahl, betont Fox, und verspottet „die Dogmatiker, die an der abgedroschenen Forderung kleben, dass 'die griechische Arbeiterklasse mobilisiert werden muss, um die Leitung der Wirtschaft in die eigenen Hände zu nehmen'“.

Diese Feindschaft gegenüber der Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen alle Institutionen bürgerlicher Herrschaft bildet die Klassengrundlage für die Unterstützung der SSP für Syriza und auch die SNP. Syriza betrügt die Arbeiterklasse in Griechenland, indem sie das „ernste Geschäft“ der bürgerlichen Politik betreibt. Die SSP, das macht sie deutlich, wird dasselbe in Schottland tun.

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